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Gerettetes Baby in GriechenlandAußenposten mit Vorbildfunktion

Der Fall eines geretteten Flüchtlingsbabys auf der Insel Tilos bewegt Griechenland. Bürgermeisterin Maria Kamma würde gerne mehr tun.

Maria Kamma ist für ihre ausgesprochen flüchtlingsfreundliche Haltung bekannt Foto: Thanassis Stavrakis/picture alliance

Athen taz | Maria Kamma, die 54-jährige Bürgermeisterin der griechischen Insel Tilos, ist für ihre ausgesprochen flüchtlingsfreundliche Haltung bekannt. Dass die rührende Geschichte um das Baby Jonah, die ganz Griechenland bewegte, sich in ihrem Verwaltungsgebiet abspielte, hat also etwas Logisches.

Jonah war am vorigen Wochenende mit seinen aus Afghanistan geflüchteten Eltern und anderen Familienangehörigen in einem Boot an einem felsigen Küstenabschnitt von Tilos, einer nordwestlich von Rhodos gelegenen kleinen Insel, gestrandet. Mitflüchtende, die an einer anderen Stelle auf Tilos an Land ankamen, meldeten die Familie als vermisst. Drei Tage verstrichen, bis sie von den Behörden gerettet werden konnte.

Dem Baby, das erst am 25. Juni auf der Flucht auf die Welt gekommen war, gaben die Eltern notgedrungen mit Meerwasser vermischtes Milchpulver, als ihr Trinkwasser ausging. So überlebte es. Die griechische Küstenwache brachte die Familie mit einem kleinen Schlauchboot in Sicherheit.

Inzwischen sei Jonah mit seiner Familie in das Aufnahmelager für Flüchtlinge auf der Insel Leros gebracht worden, so Bürgermeisterin Kamma zur taz. „So sollte eine menschliche Gesellschaft sein. Das Selbstverständliche ist heute selten“, fügt Kamma hinzu. Sie versicherte, Tilos werde allen Flüchtlingen und Migranten weiter „so gut wie möglich helfen“. Jonah gehe es gut. Über Facebook wünschte ihm Kamma noch alles Gute: „Viel Glück, unser kleiner Junge! Möge das Leben von nun an nicht mehr so grausam und ungerecht zu dir sein!“

Gerne würde Kamma Flüchtlingsfamilien auf Tilos behalten, ihnen eine Zukunft bieten. Das sieht ein einstimmiger Beschluss des Stadtrats von Tilos aus dem Jahr 2014 vor. Doch die Regierung in Athen unter dem konservativen Premier Kyriakos Mitsotakis verfolgt einen restriktiven Flüchtlingskurs: Wer es nach Tilos schafft, wird zeitnah in die Aufnahmelager der Nachbarinseln Leros und Kos gebracht, wie Jonah und Familie. In der taz lässt Kamma ihrem Frust darüber freien Lauf. „Wir haben tausende Touristen auf der Insel, im Sommer finden hier viele öffentliche Feiern statt. Wir suchen händeringend Arbeitskräfte.“

Arbeitskräfte gebraucht

Der rigide Athener Flüchtlingskurs sei oft kontraproduktiv. Ein Beispiel: eine Ziegenfarm, auf Tilos gegründet als Sozialgenossenschaftliches Unternehmen (Koinsep). Es stellte Käse her. Das ist vorbei. Denn Flüchtlinge, die zuvor zu den Koinsep-Genossen zählten und auf der Farm tätig waren, verloren gemäß eines Gesetzes der Regierung Mitsotakis das Recht auf eine Steuernummer und ihre Wohnung. Sie verließen Tilos. Ersatz ist nicht zu finden. Tilos hat zu wenig Einwohner.

Derweil kommen wieder mehr Schutzsuchende nach Griechenland. Offiziellen Angaben zufolge sind im ersten Halbjahr dieses Jahres 18.508 Neuankömmlinge registriert worden – ein Anstieg um 122 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum. Ist Hellas der Außenposten an Europas Flüchtlingsfront, dann ist Tilos ob seiner Lage nahe der türkischen Küste der Außenposten Griechenlands. „Tag für Tag kommen Dutzende neue Geflüchtete auf die Insel“, berichtet Kamma.

Unter der Ägide von Maria Kamma, die BWL studiert hat und seit 2012 als Bürgermeisterin von Tilos fungiert, ist die 900-Einwohner-Insel in vielen Belangen ein Vorreiter. Beispiel Energieversorgung: Die 62-Quadratkilometer-Insel versorgt sich völlig selbständig mit Wind- und Solarenergie, Tilos ist die erste energieautarke Insel im ganzen Mittelmeer. Ferner wird der gesamte Müll recycelt. Vielleicht wird ja auch Tilos’ Willkommenskultur ein Vorbild für den Rest des Landes.

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2 Kommentare

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  • Sie ist eben nicht nur Bürgermeisterin und eine Frau, sondern sicher auch Mutter oder Tante. Manchmal wünsche ich mir mehr Frauenpower.

  • Toll ! - solche Haltungen brauchen wir mehr, europaweit.



    Ansonsten verkommen wir immer mehr zu Menschen, die sich gegenseitig als legal oder illegal einordnen.