Fotobuch über Rom und Las Vegas: Wo Tourismus zum Horror wird

Was hat Las Vegas mit dem alten Rom gemein? Den Spuren einer berühmten Studie geht der Architekturfotograf Iwan Baan mit einem Bildband nach.

Römische Spolien in einer Mall in Las Vegas: Iwan Baan aus „Rome-Las Vegas“ (Ausschnitt) Foto: Lars Müller Publishers, 2024

Das Architektenpaar Denise Scott Brown und Robert Venturi besuchte 1968 gemeinsam mit dem Kollegen Steven Izenour den Las Vegas Strip. Den 6,4 Kilometer langen Boulevard an den Grenzen der Wüstenstadt, flankiert von Hotels, Malls und Casinos, wollten sie mit damals neuartigen, visuellen Erkundungsformen als extremes Beispiel für eine urbane Zersiedelung untersuchen.

5.000 Farbdias, 3.000 Filmmeter sowie eine Fülle von Karten und Tabellen nutzten sie für ihre städtebauliche Analyse. 1972 entstand daraus die kontrovers diskutierte Publikation „Learning from Las Vegas“. Sie gilt bis heute als ein Standardwerk der postmodernen Architekturtheorie.

Die autoorientierte US-Me­tro­pole vermessen die drei Au­to­r:in­nen darin auch immer wieder im Kontrast zu Rom, der „Ewigen Stadt“ eines christlich-antik geprägten Europas. Robert Venturi hatte 1954 einen zweijährigen Aufenthalt an der American Academy in der ita­lieni­schen Hauptstadt angetreten. Auch Denise Scott Brown, seine im Süden Afrikas als Tochter jüdischer Eltern aufgewachsene Partnerin, kannte Rom, sie hatte an einem städtebaulichen Masterplan für die Stadt mitgearbeitet. „Wir haben Rom als Metapher benutzt“, bemerkte Scott Brown in einem späteren Interview zu ihrer Las-Vegas-Studie.

„Die letzte unserer idealen Bildwahrheiten ist die Vorstellung, dass Rom alt und Las Vegas neu ist“, mahnt der US-Architekturkritiker Ryan Scavnicky in Iwan Baans neuem Bildbuch „Rome – Las Vegas. Bread and Circuses“. Gut 50 Jahre nach der opulenten Erstveröffentlichung widmet Baan ihr nun seine Hommage „Learning from Las Vegas“.

Iwan Baan: „Rome – Las Vegas. Bread and Circuses“, Lars Müller Publishers, Zürich 2024,

320 Seiten, 45 Euro

Der niederländische Fotograf, der sonst für die größten Architekturbüros die Welt bereist, um ihre Gebäude zu fotografieren, folgt darin den Spuren der Pioniere visuell gestützter Stadterkundungen und arbeitet die von ihnen hergestellte Beziehung zwischen dem europäischen Rom und der US-Wüstenstadt Las Vegas noch einmal heraus.

Wo ist Rom, wo Las Vegas? Doppelseite aus Iwan Baans „Rome – Las Vegas“ Foto: Lars Müller Publishers, 2024

Baan blickt durch seine Kamera vom Hubschrauber aus scheinbar allwissend über beide Städte, um sich ihnen dann detailliert, in Ausschnitten und Zooms vom Boden aus, zu nähern. „Der Las Vegas Strip ist keine chaotische Zersiedelung, sondern eine Reihe von Aktivitäten, deren Muster wie in anderen Städten von der Technologie der Bewegung und dem wirtschaftlichen Wert des Landes abhängt […]. Wir bezeichnen es als Zersiedelung, weil es ein neues Muster ist, das wir noch nicht verstanden haben“, analysierten noch Venturi, Scott Brown und Izenour.

Geradezu anklagend sind die Bilder von Iwan Baan: „In diesem Buch wird die Stadt des globalen Tourismus als ein Horror […] dargestellt. Wer die Fotografien betrachtet, sieht die Stadt als eine von Menschenhand geschaffene Maschine, die sich unserem Verständnis entzieht“, so Ryan Scavnicky. Immer wieder taucht auf ihnen „The Sphere“ auf, der mit 54.000 Quadratmetern größte LED-Bildschirm der Welt auf einer Kugel vor einer Konzerthalle in Las Vegas.

Baans Buch beschießt die Augen, mit 180 Abbildungen. Zeigen Doppelseiten ein Gegenüber beider Städte, ist darauf kaum mehr zu erkennen, wo das eigentlich sein soll: „Sowohl Vegas als auch Rom drehen ihr Image ständig um, und wie ein Meisterdieb kommen beide damit durch“, bemerkt Ryan Scavnicky. Illusionistischer Fake und trumpesker Pomp tauchen in der Alten wie in der Neuen Welt auf, wenn Baan zu Sitzbänken umgeschliffene Säulen mit USB-Steckdosen in einer Mall oder das von Touristen überschwemmte Rom als Open-Air-Themenpark ablichtet.

In Vegas sieht man einige Obdachlose auf der Straße oder „Fun-Service“-Dienstleister bei der Pause in der Raucherecke. Richtige Be­woh­ne­r:in­nen scheinen beide Städte nicht mehr zu haben, zumindest nicht in diesem Buch.

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