Krieg in der Ukraine: Reaktoren bleiben Risiko

Laut IAEA wurde beim Brand im AKW Saporischschja vor allem das Innere des Kühlturms beschädigt. Die Sorge ums russische Kernkraftwerk Kursk wächst.

Wegen des ukrainische Vorstoßes auf russischem Gebiet rückt nun das AKW Kursk in den Fokus Foto: rtr

KYJIW taz | Der Brand vor einer Woche in einem Kühlturm des AKW Saporischschja hat offensichtlich vor allem das Innere des Turmes beschädigt. Zu diesem Schluss kommen Experten der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, die den Kühlturm besuchen durften. Der Schaden konzentriert sich höchstwahrscheinlich auf das Innere des Turms in etwa zehn Metern Höhe, so die Experten, denen der die russische Rosatom „aus Sicherheitsgründen“ die Besichtigung von genau diesem Gebäudeabschnitt verwehrt hatte.

Genau an dieser Stelle, erklärte die ukrainische Atomexpertin Olga Koscharna im russischen Dienst der Deutschen Welle, habe sich ein Dieselgenerator befunden. Und wenn dort entsprechend viel Diesel vorrätig gewesen sei, sei verständlich, warum die aktuellen Betreiber den Brand nicht hatten unter Kontrolle bringen können.

Auch wenn sich alle sechs Reaktoren des ukrainischen AKW derzeit im Zustand einer Kaltabschaltung, der sichersten Form einer Abschaltung, befinden, sehen Experten dennoch Gefahren, die von Saporischschja ausgehen. In den Räumlichkeiten des Atomkraftwerkes befinden sich Truppen und Waffen, von den Dächern der Gebäude schießen die Soldaten der russischen Armee auf umliegende Ortschaften, so Koscharna. Auch sei das Gelände teilweise vermint. Ein großes Problem im AKW sei die mangelnde fachliche Kompetenz der russischen Mitarbeiter. So seien dort Rosatom-Mitarbeiter, die zuvor im AKW Kursk, in dem ein ganz anderer Reaktortyp eingesetzt wird, im Einsatz.

Gegenüber dem oppositionellen russischen Medium Meduza fürchtet Dmitri Gortschakow, Atomexperte bei der Umweltgruppe Bellona, ein mögliches Wiederanfahren des Reaktors durch Russland. So habe Russland den Bau einer neuen Pumpstation auf dem Gelände angekündigt – angeblich für das Kühlbecken. Tatsächlich, so Gortschakow, ließe sich mit dieser geplanten Pumpanlage zum Ende des Jahres das Kraftwerk wieder anfahren. Derzeit ist das AKW Saporischschja an das ukrainische Stromnetz angeschlossen. Doch es gebe Indizien, so Gortschakow, wonach Russland den Anschluss des AKW an das Netz der von Russland kontrollierten Gebiete plane.

Größere Sorgen macht Fachleuten das russische Atomkraftwerk Kursk in der Kleinstadt Kurtschatow, 65 Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze entfernt. Denn es liegt nur ein paar Dutzend Kilometer von den von der Ukraine besetzten Gebieten weg. Noch vor wenigen Tagen hatte die Stadt Kurtschatow auf ihrem Telegram-Kanal ihre Bürger gewarnt, die Luftabwehr „bei der Arbeit“ zu fotografieren. Offensichtlich haben also die ukrainischen Angriffe die Atomstadt erreicht.

Es sind vor allem zwei Umstände, die Kämpfe um das AKW Kursk wesentlich gefährlicher erscheinen lassen als der Kampf um das AKW Saporischschja: Zum einen stehen in Kurtschatow graphitmoderierte RBMK-Reaktoren, Typ Tschernobyl. Das Gefährliche an diesen Reaktoren, so der russische Atomphysiker Andrej Oscharowski gegenüber der taz, sei, dass diese keine Betonschutzhülle hätten.

„In anderen Kernkraftwerken gibt es eine dickwandige Schutzhülle aus Beton, manchmal auch Confinement genannt, die zumindest vor kleinkalibriger Artillerie schützt. In RBMK-Reaktoren sind die Reaktoren wehrlos, und im Falle eines – Gott bewahre – absichtlichen Beschusses oder einer verirrten Granate mit einem Kaliber von 150 Millimetern und mehr kann der Reaktor selbst beschädigt werden“, so der Experte. Zum anderen sei das Material in diesen Reaktoren hochentzündlich. Heißt: Bei einem Unglück kann Graphit bis zu zwei Wochen lang brennen – wie 1986 bei der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl.

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