Aktivist über die Oder: „Noch haben wir eine Chance“

In der Oder sterben wieder Fische. Wie lässt sich das bedrohte Ökosystem retten? Aktivist Alexander Sascha Groddeck hat nachhaltige Lösungsvorschläge.

Erst vor zwei Jahren bargen Freiwillige Hunderte Tonnen toter Lebewesen aus der Oder Foto: Tim Gassauer

taz: Herr Groddeck, entwickelt sich das Fischsterben in der Oder zu einem alljährlichen Phänomen?

Alexander Sascha Groddeck: Wir hatten dieses Frühjahr glücklicherweise genug Regenfälle, wodurch die Schadstoffkonzentration relativ niedrig blieb. Und trotzdem sind auch dieses Jahr wieder über hundert Tonnen Fische, Muscheln und Schnecken in den Seitenarmen und Stau­becken an der Goldalge gestorben. Die Behörden haben aber zumindest insofern aus der Katastrophe im Jahr 2022 gelernt, als dass eine Ausbreitung in die Stromoder durch Notfallmaßnahmen verhindert werden konnte.

Der Text ist aus einem zu den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Rahmen eines Online-Workshops der taz Panter Stiftung entstandenen Ostjugend-Dossier, das durch Spenden finanziert wird: taz.de/spenden

taz: 2022 sind in der Oder massenhaft Fische gestorben, weil der Salzgehalt im Wasser stark erhöht war. In Kombination mit dem niedrigen Wasserstand und der hohen Wassertemperatur konnte sich die giftige Goldalge stark vermehren. Wie sehen die Notfallmaßnahmen jetzt konkret aus?

Groddeck: Am wirksamsten ist die Einleitung von Gegengiften wie Wasserstoffperoxid. Keine Frage, Bleichmittel haben in einem Ökosystem überhaupt nichts zu suchen. Gleichzeitig ist es im Moment das Einzige, was wir tun können. Wenn wir aber schon gezwungen sind, der Natur gezielt Schaden zuzufügen, um eine größere Katastrophe abzuwenden, dann läuft etwas gewaltig schief. Da wird aktuell eine Art von Geo-Engineering betrieben, bei der nur das Symptom bekämpft wird, nicht die Ursache.

Alexander Sascha Groddeck

ist Koordi­nator der Bürger:innen-Initiative SaveOderDie, die den Schutz des Flusses und der angrenzenden Umwelt fordert.

taz: Warum hatte das Fischsterben bisher kaum juristische Konsequenzen?

Groddeck: Das Ausmaß der Umweltzerstörung ist schon längst kein Geheimnis mehr. Die Fakten sind bekannt, die Lösungen auch. Statt endlich zu handeln, wird jedoch die Verantwortung zwischen den verschiedenen Ebenen und Instanzen hin- und hergeschoben: Von der Europäischen Union über nationale Gremien zur Verwaltung der Kommunen – und von dort aus wieder hoch zur EU-Kommission. Hinzu kommt, dass effektiver Schutz nur in Zusammenarbeit mit Tschechien und Polen möglich ist – auf polnischer Seite wird das Ufer aber zum Beispiel weiter fleißig ausgebaut. Außerdem wurden die Ver­ur­sa­che­r:in­nen bislang nicht wirklich verfolgt: Es heißt, die Katastrophe sei multifaktoriell, deswegen gebe es keine eindeutigen Schuldigen. Es ist an der Zeit, im Schadensfall endlich die Industrien zur Verantwortung zu ziehen. Die Strafzahlungen, die nach 2022 aufgerufen wurden, sind absolut lächerlich. Prozentual geben wir mehr Trinkgeld.

taz: Welche Maßnahmen könnten zu einer naturnahen und nachhaltigen Gestaltung der Oder beitragen?

Groddeck: Die Einhaltung der industriellen Grenzwerte für Schadstoffe wäre erst mal ein Anfang, aktuell werden diese nämlich konsequent missachtet. Zusätzlich fordern wir die Einführung eines Salzpreises: Die Industrien müssten dann pro Tonne Salz einen bestimmten Betrag zahlen, der dann wiederum in die Förderung von Naturschutzprojekten fließen könnte. In Kombination mit Entsalzungsanlagen könnte die Ausbreitung der Goldalge so auf lange Sicht verhindert werden.

taz: Welche Ansätze gibt es noch?

Groddeck: Ein weiteres Problem sind Nährstoffversicke­rungen aus der Landwirtschaft. Neben der Förderung von Ökolandbau gibt es da zum Beispiel die Idee einer Bannmeile rund um Gewässer, in der keine chemischen Dünger eingesetzt werden dürfen. Außerdem fordern wir eine Neuverhandlung der Stromregelungskonzeption. Durch die Katastrophe vor zwei Jahren befinden wir uns jetzt in einer Situation, in der wir eigentlich einen sofortigen Ausbaustopp bräuchten, um das Ökosystem zu retten. Die gute Nachricht ist aber: Die Katastrophe ist menschengemacht, und noch haben wir die Chance, sie wieder zu beenden!

Lenja Vogt, 21, wuchs im Norden von Berlin auf, wo ost- und westdeutsche Lebensrealitäten aufeinandertreffen. Nach dem Abitur absolvierte sie einen Freiwilligendienst bei der Grünen Liga, die aus der Umweltbewegung der DDR heraus gegründet wurde. Seitdem ist sie häufig in Brandenburg unterwegs, wo sie sich für Klimaschutz engagiert. Inzwischen studiert sie Kommunikations- und Politikwissenschaft und möchte ihre journalistischen Tätigkeiten in Zukunft zum Beruf machen.

FOTOGRAFIE: Tim Gassauer, 27, aufgewachsen in Thüringen, lebt und arbeitet als Fotograf zwischen Berlin und Chemnitz.

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