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„Ich geh beichten. Das erleichtert“

Kirchentags-Spots: Der Bundespräsident will nicht über seinen Glauben reden, in der City gibt es kein Bier, und die Küster fürchten um ihre Zukunft

Von Klaus Irler und Kai Schöneberg

Mittwoch 18.15 Uhr, Hannover City. Die Pfadfinder haben alles im Griff. Keiner dringt mehr vor zum Opernplatz, wo Landesbischöfin Margot Käßmann zur Eröffnung predigt. Oben kreiseln Hubschrauber, unten haben die wenigsten Blickkontakt zur Bühne. Eine Frau sagt: „Arschkarte, von wegen um fünf Uhr da sein.“ Sie geht zur Leinwand am Georgsplatz, wo man Schröder, Köhler und Wulff zwar sehen, aber kaum hören kann. In der Bude des Kirchenkreises Unterlüß feuern Knirpse mit Zwillen auf Spielkarten. Die Jesus-Show kann beginnen.

Mittwoch, 19.30 Uhr, City, Abend der Begegnung. Bier haben nur ein paar Pfadfinder auf der Wiese hinter der Oper – Augustiner, das sie sich aus Bayern mitgebracht haben. „Wir hätten heute das Geschäft unseres Lebens machen können“, sagt eine Frau an einem Getränkestand, während sie eine Fanta fertig macht. „Aber wir dürfen ja nicht.“ Eine Drehorgel eiert „Griechischer Wein“.

Mittwoch, 20 Uhr, Hannover-City. Natürlich treibt die Sehnsucht. Auf einem Bistrotisch gibt es Buttons zum Ankleben. „Ich suche …“ steht darauf, mit Stiften kann man den Satz vollenden. „Ich suche … Sie ab 14 Jahren“ schreibt ein 16-Jähriger mit Strähnchen im Haar. Niemals wird er warm werden mit Martin, 22, der für „Kein Sex vor der Ehe“ wirbt. Martin redet von einem „Reichtum“, den man sich aufsparen könne, „dann wird’s später nicht langweilig“. Wie der Katholik mit der Lust umgeht, wenn seine Kollegen auf der Arbeit das Playmate des Monats rumreichen? „Ich gehe beichten“ sagt Martin. „Das erleichtert.“

Donnerstag, 11 Uhr, Expo-Gelände. Horst Köhler findet es nicht so einfach, „vor so vielen Menschen über so etwas intimes“ wie seinen Glauben zu sprechen. Vor 368 Tagen hat der Bundespräsident seine Antrittsrede mit der Formel „Gott segne unser Land“ beendet.

Donnerstag, 19.15 Uhr, Messegelände. „Wir müssen uns in der Gegenwart beschränken, um die Zukunft zu sichern“ sagt Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident a.D. Es geht um soziale Systeme und völliges Umsteuern. „Unsere Enkel werden sagen: Ihr habt den Generationenvertrag aufgekündigt, weil ihr keine Zukunftsicherung betrieben habt.“ Im Publikum ist kaum jemand unter 40, Bikos Gesprächspartnerin, die 22-jährige grüne Bundestagsabgeordnete Anna Lührmann, sieht gegen die graue Eminenz alt aus.

Donnerstag, 21.55 Uhr. Politisches Abendgebet, Amnesty International hat Plakate über die kühlen Flächen der Messehalle gehängt. Hier ist die Jugend auch nicht. Man trägt statt dessen Texte von Dorothee Sölle vor, irgendwie auch in Gedenken an die 70er und 80er Jahre. Die Musik kommt von der Band Habakuk: „Du stehst mit beiden Beinen auf meinen Träumen“ bleibt vom Text übrig.

Freitag, 11.15 Uhr, Messegelände. „Ich komme aus dem Ort Schlitz, was die Kontaktaufnahme mit fremden Menschen erleichtert“, sagt der Schriftsteller und Journalist Florian Illies bei einer Podiumsdiskussion zum Begriff „Heimat“. Er erzählt, dass die Ostdeutschen 1989 auf einmal Fahnen mit Thüringer Wappen schwenkten, die er nicht kannte. „Ik ooch nich‘“, meint Christoph Dieckmann von der Zeit, der in Sachsen-Anhalt aufgewachsen ist.

Freitag, 12 Uhr, Themenhalle Spiritualität. TV-Pfarrer Jürgen Fliege spricht über Spiritualität und Werte. Er sei zu den „Menschen, die die Kirche verlassen haben, geschickt“. Zwei Frauen halten ein Plakat mit der Aufschrift: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen – macht Fliege zum Kanzler.“ Sie meinen das ironisch. Fliege ist bei christlichen Fundis wegen seiner Bibel-Sprüche unbeliebt. „In den letzten Tagen, sagt Paulus, werden die Spötter kommen“, grollt eine der Protestlerinnen.

Freitag, 12.15 Uhr, Hannover City. Am Thielenplatz steht ein Posaunenchor inmitten vorbeirauschender Autos und Straßenbahnen. „Wir sind zusammengewürfelt aus der kirchenmusikalischen Provinz in Sachsen“, sagt der Dirigent. Man spielt „Lobet den Herren“, zwei der drei Zuhörer sind gekommen, weil sie die Musiker beherbergen. „Eigentlich sollten die am Bahnhof spielen“, sagt die Gastgeberin. „Jetzt haben sie sie hierher verlegt. Das haben die Musiker nicht verdient.“ Dafür applaudieren die drei Zuhörer frenetisch: Solidarität auf der Verkehrsinsel.

Freitag, 13 Uhr, Messegelände. „Wenn dein Kind dich morgen fragt: War ich ein Unfall?“ hat jemand auf die Wand des Zentralinstituts für Familienberatung auf dem Markt der Möglichkeiten gepinnt. Orthodoxe Kopten, Vegetarierbund, Esperanto-Jugend, Paliativmediziner aus Niedersachsen und Verwaiste Eltern aus Hamburg werben um Aufmerksamkeit. Rudolf Schäfer, Vorsitzender des Bundes Europäischer Küster, sorgt sich um den Sparkurs der Kirchen. Immer mehr Berufsküster würden durch Ehrenamtliche ersetzt. „Wir reinigen die Kirchen, bilden aus, machen Führungen“, sagt Schäfer. Mit den Ehrenamtlichen verkommen die Gotteshäuser über kurz oder lang, meint Schäfer. Und: „Wenn die Kirche muffig ist, kommt keine Stimmung auf“.

Freitag, 15 Uhr, Mädchen baden in den Teichen auf dem Messegelände. Florian, etwa 10, ist jetzt „Top-Scorer“ im „Bibel-Shuttle“, einem Bus, in dem Kiddis via Bildschirm „voll krasse Fragen zu Jesus“ beantworten. 300 Punkte für die Antwort auf die Frage, wer das erste Evangelium geschrieben hat. Florian: „Das hatten wir vor zwei Wochen in Reli.“

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