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Tanz in DresdenSichtbarkeit in der Stadt

Dresdens Tanzszene besitzt eine lange Tradition und gilt heute als vital. Außergewöhnlich ist der Zusammenhalt unter den Tänzer*innen.

Tanzschüler bei Improvisationen im Unterricht an der Palucca-Schule in Dresden 2001 Foto: Matthias Hiekel/picture-alliance

Dresden taz | Dresdens kulturelles Erbe – das ist weit mehr als die barocke Architektur eines Matthäus Daniel Pöppelmann oder die klassische Musik Carl Maria von Webers. Besonders für den Zeitgenössischen Tanz war Dresden eine der Vorreiterstädte Deutschlands. Ikonen des modernen Tanzes wie Mary Wigman und Gret Palucca prägten das kulturelle Leben hier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dafür brauchten sie nicht einmal Ballettschuhe. Sie waren barfuß und bewegten sich nicht nach den Regeln des klassischen Tanzes.

Die Dresdner Tänzerin und Choreographin Cindy Hammer ist überzeugt, dass Dresden auch heute noch ein wichtiger Ort für Tanz ist. Hammer machte ihre Ausbildung an der Palucca Hochschule in Dresden. Sie beschreibt die Zeitgenössische Tanzszene ihrer Stadt als vital und produktiv. „Wir können das alle tun, wir wollen das alle tun und wir stehen auch dafür ein, dass wir das alle tun“, sagt Hammer.

Charakteristisch seien zudem die vielen verschiedenen künstlerischen Handschriften und Organisationsstrukturen. Ihre eigene Kompanie „go plastic company“ ist gut mit anderen Tanzstilen, Gruppen und Vereinen vernetzt. Auch wenn sie meist unabhängig voneinander agieren, sind sie doch füreinander transparent und in der Stadt sichtbar.

Zu dieser Tanzszene gehören neben der Freischaffenden auch Stätten wie „HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste“, das Societätstheater, die Dresdner Semperoper, die Staatsoperette, die Villa Wigman. Ebenso die Palucca-Schule, die bundesweit ein hohes Ansehen hat und die einzige Tanzhochschule Deutschlands ist. „ Aus meiner Sicht ist Dresden innerhalb Deutschlands ein Tanzzentrum mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten“, sagt André Schallenberg, Programmleiter für Tanz und Theater in Hellerau.

Ostjugend-Dossiers

Der Text ist aus einem zu den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Rahmen eines Online-Workshops der taz Panter Stiftung entstandenen Ostjugend-Dossier, das durch Spenden finanziert wird: taz.de/spenden

Gute Vernetzung der freien Szene

Das Besondere an Dresden ist die gute Vernetzung in der freischaffenden Szene. Cindy Hammer spricht über das „Tanznetz Dresden“. Wenn sie in den Tanzkalender schaut, eine vom Tanznetz Dresden erstellte Monatsübersicht zu Tanzveranstaltungen in Dresden, dann ist sie verwundert: „Warum Dresden gefühlt eher Musikstadt als Tanzstadt ist, verstehe ich an der Stelle gar nicht. Weil, ich gucke mir das an und denke, krass: Du kannst fast jeden Tag irgendwo in dieser Stadt Tanz sehen“.

Zudem biete das Tanznetz Training für Profitänzer:innen, Austauschformate und verschafft Raum für verschiedene Präsentationsformate an Dresdner Spielorten und in Kunsträumen. Dieses Netzwerk ist in dieser Form deutschlandweit wohl einmalig. Inzwischen gibt das Tanznetz Dresden auch anderen deutschen Städten Input zum Aufbau einer starken tänzerischen Organisationsstruktur. Das zeigt aber auch, dass deutschlandweit noch viel zu tun ist.

Ein ebenso feinmaschiges Tänzer:innen-Netzwerk hat sich die Breakdancegruppe „The Saxonz“ aufgebaut. Doch in der Hiphop-Kultur spricht man nicht vom Breakdance, sondern von Breaking. Lehmi, bürgerlich Philip Lehmann, erzählt, dass seine Gruppe seit 2013 existiert. Gründungsimpuls war das Zusammenbringen von kleineren Tanzgruppen und Tänzer:innen, um das Potenzial zu bündeln, etwa um bei bundesweiten Wettbewerben besser abschneiden zu können.

Danach waren sie als Crew national und international unterwegs und plötzlich bekam Breaking auch mehr Aufmerksamkeit vom sächsischen Nachwuchs. Und so kommen die 23 Tän­ze­r:in­nen von „The Saxonz“ aus Dresden, Leipzig und Chemnitz – im deutschen Breaking ist diese Größe und Verteilung ein Alleinstellungsmerkmal. Darüber hinaus entstanden weitere Projekte, so auch das Battleformat „Floor on Fire“ für „HELLERAU“.

100 Jahre moderner Tanz, 10 Jahre Tanz-Battle

Der Kulturbetrieb der Stadt Dresden auf dem Gelände des Festspielhauses Hellerau im gleichnamigen Stadtteil nahm schon vor über 100 Jahren eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Modernen Tanzes ein. Émile Jaques-Dalcroze eröffnete hier 1911 eine Schule für Musik und Rhythmus. Eine seiner Schülerinnen war auch Mary Wigman. Heute ist es ein Gastspiel- und Koproduktionshaus, das zeitgenössischen Künsten wie Tanz, Theater und Musik eine Bühne bietet.

Das Battle-Format, bei dem sich die Teil­neh­me­r:in­nen tänzerisch duellieren, ist nun schon fast zehn Jahre alt. Tän­ze­r:in­nen verschiedener Stile treten hier unabhängig ihrer Herkunft oder politischer Ansichten gegeneinander an. Wer man ist, zeigt allein das Tanz-Battle, das ein großes Publikum in Hellerau findet.

Auch Cindy Hammer hat schon bei diesem Format mitgewirkt. Den Sinn ihrer Arbeit sieht sie in der Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen und sie mit dem eigenen Körper in Beziehung zu setzen. Für Hammer und Lehmi schafft die Kulturstätte Hellerau viel Raum für Neues und Diverses.

Keine Trennung zwischen lokal und international

Dresden ist vielfältig und die Dresd­ne­r:in­nen sind diskussionsbereit, sagt auch André Schallenberg. HELLERAU schafft einen Ort der Begegnung, der soll so offen wie möglich gehalten werden. Schallenberg sieht hier aktive Bürger:innen, die ein reges Interesse am Austausch haben. „Die Welt nach Dresden holen“ – durch ein breites internationales und lokales Angebot – das möchte Hellerau, sagt Schallenberg. „Das ist eigentlich der Anspruch, dass man gar nicht so die Trennung macht zwischen lokal und international, sondern wir wollen Künst­le­r:in­nen präsentieren, die tolle Sachen machen“, betont Schallenberg.

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Diese Einstellung ist gar nicht so selbstverständlich. Denn gerade die internationalen großen Gastspiele ziehen viele Be­su­che­r:in­nen nach Hellerau. Dabei ist es aber auch wichtig, die hiesige Szene zu unterstützen. HELLERAU bietet internationalen und nationalen Künst­le­r:in­nen Residenzen an, um vor Ort an neuen Projekten zu arbeiten.

In Dresden wird getanzt, so viel ist klar. Cindy Hammer und Lehmi versuchen, den Tanz nicht auf bestimmte Orte zu beschränken. Gerade bei den Saxonz gehört ein ständiger Ortswechsel für das Training auch zum Konzept. Jeden Tag wird trainiert und jeden Tag wird ein neuer Ort ausgewählt. Im Sommer spielt sich das meist draußen ab. Also, ich finde es wichtig, auch an unterschiedlichen Orten in unserer Stadt immer wieder zu tanzen, einfach um Input zu bekommen“, sagt Lehmi.

Draußen in der Stadt verteilt zu tanzen, bedeutet auch, Sichtbarkeit für die eigene Kunst zu schaffen. Den Probenraum und auch die Bühne verließ Hammer 2019 mit ihrem Stück „We are used to being darker“. Die Performance fand auf der Bowlingbahn im Hellerauer Sporttreff statt. „Was einfach mit sich bringt, dass du in andere Kreise kommst. Du konfrontierst andere Menschen.“ Hammer beschreibt, wie in diesem Fall die Sportwelt und der Zeitgenössische Tanz aufeinandergeprallt sind. Das hat für Irritationen, aber auch für Neugierde und gegenseitiges Interesse gesorgt.

Hellerau und ähnliche Kulturräume in Gefahr

Solche Räume braucht es in einer Stadt wie Dresden. Und doch ist die Existenz des Kulturbetriebs zuletzt immer wieder aufgrund fehlender Förderung und fehlender Anerkennung für diese Art der künstlerischen Arbeit bedroht. Dass Geld, Zeit und Raum in der Kultur fehlen, ist kein Dresdner oder sächsisches Problem, sondern bundesweit akut. Rechte Parteien, wie die AfD, verstärken das Problem. So sehen sie für kulturelle und künstlerische Institutionen wie Hellerau, die mit ihrer Offenheit und Internationalität gegen das Ressentiment rechtspopulistischer Ak­teu­r*in­nen arbeiten, keinen Platz.

Sich dagegen durchzusetzen, ist keine einfache Aufgabe. Doch die Wünsche und Hoffnungen der Kulturschaffenden liegen gar nicht so weit auseinander. Es (die Dresdner Tanzszene, d.A.) hat schon so viel Stärke, Vielfalt und Potenzial. Und ich glaube, ich würde das gerne einfach weiter nähren“, sagt Cindy Hammer. Für sie ist Dresden der richtige Ort zum Tanzen und sich weiterzuentwickeln. Sie möchte die Dresdner Tanzszene und das Netzwerk weiterhin stärken. Auch Lehmi wünscht sich noch mehr Austausch zwischen den verschiedenen Tanzrichtungen.

André Schallenberg sieht die Vorzüge Dresdens und die Chance einer starken Kultur- und Tanzszene: Das macht mir Hoffnung, dass wir umgekehrt ganz viele Angebote hier in Dresden haben, die gewachsen sind. Wir haben ein super reges Kulturleben. Und das kann man nicht einfach zerstören.“ Umso feinmaschiger spannen die Tän­ze­r*in­nen ihr Netz, um die lokale und internationale Szene weiterhin miteinander zu verknüpfen.

Maxie Liebschner (31) wuchs in einem kleinen Ort bei Dresden auf und war in Medien, Theater und Tanzkunst unterwegs. Derzeit volontiert sie an der B. erlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

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