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Bremer Autor über Beckenrand-Lesung„Ausdruck meiner Freibad-Liebe“

Geldsorgen und kleine Fluchten: Will Gmehling liest in Bremen aus seinem ausgezeichneten Roman „Freibad“ – am denkbar passendsten Ort.

Wenigstens kurz mal autonom sein von den Nöten der Eltern: Drei Mächen essen Freibadpommes Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

taz: Will Gmehling, gehen Sie gerne schwimmen?

Will Gmehling: Ja, ich bin leidenschaftlicher Freibadgänger. Im Sommer bin ich jeden Tag dort. Auch auf meinen Lesereisen habe ich immer eine Badehose dabei.

taz: Spielt deshalb die Geschichte der drei Bukowski-Kinder dort?

Gmehling: Ich wollte in dem Roman meiner Freibadliebe Ausdruck verleihen. Dieser besondere Ort hat gut zu den drei Kindern gepasst, deshalb spielt das Buch fast ausschließlich dort.

taz: Hinter den drei Kindern steckt eine Geschichte.

Gmehling: Vor einiger Zeit sind mir im Bremer Hauptbahnhof drei Kinder begegnet, denen man ansah, dass sie arm waren. Als sie an mir vorbei liefen, sagte das Mädchen zu den beiden Jungs: „Das können wir uns nicht leisten, wir haben nur noch drei Euro.“ Der Satz hat mich getroffen, deshalb taucht er auch fast genauso in meinem Buch auf.

taz: Armut, Klassenzugehörigkeit und das Aufwachsen in einer Hochhaussiedlung kommen auch in Ihren anderen Büchern vor. Kennen Sie das selbst?

Maryam Karzakmurzaeva
Will Gmehling

66, Autor, publiziert seit 1998 Kinder- und Jugendbücher, lebt in Bremen.

Gmehling: Armut ist ein weit gestreckter Begriff. Was viele Menschen kennen, ist Geldmangel. Ich bin selber in einer 50er-Jahre-Hochhaussiedlung groß geworden. Meine ­Eltern hatten einige Zeit lang sehr wenig Geld. Als Autor kenne ich Geldsorgen natürlich auch. Am liebsten lese ich in diesen Stadtteilen, in denen Menschen leben, die weniger Geld haben.

taz: Hatten Sie ein bestimmtes Anliegen?

Gmehling: Mir ging es vor allem darum aufzuzeigen, dass auch Menschen mit wenig Geld ein intaktes Leben führen können. Eine Zeit lang haben Po­li­ti­ke­r:in­nen und So­zio­lo­g:in­nen übers Prekariat gesprochen, als wüssten sie, was das ist, und damit immer nur Schwierigkeiten verbunden. Das hat mich sehr gestört. Ich wollte dem eine Art Würde zurückgeben.

taz: Wie genau?

Gmehling: Die Bukowski-Kinder werden in einer Umgebung groß, in denen ihnen zunächst nicht auffällt, wie andere diese wahrnehmen. Und die Eltern der Kinder sind wunderbar. Sie lesen vor, sind witzig und haben ein gutes Verhältnis zueinander. Aber ich wollte kein Buch über Klassismus schreiben.

taz: Wie erzählt man Geschichten für ­Kinder?

Gmehling: Für mich ist das Schreiben eine Expedition: Ich fange an und weiß nicht, was passieren wird. Es ist auch ein Unterschied, ob ich für eine zweite oder eine fünfte Klasse schreibe, dessen muss man sich bewusst sein. Und eine gewisse Nähe zu Kindern und tiefe Sympathie, das kann natürlich auch nicht ­schaden.

taz: Wie ist das bei Ihnen?

Die Lesung

LesungFreibad – Ein ganzer Sommer unter dem Himmel“: Sa., 3.8, 15.30 Uhr, Bremen, Horner Freibad. Bis zum 15. Lebensjahr kostet der Eintritt 1 Euro

Gmehling: Ich kann mich selbst gut an mein neunjähriges Ich erinnern, das ist hilfreich. Ich schaue Kinder an und höre ihnen zu, passe mich in meiner Wortwahl aber nur bedingt an Kinder- und Jugendsprache an. Es ist eine Kunstsprache und nicht direktes Abbild der Realität.

taz: Sind es oft Erlebnisse, die Sie ­inspirieren?

Gmehling: Vor einiger Zeit ist mir aufgefallen, wie viele Eltern vor ihren Kindern am Handy sitzen. Das finde ich sehr traurig und hat mich auf meine neueste Geschichte gebracht: Die Tochter sperrt die Eltern für drei Tage in den Keller ein, damit diese einen Handy­entzug machen. Das meiste fällt mir aber einfach so ein. Ich finde wichtig, dass Kinder auch einen Raum haben, den sie sich selbst gestalten und in dem sie autonom von den Nöten der Eltern sind.

taz: Thorben, ein Schulfreund des Protagonisten Alf Bukowski, kommt aus einer rechten Familie und äußert sich rassistisch. Ist es nicht wichtig, das in den Kontext zu setzen?

Gmehling: Eine lange Zeit dachten der Verlag und ich, dass das nicht wichtig wäre, weil Alf lediglich beschreibt was er sieht, es ist wenig Wertung dabei. Die Schwester Katinka versucht den Rassismus zu entlarven, aber auf eine kindliche Art und Weise. Inzwischen sind wir aber der Meinung, dass es eine kurze Anmerkung braucht. Die wird es in der neuen Auflage ­geben.

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