CARE-Landesdirektor über Sudan: „Kliniken werden zerstört“
Sudan werde in eine noch schlimmere Lage geraten, warnt Abdirahman Ali. Der Landesdirektor der Hilfsorganisation Care fordert einen humanitären Waffenstillstand.
taz: Herr Ali, wie würden Sie die aktuelle humanitäre Lage in Sudan beschreiben?
Abdirahman Ali: Es ist eine ernste Krise, die gewaltiges Leid verursacht. Viele Menschen haben keinen Zugang zu Essen, Wasser und Gesundheitsversorgung, sie haben ihre Heimat verloren, wurden mehrfach vertrieben, haben Angehörige verloren. Viele sind außer Landes geflohen. Unsere eigenen Mitarbeiter berichten von fürchterlichen Erlebnissen.
ist seit April 2024 Landesdirektor der Hilfsorganisation Care in Sudan mit Sitz in Port Sudan. Zuvor arbeitete der Kenianer jahrelang für Hilfsorganisationen in Jemen.
Ich habe in den vergangenen Wochen Vertriebene im Osten Sudans gesprochen. Sie erzählen, wie sie ausgeplündert wurden, sie wissen nicht einmal von welcher Seite. Sie übernachten in öffentlichen Orten, nichts ist organisiert, es gibt keine Privatsphäre, das ist ein Problem vor allem für Alte, Frauen und Kinder.
taz: Was wissen Sie über die Lage in Darfur?
Ali: Darfur ist, von wo die meisten Menschen fliehen. Ganze Städte sind belagert. Die Menschen fliehen in Lastwagen oder Bussen, wenn sie es sich leisten können, oder auf Eseln oder Kamelen. Manche auch zu Fuß, sie gehen sehr lange Wege und haben sehr wenig Besitz, das meiste wurde ihnen gestohlen. Es beginnt jetzt die Regenzeit, das macht es schwer, sich zu bewegen.
taz: Ist humanitäre Hilfe ausreichend und möglich?
Ali: Es gibt zu wenig Finanzierung. Der internationale Hilfsappell über 2,7 Milliarden US-Dollar ist nur zu einem Drittel finanziert, während die Bedürfnisse weiter steigen. Dazu kommt, dass es immer schwerer wird, Hilfsgüter durch das Land zu transportieren. Nach Darfur kommen Hilfsgüter aus Tschad, aber die Regierung hat den einzigen Grenzübergang geschlossen und die zur Verfügung gestellten Alternativen reichen nicht aus.
Und dann gibt es innerhalb Sudans unzählige Frontlinien, die man nicht überqueren kann. Man kommt nicht leicht aus dem Hafen Port Sudan in andere Landesteile. Wir haben zu wenig Ressourcen, und was wir haben, kommt nicht an. Die Kriegsparteien übernehmen dafür keine Verantwortung.
taz: Was für Verbrechen begehen die Kriegsparteien?
Ali: Am schlimmsten ist die wahllose Bombardierung der Zivilbevölkerung. Keine Kriegspartei nimmt die geringste Rücksicht auf zivile Opfer – in Khartum, in Gezira, in Darfur. Öffentliche Einrichtungen, Kliniken und Schulen werden zerstört.
taz: Werden diese Verbrechen gezielt begangen oder gerät der Konflikt außer Kontrolle?
Ali: Ich glaube, der Konflikt gerät außer Kontrolle. Es gibt inzwischen so viele Player, Milizengruppen, die die Konfliktlage ausnutzen.
taz: Wie können Sie in dieser Lage überhaupt arbeiten? Gibt es noch funktionierende Infrastruktur?
Ali: In manchen Gegenden gibt es noch funktionierende staatliche Einrichtungen. Wir arbeiten mit den Ministerien, die es gibt, mit den zuständigen staatlichen Stellen, die Genehmigungen ausstellen müssen, damit wir arbeiten können. Das gilt für den Osten Sudans und andere Gebiete unter Armeekontrolle.
Es gibt Gebiete, vor allem in Darfur, wo die RSF-Miliz die Oberhand hat und parallele Systeme aufgebaut hat. Da verweigert dann die Regierung, dass wir Hilfe leisten. Wir müssen also in Sudan mit zwei Systemen und zwei Kriegsgegnern gleichzeitig arbeiten.
taz: Es stehen Friedensgespräche in Aussicht. Könnte das die Lage verbessern?
Ali: Wenn wir keinen humanitären Waffenstillstand erreichen, werden wir in eine noch viel schlimmere Lage geraten. In den nächsten drei Monaten ist Regenzeit. Da müssten eigentlich die Bauern ihre Felder bestellen. Aber das ist in den meisten fruchtbaren Gebieten nicht mehr möglich. Die Leute haben Angst, auf ihre Felder zu gehen, und die liegen brach. Wenn die Aussaat ausfällt, gibt es keine Ernte.
taz: Und wenn die Kämpfe weitergehen?
Ali: Dann kommt sehr bald eine schwere Hungersnot. Die Bevölkerung wird sehr stark leiden, weil der Konflikt zunimmt, weil es immer neue Frontlinien gibt, weil sexualisierte Gewalt zunimmt.
taz: Haben Sie daran gedacht, aufzuhören?
Ali: Wir werden die Menschen in Sudan nicht im Stich lassen. Wir arbeiten mit allen Szenarien. Und wir haben in Sudan selbstorganisierte Gemeinschaftsinitiativen in Dörfern und Ortschaften, die es uns ermöglichen, Menschen zu erreichen. Das habe ich noch nirgendwo sonst so gesehen.
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