Instagram-Hype um Frucht: Wenn dir das Leben Zitronen schenkt

Ob als Modefarbe, Lebensmittel oder in Buchform: Im Internet kann man sich der Zitrone kaum entziehen. Woher kommt der Hype um die Zitrusfrucht?

Warum guckst du so sauer? Illustration: Imke Staats

Sobald ich Instagram öffne, sehe ich Zitronengelb. Auf einer Servierplatte wird Sorbet in ausgehöhlten Zitronenhälften präsentiert. Swipe. Eine Hand presst den Saft einer Zitrone über gegrillte Scampi. Swipe. Ein Pastarezept mit Zitronenschale, natürlich mit denen aus Sizilien. Swipe. Kaffee mit Zitrone – der neue Lifehack zum Abnehmen. Swipe. Werbung für ein Leinenhemd in Pastellgelb, Trendfarbe Zitrone. Swipe. Der Taschen Verlag veröffentlicht ein neues Coffee Table Book „The Gourmand’s – A Collection of Stories and Recipes“, es geht natürlich um Zitronen.

Die pastellgelbe Dauerbeschallung kann kein Zufall sein, denke ich, sie muss für einen Trend stehen. Es scheint, als hätten sich von der Profibäckerin über den Hobbykoch bis zur Interior Designerin alle abgesprochen: Wir posten jetzt nur noch Zitronen bei Instagram. Doch kann so ein alltägliches Lebensmittel über Trend werden?

Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, bestelle ich mir „The Gourmand’s“ von David Lane und Marina Tweed. Das Buch mit seinen großen Bildern und Rezepten macht Lust auf Sommer, und ich habe plötzlich Lust auf ein Glas eiskalte Cola mit einer Zitronenscheibe. Stattdessen lese ich und lerne, dass Zitronen schon seit Jahrtausenden abgebildet werden.

Der Brauch, sein Essen visuell zu dokumentieren, ist eben deutlich älter als Social Media. Schon im 5. Jh. v. Chr. wurden Zitronen in einer Höhle in Indien gemalt. Später tauchten sie in niederländischen Stillleben des 17. Jh., in der italienischen Renaissance ebenso wie bei den Kubisten und Surrealisten auf. Unter den großen Namen des 20. Jahrhunderts – von Matisse über Picasso, Cézanne und Kahlo bis zu Warhol und Lichtenstein – fanden sich einige Zitronenfans.

„The Gourmand's Lemon. A Collection of Stories and Recipes“

Taschen Verlag, 272 Seiten

40 Euro

Süden, Jugendlichkeit, Frische

Während die Zitrusfrucht in Sprichwörtern eher für Negatives herhalten muss („When life gives you lemons“), steht sie in der bildenden Kunst für Luxus, Exotik, Fruchtbarkeit und Gesundheit. Doch nicht nur da, auch in der Literatur und in der Popmusik nimmt die Zitrone eine größere Rolle ein als, sagen wir, die Birne oder Zucchini. In „The Lemon Song“ von Led Zeppelin geht es darum, was passiert, wenn man eine Zitrone zu fest drückt. Das Lied, das voller sexueller Anspielungen ist, führte dazu, dass Fans bei Konzerten Zitronen auf die Bühne warfen.

Die kurzen Essays über das Vermächtnis der Zitrone in Literatur, Kunst und Werbung sowie die verschiedenen Zitronen-Rezepte bilden in der Gesamtheit eine Ode an die Königin der Zitrusfrucht. Und obwohl ­Instagram in den Texten nicht erwähnt wird, erklärt das Buch dann vielleicht doch, wie die Zitrone zum Hype werden konnte. Schließlich verbinden wir mit ihr vor allem Sommer und die Sehnsucht nach dem Süden, Jugendlichkeit, Frische und Gesundes. Alles Dinge, die bei Instagram gut funk­tionieren.

Dass Menschen im Netz teilen, was sie essen, ist mittlerweile vollkommen normal. Bevor wir mit der Gabel den ersten Bissen vom Teller nehmen, schießen wir erst einmal ein Foto (#cameraeatsfirst). Unabhängig ob Zuhause, von der Portion Pommes im Freibad oder im Sternerestaurant. Und das machen nicht nur Food-Influencer, also Menschen, die damit Geld verdienen, sondern auch der bayrische Ministerpräsident Markus Söder und ich so.

„Das Auge isst mit“

Immer wieder passiert es, dass bestimmte Lebensmittel oder Rezepte viral gehen. Das Avocadobrot beispielsweise hat seinen Welterfolg Instagram zu verdanken. Studien zeigen, dass YouTube, Instagram und Co unser Essverhalten verändert haben. Das wissen Gastronom_innen gleichermaßen wie Food-­Blogger, weswegen Essen längst eine Frage der Ästhetik geworden ist. Restaurants reagieren darauf und kreieren ihre Gerichte so, dass sie besonders fotogen sind.

Doch wieso fotografieren Menschen überhaupt so gerne ihr Essen? Die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout, die zum Wandel von Food Photography geforscht hat, sieht dafür mehrere Gründe: „Vielen geht es darum, sich an ein schönes oder gutes Essen zu erinnern. Aber natürlich spielt es auch eine Rolle, mit dem Essen einen bestimmten Status für sich zu beanspruchen.“ Dass Essen ästhetisch angerichtet werde, sei in jedem Fall kein neuer Trend. Das Sprichwort „Das Auge isst mit“ beweist das.

Wie ein Hype oder Trend in sozialen Medien genau entsteht, lässt sich nicht immer nachvollziehen. Manchmal postet ein Promi ein Rezept, das dann alle nachkochen oder eine bestimmte Ästhetik setzt sich zu einer bestimmten Zeit eben durch. Auch Kohout kann die Zitrone nicht erklären: „Heutzutage ist es viel schwerer geworden, einzelne Trends zu bestimmen, weil unsere Timeline mittlerweile so stark ein Spiegel unserer eigenen Interessen und Community ist.“

Die pastellgelbe Timeline täuscht

So ein Phänomen wie das Avocadobrot könnte also heute, gar nicht mehr so leicht geben, weil unser Feed mittlerweile viel stärker mit personalisierten Algorithmen arbeitet als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. So ist es sehr unwahrscheinlich, dass einem Veganer das Foto eines Steaks reingespült wird oder einer Fleischesserin eine Healthy Bowl. „Essen ist als Lifestyle-Element auch identitätsstiftend und man zeigt, mit dem, was man isst, auch Zugehörigkeit oder übt Distinktion aus“, sagt Kohout.

Statt einzelner Lebensmittel seien Trends jetzt eher über Stilmittel zu erkennen. Dabei funktionieren Essen in den sozialen Medien unterschiedlich: Während bei Instagram die Ästhetik im Vordergrund steht, ist es bei Tiktok die Show. Hier muss die Schokosauce live über das Dessert gekippt werden oder selbst am Tisch gegrillt werden. Hauptsache es zischt, dampft und brennt.

In der Fotografie bei Instagram wird dagegen auf eine cleanere Ästhetik oder auf viel Blitz und Kontrast gesetzt. Bei YouTube und in Reels dominieren nicht Videos fertiger Gerichte, sondern von der Zubereitung inklusiver ASMR-Effekte. Also Essen in Nahaufnahme, Waschen und Schneiden ins Slow Motion – Dinge, die einen beim Zugucken stimulieren sollen.

Vielleicht ist die Zitrone also gar nicht der alles bestimmende Sommertrend. Ich habe mich von meiner pastellgelben Timeline täuschen lassen. In Wahrheit feiert die Zitrone vermutlich jeden Sommer ein neues Comeback. Schließlich hatten schon unsere Omas die Plastiktischdecken mit Zitronen im Sommer auf ihren Gartentisch, Beyoncé verwüstet im zitronengelben Kleid auf ihrem Album „Lemonade“ die Stadt und das Kochbuch „Simple“ von Otto­lenghi, auf dessen Cover eine große gelbe Zitrone prankt, steht mittlerweile in jeder Küche und hat damals für einen neuen Hype der Zitrusfrucht gesorgt. Wir vergessen in den grauen, trüben Wintern nur immer, wie schön das sommerliche Leben mit der Zitrone ist.

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