Palästina-Demo in Berlin: Kritik an Polizeigewalt
Videos zeigen brutale Festnahmen bei einer Palästina-Demo in Berlin. Seit Monaten verzeichnet eine Beratungsstelle viele Anfragen wegen Polizeigewalt.
BERLIN taz | Ein Polizist traktiert einen am Boden fixierten Jugendlichen mit Faustschlägen. Ein anderer Beamter würgt eine kniende Demonstrantin und sagt „Hör auf zu schauspielern“. Eine Frau wird unvermittelt von hinten von einem Polizisten zu Boden gestoßen: Videos in den sozialen Netzwerken zeigen gewaltsame Festnahmen während und nach einer propalästinensischen Demonstration in Kreuzberg und Mitte am Samstag. Nun wird Kritik am Vorgehen der Polizei laut.
Die Gruppe „Palästina Spricht“, die unter anderem zu der Demo aufgerufen hatte, wirft der Polizei in einem Statement „grundlose und unverhältnismäßige Gewalt“ vor. Es seien 17 Demonstrant*innen brutal festgenommen worden, darunter zwei Minderjährige. Es habe sieben Verletzte gegeben. „Wir halten fest, dass die Polizei den Teilnehmenden ihre Grundrechte als Protestierende verwehrt“, kritisiert die Gruppe.
Rund 1.000 Personen waren am Samstagnachmittag über die Oranien- und Axel-Springer-Straße Richtung Spittelmarkt gezogen. Dabei kam es laut Polizei zu zahlreichen Zwischenfällen. Es seien volksverhetzende Parolen gerufen sowie Steine, Eier und gefüllte Plastikflaschen in Richtung einer Gegendemonstration vor dem Axel-Springer-Verlagshaus geworfen worden. Dabei sei eine Demonstrantin durch einen Steinwurf aus den eigenen Reihen verletzt worden. Zudem hätten einige Personen „Hamas“-Sprechchöre angestimmt.
Die Demonstration wurde vor dem geplanten Endpunkt für beendet erklärt. Die Polizei habe 24 Personen vorübergehend festgenommen und 31 Ermittlungsverfahren eingeleitet. 10 Polizisten seien verletzt worden. Verletzte Demo-Teilnehmende seien der Polizei – bis auf die eine Person – nicht bekannt.
Eine Nachfrage der taz, ob auch Ermittlungen gegen Polizeibeamt*innen aufgenommen wurden, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
„Wir kommen gar nicht hinterher“
„Die Polizei schießt völlig über das Ziel hinaus“, kritisierte der Linken-Abgeordnete Ferat Koçak gegenüber der taz. Es gelte stets, Grundrechte zu wahren und das mildere Mittel zu wählen. Koçak hat in den vergangenen Monaten immer wieder Palästina-Demos beobachtet. Auch gegen friedliche Proteste sei die Polizei oft unverhältnismäßig vorgegangen. „Zum Teil verhält sich die Polizei so, als seien die Demos ein Trainingsfeld für Polizeischüler“, sagte Koçak.
Sanchita Basu von der Beratungsstelle ReachOut sagte der taz, seit einigen Monaten sei der Bedarf groß: „Wir kommen gar nicht hinterher. Wir hatten noch nie so viel Vorlauf für einen Termin.“ Das liege zwar auch an einem Anstieg rechtsextremer Übergriffe. Doch die Polizeigewalt gegen propalästinensische Protestierende trage ebenfalls in erheblichem Maße dazu bei.
Kaum Handhabe bei rassistischer Polizeigewalt
„Die Menschen, die sich nach den Demos bei uns Hilfe suchen, sind sehr divers: Personen mit palästinensischem Hintergrund in jedem Alter, aber auch viele weiße Personen kommen“, berichtete Basu. Sie erhielten rechtliche Unterstützung, und, falls nötig, psychologische Beratung sowie medizinische Versorgung.
„Wie immer, wenn es um rassistische Polizeigewalt geht, haben wir kaum Handhabe“, kritisierte Basu. Fast jede*r Betroffene kriege eine Gegenanzeige, werde also wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte“ angezeigt. Viele bräuchten juristischen Beistand, könnten sich den aber nicht leisten. ReachOut vermittelt Anwält*innen und unterstützt Betroffene, die Polizisten anzeigen wollen.
Leser*innenkommentare
Pflasterstrand
man kann nur hoffen, dass diese brutalen übergriffe zur anzeige kommen, und in der folge sichergestellt werden kann, dass solche gewaltfetischisten in uniform nie wieder auf kosten von steuerzahlerinnen das den rechtsstaat attackieren dürfen.
fassungslos macht mich im übrigen auch die misogynie, die in den mehrfach gezeigten hinterhältigen angriffen auf frauen von schwer bewaffneten männern aus der gruppe heraus zum ausdruck kommt. das ist echt beunruhigend.
Jim Hawkins
Dass die Berliner Cops bei Demos nicht auf Samtpfoten daherkommen, das ist bekannt.
Der Fairness halber muss man aber sagen, dass von diesen israelfeindlichen Demonstrationen zunehmend Gewalt gegen Journalisten, Gegendemonstranten und Polizisten ausgeht.
Hier das jüngste Beispiel. Man skandiert nicht nur ohne viel Federlesen "Hamas Hamas", man wirft auch Flaschen auf Gegendemonstranten und bedrängt Journalisten:
www.facebook.com/j...d=rS40aB7S9Ucbxw6v
Pflasterstrand
@Jim Hawkins Dein kommentar macht echt sprachlos. ist das wirklich alles ist, was Dir zu derart exzessiver polizeigewalt einfällt? weisst Du denn überhaupt, ob die in den videos gezeigten personen gewalt gegen journalisten, gegendemonstranten und polizisten ausgeübt haben? und, selbst wenn, bist Du ernsthaft der meinung, dass ihnen von seiten der exekutivkräfte eines rechtsstaates die selbe behandlung zukommen sollte? das wären ganz schön totalitäre reflexe, meinst Du nicht?
Jim Hawkins
@Pflasterstrand Ach Gottchen, ich habe im Laufe meines politischen Lebens weiß Gott genug exzessive Polizeigewalt erlebt.
Wie soll ich mit jemandem diskutieren, der mir "totalitäre Reflexe" unterstellt? Mich damit zu einer Art Nazi macht.
Und sich dadurch aus jedem halbwegs demokratischen Diskurs verabschiedet.
Weil er es anders wohl nicht hinbekommt.
Harmo-Nie
@Jim Hawkins Setzen wir uns heute ausnahmsweise für Polizeigewalt in Deutschland ein, weil es gegen die "Richtigen" geht?
Harmo-Nie
Da haben die Medien ganze Arbeit geleistet.
TeeTS
Je brutaler das Vorgehen der Polizei gegen Demonstrantinnen ist, je mehr wird Antisemitismus gefördert und ein offener sachlicher Diskurs unmöglich gemacht.
Diskurs ist halt nicht möglich, wenn man brutal zusammen geschlagen wird.
Die Berliner Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden haben hier seit Tag 1 versagt.
Dieses Verhalten macht Berlin nicht für jüdisches Leben sicherer, sondern immer unmöglicher.