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Geplante Proteste in Nigeria„Tinubu muss weg“

Massenproteste gegen Korruption und Teuerung sollen ab dem 1. August Nigeria lahmlegen. Vorbild ist die Jugendprotestbewegung in Kenia.

Schon lange angespannte Lage: Protest in Nigerias Hauptstadt Abuja gegen höhere Strompreise, 13. Mai Foto: Sunday Alamba / ap

Abuja taz | Nigerias Regierung ist in höchster Alarmbereitschaft: Ab 1. August sind Massenproteste gegen Präsident Bola Tinubu geplant. Aktivisten mobilisieren unter Parolen wie „Tinubu Must Go“ (Tinubu muss weg) und „End Bad Governance“ (Setzt der schlechten Regierungsführung ein Ende) und verlangen Reformen des Wahlsystems, Maßnahmen gegen Korruption und niedrigere Strom- und Treibstoffpreise.

Am 1. August sollen in der Hauptstadt Abuja, der größten Metropole Lagos und anderen Millionenstädten wie Enugu, Kaduna, Kano und Port Harcourt zentrale Straßen und Flughäfen blockiert werden. Vor dem Parlamentsgebäude in Abuja sind Versammlungen geplant, ebenso vor den Gouverneurssitzen in verschiedenen Provinzen landesweit.

Es drohen Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften sowie mit regierungstreuen Demonstranten, die unter dem Motto „Protect Nigeria“ (Schützt Nigeria) auf die Straße gehen wollen. Die Proteste sind für zwei Wochen angesetzt, bis 15. August.

Die politische Lage ist entsprechend angespannt. Der Inlandsgeheimdienst DSS (Department of State Services) wirft der Protestbewegung vor, sie wolle die Regierung in ein schlechtes Licht stellen und die Massen gegen sie aufhetzen. Der DSS erklärte, sie habe „einen finsteren Plan gewisser Elemente, die Proteste zu unterwandern und zu nutzen, um Chaos und extreme Gewalt zu schüren,“ aufgedeckt. „Das langfristige Ziel ist Regimewechsel“, sagte DSS-Sprecher Peter Afunanya.

Dies folgt auf Vorwürfe des Präsidentensprechers Bayo Onanuga, dass die Oppositionspartei LP (Labour Party), deren Kandidat Peter Obi 2023 die Präsidentschaftswahlen gegen Tinubu und die Regierungspartei APC (All Progressives Congress) verlor, hinter den Protesten stecke.

Der Vorwurf wird von Oppositionellen zurückgewiesen. Agu Chineme, Generalsekretär der regionalen Organisation SERG (South East Revival Group), sagte: „Mit ihrer skrupellosen Propaganda stürzen die Schergen von Präsident Tinubu das Land ins Chaos, aus Verzweiflung nach nunmehr neun Jahren Scheitern der verschiedenen APC-Regierungen.“ Die Regierung habe ihre eigenen Vorhaben nicht umgesetzt und verbreite nun Lügen über Peter Obi, um vom eigenen Versagen abzulenken.

Polizeichef Kayode Egbetokun warnt im Vorlauf der Proteste vor Gewalt. „Wir werden nicht stillsitzen und zuschauen, wie Aktivisten unsere friedlichen Gemeinschaften mit Gewalt überziehen oder kritische Infrastruktur zerstören“, sagte er.

Nigerias Protestbewegung nimmt sich Kenia zum Vorbild, wo eine junge Protestbewegung seit Wochen gegen Präsident William Ruto auf die Straße geht und seinen Rücktritt fordert. Rund 50 Menschen sind dabei bisher ums Leben gekommen.

Andauernde Wirtschaftskrise

Hintergrund in beiden Ländern ist die andauernde Wirtschaftskrise. Kenia hat kürzlich einen Status als größte Volkswirtschaft in Ostafrika an Äthiopien. Nigeria ist unter Tinubu vom ersten auf den vierten Platz in Afrika abgerutscht, hinter Südafrika, Ägypten und Algerien, obwohl es mehr Einwohner hat als alle diese drei Länder zusammen.

Der IWF (Internationaler Währungsfonds) sieht für Nigeria dieses Jahr ein Wachstum von nur 3,3 Prozent voraus, kaum mehr als das Bevölkerungswachstum; seit Jahren tritt die Wirtschaft auf der Stelle.

Für Nigerias 72-jährigen Präsidenten Bola Tinubu, ehemals Gouverneur von Lagos, sind die erwarteten Proteste die größte politische Herausforderung seit seinem Wahlsieg 2023.

Erst vor acht Wochen hatte ein Generalstreik die Regierung in Bedrängnis gebracht. Am 18. Juli vereinbarte die Regierung schließlich mit dem Gewerkschaftsdachverband eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns von 30.000 Naira (18 Euro) auf 70.000 Naira (40 Euro) im Monat. Doch dann begannen Ausstände im Gesundheitswesen und im Universitätssektor. Die Inflationsrate liegt bei über 30 Prozent.

Ein neuer UN-Bericht, von der UN-Drogen- und Kriminalitätsbehörde UNODC gemeinsam mit dem nigerianischen Statistikamt NBS erstellt, errechnete außerdem, dass Nigerianer allein im Jahr 2023 umgerechnet über 1,15 Milliarden Euro Schmiergeld an öffentliche Bedienstete zahlen mussten. Der Anteil der Privatunternehmen, die Schmiergelder zahlen musste, sei von 6 Prozent im Jahr 2019 auf 14 Prozent vier Jahre später gestiegen.

Aber über 70 Prozent der Menschen hätten sich trotz Aufforderung geweigert, eine solche ungesetzliche Zahlung zu leisten, heißt es im Bericht „Corruption in Nigeria: Patterns and Trends“ – ein Zeichen, dass die Bürgerinnen und Bürger die korrupten Zustände nicht länger hinnehmen.

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2 Kommentare

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  • Ich lebe und arbeite schon seit einiger Zeit in Nigeria/Abuja. Auch finde Artikel sehr gut geschrieben.



    Würde mich freuen wenn es mehr Zeitungen gäbe die es interessiert.

  • Danke für diesen sehr informativen Artikel, der mal über den Tellerrand schaut!



    Das sind natürlich bedenkliche Entwicklungen und es bleibt zu hoffen, dass bei den angekündigten Protesten Niemand zu schaden kommt, wie im zum Vergleich herangezogenen Kenia.



    Den deutschen Jammerlappen sollten die Details ins Auge springen: während in Deutschland die Inflation innerhalb eines Jahres von knapp 10% auf 2,5 % gedrückt wurde, müssen sich die NigerianerInnen mit 70% Abwehrtung ihrer Währung gegenüber der Referenzwährung US Dollar herumschlagen.



    Während wir über ein funktionierendes Sozialsystem verfügen, ist in Nigeria der Trend zu zwei statt drei Mahlzeiten angesagt.



    Und während in der kommune Einige Deuschland weiterhin als "Niedriglohnland" bezeichnen, wurde in Nigeria gerade der Mindestlohn von 40 € pro Monat durchgesetzt .



    Nigeria ist innerhalb eines Jahres von Platz eins auf Platz 4 der Volkswirtschaften in Afrika abgerutscht .



    Deutschland ist, trotz des leichten Dämpfers im letzten Jahr, immer noch deutlich führende Wirtschaftskraft in Europa.



    Das Jammern ist wirklich eine deutsche Krankheit und Selbsterkenntnis wäre der erste Schritt zur Besserung...