Strategiewechsel in der Ukraine: Den Krieg nach Russland tragen

Die militärische Übermacht Putins ist eine nicht haltbare Behauptung. Das haben die jüngsten ukrainischen Eroberungen in Russland gezeigt.

Präsident Selenskyj wechselt die Kriegsstrategie Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa

Der Krieg in der Ukraine wird nicht in der Ukraine entschieden, sondern in Russland. Diese Analyse bestimmt jetzt offensichtlich die ukrainische Militärstrategie, indem die ukrainischen Streitkräfte den Krieg nach Russland tragen.

In wenigen Tagen hat die Ukraine mit vergleichsweise geringen Mitteln mehr russisches Territorium unter ihre Kontrolle gebracht als Russland in der Ukraine mit massiven Dauerangriffen im vergangenen halben Jahr. Russlands Armee hat all ihre Kräfte an der ukrainischen Front im Einsatz und für die Heimatfront nichts in Reserve. Russlands Übermacht erweist sich als Papiertiger. Für Russlands Präsident Wladimir Putin ist das die brenzligste Situation seit dem Marsch auf Moskau des Söldnerführers Prigoschin im Juni 2023.

Natürlich wird die ukrainische Armee nicht nach Moskau marschieren. Sie wird aber, wenn sie sich im Gebiet Kursk halten kann, Russland dazu zwingen, Kräfte aus der Ukraine abzuziehen und im eigenen Land einzusetzen. Berichten zufolge läuft das bereits, chao­tisch und ineffektiv – Putin hat die Abwehr dieses Angriffs zur „Antiterroroperation“ unter Kontrolle des Geheimdienstes erklärt, was Reibereien mit dem Generalstab nach sich zieht.

Wirren im Moskauer Machtapparat sind zu erwarten, während russische Bürger über ukrainische Panzer auf ihren Straßen staunen. So hat sich Putin seine dritte Amtszeit nicht vorgestellt.

Strategischer Sieg mit hohem Risiko

Für die Ukraine ist das – sofern diese Angriffe nicht nach hinten losgehen, was ein reales Risiko darstellt – ein strategischer Sieg. Sie versucht eben nicht mehr nur zunehmend vergeblich, ihr eigenes Territorium zu befreien. Sie eröffnet eine zweite Front, um Russlands Armee auf das eigene Staatsgebiet zurückzudrängen und damit ein Ende des Krieges in Sichtweite rücken zu lassen.

Denn erst wenn der Krieg, den Russland der Ukraine aufgezwungen hat, auf russischem Gebiet ausgetragen wird, wird auch in Moskau ein Interesse daran entstehen, ihn zu beenden. Das drängt Putin neben der militärischen auch in die politische Defensive. Jeder, der einen gerechten Frieden sucht, sollte daher der Ukraine beistehen. Jetzt erst recht.

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