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Die Schottin, die England liebte

Die Kriminalautorin Josephine Tey wird derzeit allerorten wiederentdeckt – sehr zu Recht, denn die Romane der vor zweiundsiebzig Jahren verstorbenen Britin sind Glanzstücke des Genres

Aus dem Leben von Elizabeth MacKintosh alias Jose­phine Tey ist wenig bekannt Foto: Sasha/Hulton Archive/getty images

Von Katharina Granzin

Sie ist als Person fast so geheimnisvoll geblieben wie manche ihrer Romanfiguren – und ist wohl auch deshalb selbst zu einer solchen geworden. Josephine Tey (1896–1952) gehörte zu den bekanntesten Autorinnen des sogenannten Golden Agedes klassischen britischen Kriminalromans, erreichte beim deutschsprachigen Publikum aber nie dieselbe Popularität wie etwa Agatha Christie oder Dorothy Sayers. Das liegt sicher auch daran, dass sie anders als die Kolleginnen nicht so sehr am genrespezifischen Whodunitinteressiert war, sondern vielmehr an der inneren Verfasstheit ihrer fiktionalen Charaktere und an den sozialen Milieus, in denen sie sich bewegen. Ins Krimiregal scheinen ihre Romane gar nicht wirklich zu passen, so sehr sperren sie sich mit ihrer stilistischen Gewandtheit und ihrer Ironie, dem insgesamt „literarischen“ Habitus, gegen die Genrezuweisung.

Dass Tey in jüngster Zeit erneut zu Ehren kommt – nun, da die Rechte mehr als siebzig Jahre nach ihrem Tod gemeinfrei sind – und sogar parallel in verschiedenen deutschsprachigen Übersetzungen neu herausgegeben wird, ist auch der britischen Autorin Nicola Upson zu verdanken, die Tey auf originelle Art wieder ins Gespräch gebracht hat. Upson ist seit 2008 eine feste Größe im heutigen Whodunit-Business. Ihre Romane, deren deutschsprachige Ausgaben bei Kein & Aber erscheinen, spielen sämtlich in den 30er und 40er Jahren, dem Zeitalter des Golden Age, imitieren dabei sehr geschickt das historische Genre, und ihre Heldin ist keine andere als eben Josephine Tey. Es handelt sich um eine fiktionalisierte Version der wirklichen Autorin, denn vieles weiß man über Tey, die mit bürgerlichem Namen ­Elizabeth MacKintosh hieß, einfach nicht. Upson hatte eigentlich den Plan gehabt, eine Biographie über die von ihr bewunderte Schriftstellerin zu schreiben, gab dieses Vorhaben jedoch auf, weil es kaum möglich schien, genügend persönliche Details über diese Ms. MacKintosh herauszufinden, die sich zeitlebens jedem Interview verweigerte. Eher als Notlösung verlegte sich die einstige Journalistin Nicola Upson aufs freie Fantasieren – und traut sich dabei einiges. Dass Upson ihrer fiktiven Version der verstorbenen Kollegin zum Beispiel eine lesbische Beziehung andichtet, ist durchaus als einigermaßen übergriffig zu bewerten.

Josephine Tey beziehungsweise Elizabeth MacKintosh selbst hatte ursprünglich andere Pläne gehabt und keineswegs den Wunsch, als Kriminalschriftstellerin in die Literaturgeschichte einzugehen. Aufgewachsen im schottischen Inverness, ging sie als junge Frau nach Birmingham, um sich als Sportlehrerin ausbilden zu lassen, arbeitete einige Jahre in diesem Beruf, gab ihn aber auf, als ihre Mutter an Krebs erkrankte, und kehrte nach Inverness zurück, um sie zu pflegen. Auch in den Jahrzehnten nach dem Tod der Mutter blieb sie im Elternhaus und kümmerte sich um den Vater. Und immerhin brachte diese häusliche Zurückgezogenheit es mit sich, dass sie sich nun verstärkt dem ­Schreiben zuwandte. Inverness sollte bis zu Teys frühem Tod ihr Lebensmittelpunkt bleiben.

Der zunehmende schriftstellerische Erfolg brachte es aber auch mit sich, dass sie sich immer wieder wenigstens für kurze Zeit in London aufhalten musste, wo Mac­Kintosh, noch bevor sie als Kriminalschriftstellerin bekannt wurde, unter dem Pseudonym Gordon Daviot als Dramatikerin reüssierte. Ihr erstes Theaterstück „Richard of Bordeaux“ über Richard II. wurde ein geradezu sagenhafter Publikumsrenner, lief fast ein Jahr lang am Stück am New Theatre in London und machte den Schauspieler John Gielgud zum Star. Allerdings konnte die Autorin mit keinem ihrer späteren Dramentexte – alle behandelten historische oder biblische Stoffe – an diesen Erfolg anknüpfen.

Als unverhofft erfolgreich erwies sich dagegen etwas, das sie Gielgud gegenüber einmal als „mein jährliches Strickzeug“ bezeichnete. Dieses Zitat muss allerdings aus späteren Jahren stammen, denn nach dem ersten Krimi „The Man in the Queue“, der 1929 noch unter dem Autorennamen Gordon Daviot veröffentlicht wurde, dauerte es ganze acht Jahre bis zum zweiten, „A Shilling for Candles“ (den Alfred Hitchcock als „Jung und unschuldig“ ziemlich frei verfilmte). Ab diesem Buch nannte die Autorin sich als Kriminalschriftstellerin Josephine Tey. Insgesamt schrieb sie lediglich acht Kriminalromane. Die deutlich langlebigere Agatha Christie brachte es auf 66.

Als „Warten auf den Tod“ ist „The Man in the Queue“ gerade in deutscher Übersetzung von Jochen Schimmang bei Oktopus erschienen, und unter dem Titel „Der Mord in der Schlange“, übersetzt von Alfred Dunkel, wird im August eine weitere Ausgabe desselben Romans bei Anaconda herauskommen. Beide Übersetzungen sind nicht neu, sondern wurden für früher erschienene Ausgaben angefertigt.

„The Man in the Queue“ ist, verglichen mit späteren Josephine-Tey-Romanen, in der Plot-Behandlung noch ein geradezu klassischer Whodunit: Im Gedränge einer Warte­schlange vor einem Theater wird ein Mann erstochen. Inspektor Alan Grant von Scotland Yard steht vor einem Rätsel, denn niemand will etwas bemerkt haben.

Wie der Inspektor diesen Fall löst, folgt weitgehend bekannten Mustern, doch bereits in diesem Roman wird deutlich, dass MacKintoshs/Teys/Daviots elegante Version des Genres sowohl stilistisch als auch sonst aus dem Raster herausragt: dass ihre Figurenzeichnung ausgesprochen lebendig gestaltet ist, ihr Gentleman-Inspektor ein komplexer und etwas rätselhafter Charakter zu sein scheint, dass eine dezente erzählerische Uneigentlichkeit im Hintergrund waltet und dass nicht zuletzt die Landschaftsbeschreibungen von großer Naturverbundenheit zeugen. Zum überwiegenden Teil spielt der Roman in London, zu einem kleineren aber auch in einer abgelegenen Gegend der schottischen Highlands, womit die Autorin die beiden Lebenswelten umreißt, die sie wohl am besten kannte.

In späteren Büchern ging Tey oft sehr experimentell mit dem Genre um. Das herausragende Beispiel dafür ist ihr Roman „The Daughter of Time“ (dt. „Alibi für einen König“, Oktopus 2022), worin Inspektor Grant, an ein Krankenhausbett gefesselt, durch historische Recherchen nachweist, dass Richard III., anders als in Shakespeares Drama dargestellt, nicht der Mörder seiner prinzlichen Neffen war, sondern diese Behauptung allein auf einer Intrige des konkurrierenden Tudor-Clans beruht. Wie hartnäckig sich Richards Neffenmörder-Image bis in neueste Zeit gehalten hat, erzählte erst kürzlich Stephen Frears’ Film „The Lost King“ von 2023. Von der British Crime Writers Association wurde „The Daughter of Time“ zum besten Kriminalroman aller Zeiten gekürt.

Die Autorin hat spürbar Freude daran, gegen den schottischen Nationalismus zu sticheln

Auch „The Singing Sands“ („Der letzte Zug nach Schottland“, Oktopus 2023), Josephine Teys letzter, 1952 posthum veröffentlichter Roman, ist in vieler Hinsicht für seine Entstehungszeit außergewöhnlich. Mindestens ebenso sehr wie um die Lösung eines Kriminalfalls – den es außerdem womöglich nicht einmal gibt – geht es hier um die Suche des Helden nach sich selbst. Inspektor Grant, zu Beginn des Romans von Panikattacken und depressiven Phasen geplagt, wird nach und nach geheilt – zum einen durch die obsessive Beschäftigung mit dem Tod eines jungen Mannes, der im selben Zug starb, mit dem Grant selbst nach Schottland gefahren war, um Freunde zu besuchen. Zum anderen ist es der Aufenthalt in der rauen nördlichen Natur, der ihn wieder ins Leben zurückholt.

Die Autorin hat spürbar Freude daran, die Landschaft immer wieder ins Bild zu rücken – und nicht minder daran, gegen den schottischen Nationalismus zu sticheln. Tey, obgleich selbst Schottin, war ausgesprochen anglophil und hielt in ihren Büchern nicht mit Kritik an den Landsleuten hinter dem Berg. „Der Charakterzug des Schottischen“, heißt es in ihrem letzten Buch, sei „unverdünnt beißend wie Ammoniak.“ Die boshafte literarische Karikatur eines besonders nervigen, ungebeten immer wieder auftauchenden Nationalisten durchzieht den Roman.

Als Elizabeth MacKintosh starb, hinterließ sie denn auch ihr gesamtes Vermögen dem National Trust of England. Das Geheimnis ihrer sexuellen Orientierung aber nahm sie mit ins Grab.

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