Debatte um Antisemitismusresolution: Ausweitung der Grauzone

Vor dem 7. Oktober soll im Bundestag eine Resolution gegen Antisemitismus eingebracht werden. KritikerInnen befürchten die Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Was gilt als Antisemitismus und was nicht? KritikerInnen der Resolution warnen vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit Foto: Christian Lademann/dpa

BERLIN taz | Die Fraktionen von Union, SPD. Grünen und FDP wollen vor dem 7. Oktober, dem Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel, im Bundestag eine gemeinsame Erklärung einbringen. Sie soll „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ heißen und konstatiert einen „zunehmend offenen und gewalttätigen Antisemitismus in rechtsextremistischen und islamistischen Milieus“ genauso wie einen „israelbezogenen und links-antiimperialistischen Antisemitismus“.

Handfeste Maßnahmen schlägt der Entwurf vor allem gegen islamistischen und israelbezogenen Antisemitismus vor. So sollen etwa „repressive Möglichkeiten im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht“ konsequent angewandt werden. Außerdem wird die Regierung aufgefordert, „ein Organisationsverbot von BDS in Deutschland“ zu prüfen. BDS ist eine in Palästina gegründete Organisation, die Boykott und Sanktionen gegen Israel fordert, um das Besatzungsregime im Westjordanland zu beenden. Ob und inwieweit sie antisemitisch ist, ist umstritten.

Im Kern aber zielt der Entwurf auf eine Reglementierung von staatlichem Geld für Kunst, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Gefördert werden soll künftig nur noch, wer der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance IHRA für Antisemitismus genügt. Förderprojekte, so steht es in dem Entwurf, sollen „auf eine Unterstützung oder Reproduktion von antisemitischen Narrativen überprüft werden.“ Ob die Passagen in dieser Schärfe auch in der finalen Resolution stehen werden, ist unklar. Die damit befassten Vizefraktionschefs schweigen, wohl um die komplizierten Verhandlungen nicht zu gefährden.

„Kein Recht auf Förderung“

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hält das, was im Entwurf steht, für selbstverständlich: „Wir sollten in diesem Land doch einen Konsens darüber haben, dass antisemitische und verfassungsfeindliche Personen oder Organisationen nicht mit Steuergeldern gefördert werden.“ Ihn irritiere, dass in der Diskussion um die Resolution dies zur Debatte stehe. „Mir ist bewusst, dass nicht alles direkt verboten werden kann, muss oder sollte, aber ein Recht auf Förderung gibt es meines Wissens nicht.“

Der grüne Ex-Abgeordnete Jerzy Montag fürchtet eine „Zensurbehörde wie in der McCarthy-Ära“

AutorInnen und KünstlerInnen, Theater- und FilmemacherInnen, die die israelische Politik kritisch sehen, fürchten dagegen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Rede ist von Zensur unter dem Deckmantel der Antisemitismusbekämpfung. Gesetzeskraft wird die Resolution nicht haben, aber sie dürfte, ähnlich wie die BDS-Resolution des Bundestages 2019, trotzdem Wirkmacht entfalten und beeinflussen, wer als förderungswürdig gilt – und wer nicht mehr. So entsteht eine Grauzone.

Der Streit fängt schon bei der Frage an, was als Antisemitismus gilt und was nicht. Die IHRA-Arbeitsdefinition wird von vielen Staaten verwendet, fasst Antisemitismus sehr weit und legt einen Schwerpunkt auf dessen israelbezogene Ausprägung. Manche kritisieren, dadurch würde auch legitime Kritik an der Politik Israels zu Unrecht für antisemitisch erklärt.

Offener Brief jüdischer und israelischer Kunschaffender

Israelische und jüdische KünstlerInnen und AutorInnen warnen nun eindringlich in einem offenen Brief vor der geplanten Resolution des Bundestages. Schon der Bezug auf die IHRA-Definition setze „berechtigte Kritik an der israelischen Regierung mit Antisemitismus gleich, um Kritik an Israel zum Schweigen zu bringen“ heißt es. Unterschrieben haben den Text unter anderen der Filmemacher Udi Aloni, die Künstlerin Candice Breitz, die Schriftstellerin Esther Dischereit, die Autorin Deborah Feldman und der Regisseur Barrie Kosky, der lange Intendant der Komischen Oper in Berlin war. Der Protestbrief liegt der taz vor.

Darin heißt es, die geplante Bundestagsresolution beanspruche, „jüdisches Leben in Deutschland schützen zu wollen“, tue aber genau das Gegenteil. Die geplante faktische „Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit schließt genau die Vielfalt jüdischen Lebens aus, die sie zu bewahren vorgibt“. Der aktuelle Resolu­tionsentwurf sei daher „gefährlich“.

Außerdem habe die Antisemitismusresolution eine schwere Schlagseite. Denn sie „suggeriere, dass die größte Bedrohung für JüdInnen von Menschen ausgeht, die von außerhalb Deutschlands kommen“. Die AfD, „deren Führungsfiguren wissentlich Nazi-Rhetorik verbreiten“, werde hingegen kaum erwähnt. Das sei eine „beschämende Ablenkung von der größten Gefahr für JüdInnen in Deutschland“.

Auch der Ansatz, jüdisches Leben zu schützen, indem man auf Repression setze, sei verquer. Anstelle dessen gelte es die Rechte aller Minderheiten zu schützen. „Wenn es eine Lehre aus der Katastrophe des Holocausts gibt, dann sei es diese: „Nie wieder“ bedeutet „nie wieder für alle“.

Israelsolidarität als Förderkriterium?

Diese Protesterklärung zielt auf den politischen Prozess. Die Fraktionen von Union, Grünen, SPD und FDP sind gerade dabei, die finale Textfassung zu erstellen. Es gab bereits eine Reihe warnender und unterstützender Stellungnahmen. Volker Beck, grüner Ex-MdB und Präsident der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ fordert, Haushaltsordnungen so zu regeln, dass Antisemitismus und Rassismus nicht gefördert werden dürfen, sowie einen Kulturfonds für „israelsolidarische Künstlerinnen und Künstler.“

Skeptisch äußerte sich hingegen Jerzy Montag, ebenfalls früher grüner MdB und wie Beck Rechtspolitiker. Montag, Sohn eines Holocaustüberlebenden, warnte bereits zuvor in einer Art Brandbrief die grüne Fraktionsspitze davor, die Resolution zu unterstützen. Die strotze „vor Strafwut, die man eher bei der AfD vermuten würde“. Monika Grütters (CDU), früher Staatsministerin für Kultur, schlug in der Zeit moderatere Töne an, hielt es aber auch für „schwierig, von Künstlern eine regelrechte Gesinnungsprüfung zu verlangen“.

Unklar ist, wer die Antisemitismusdefinition nach IHRA-Kritierien auslegen soll. Zeit Online berichtet, dafür könnte das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig werden. In dem Resolutionsentwurf steht dazu aber nichts. Der Grüne Jerzy Montag fürchtet angesichts solcher Szenarien die Installierung einer „Zensurbehörde wie in der McCarthy-Ära“.

Schweigen bei Ampel und Union

Aus den Reihen von Ampel und Union will sich niemand substanziell zu der geplanten Resolution äußern – unterhalb der Führungsebenen weiß niemand genau, was der aktuelle Stand ist. Bei den Abgeordneten, die sich äußern, bleibt es deshalb bei Bekräftigungen, dass eine Resolution prinzipiell eine gute Sache sei.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger sagte der taz: „Die bisherige Präventionsarbeit gegen Antisemitismus sowie die Maßnahmen, die wir zu seiner Bekämpfung unternommen haben, müssen auf den Prüfstand und gegebenenfalls neu ausgerichtet werden.“ Denn: „Wir haben als Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten zwar oft ‚Nie wieder‘ gesagt, beim Kampf gegen den Antisemitismus aber offensichtlich versagt, das zeigt die aktuelle Lage.“ Deshalb sei „eine gemeinsame Resolution wichtig und richtig“.

Candice Breitz, Unterzeichnerin des Protestbriefes, blickt kritischer auf das Vorhaben. Sie hat im Dezember 2023 erlebt, wohin ein erweiterter Antisemitismusbegriff in überhitzten diskursiven Situationen führen kann. In Saarbrücken sollte eine Ausstellung der jüdischen Künstlerin zum Thema Sexarbeit in Südafrika eröffnet werden. Doch dies wurde abgesagt – offenbar aus Furcht vor einer Antisemitismusdebatte um Breitz, die Israels Politik gegenüber den Palästinensern immer wieder scharf kritisiert. Dass sie die Hamas und deren Angriff am 7. Oktober verurteilt hat, nutzte ihr nichts.

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