Gespräch über Reisebücher für Kinder: „Kids haben einen anderen Blick“

Britta Schmidt von Groeling verlegt Reisebücher speziell für Reisende mit Kindern. Schwierige Themen wie Kolonialismus spart sie keineswegs aus.

Ein blauhaariges Mädchen sitzt mit anderen Kindern bei einem Hafenimbiss am Tisch.

Hauptfigur der Reisebücher ist oft die blauhaarige Kim Foto: Abb. gezeichnet von Britta Bolle, aus „Ostsee for kids“

taz: Frau Schmidt von Groeling, Sie sind schon immer viel gereist. Als Sie kleine Kinder hatten, haben Sie sie auch auf Fernreisen mitgenommen?

Britta Schmidt von Groeling: Ja, wir haben uns gesagt, wenn wir zu zweit reisen können, können wir das mit Kindern auch. Also sind wir los, im Geländewagen mit Dachzelt, waren in Sambia und vielen Ländern im süd­lichen Afrika, in Asien, in Europa.

Was ist anders am Reisen mit Kindern?

Wer als Familie unterwegs ist, gerade mit kleinen Kindern, hat einen ganz anderen Zugang zu den Menschen. Du bist als Eltern unterwegs und wirst auch so angesprochen und nicht nur als Fremde. Da geht es in erster Linie um die Gemeinsamkeit, und das sind die Kinder. Das hat uns viel Mut gemacht.

Britta Schmidt von Groeling, 48, hat nach einer Aus­bildung zur Verlagskauffrau Publizistik, Politik­wissenschaften und Soziologie studiert. Seit 2019 ist sie hauptberuflich Verlegerin.

Auf der Website world-for-kids.com betreibt sie auch einen Reiseblog, außerdem hat sie Bücher mit Tipps für das Reisen mit Kindern und erzählende Kinderbücher, die sich um Reisen drehen, im Programm. Sie lebt mit ihrer Familie auf einem Hausboot in Berlin.

Was hat Sie dazu gebracht, Reiseführer zu schreiben?

Irgendwann waren die Kinder so alt, dass sie Fragen gestellt haben: Was ist das für eine Frucht? Wieso holt der Affe die Kokosnüsse von den Bäumen? Weshalb gibt es hier so kleine Häuschen, in die Leute Reisschalen stellen?

Wir waren damals in Thailand unterwegs, und ich hätte gerne für die Kinder ein Buch gehabt, in dem steht, welche Tiere es hier gibt, welche Pflanzen, was die Alltagsgeschichten sind. Und das gab’s nicht. Als wir das zweite Mal da waren, dachte ich, das musst du doch machen. Und da habe ich angefangen zu schreiben. Das war 2015, und ich hab noch in der IT gearbeitet.

Ein völlig anderes Metier.

Das mir auch Spaß gemacht hat, aber ich wollte immer noch etwas Kreatives machen, Sachtexte schreiben halt. Über die Mangos beispielsweise. Das soll informativ sein, die Kinder sollen etwas dabei lernen. Es soll sie neugierig machen, auch witzig sein. Es muss kurz und knackig sein. Dann habe ich noch von Thailand aus meine erste Illustratorin gesucht, Britta Bolle, die dieses blauhaarige Mädchen kreiert hat, und sie hat dann angefangen.

Da hatten Sie sich schon überlegt, alles konsequent aus Kinderperspektive zu schrei­ben. Kim, das blauhaarige Mädchen, erzählt Kindern von ihren Erlebnissen und Entdeckungen in Thailand. Inzwischen gibt es ja mehrere Kids, die von ihren Ferien erzählen.

Ja, ich habe mir überlegt, was interessiert denn die Kinder eigentlich? Die interessieren sich nicht für Sehenswürdigkeiten oder dafür, welche Spielplätze es gibt, für sie ist das neue Land der Spielplatz. Kinder entdecken jeden Tag Neues, und dazu brauchen sie keinen speziellen Ort, sondern gucken einfach am Straßenrand. Sie haben auch eine viel niedrigere Perspektive.

Sie sehen ganz andere Sachen als Erwachsene.

Ja, Kids haben einen anderen Blick auf die Dinge, sehen eher die kleinen Sachen, Details und vergleichen das mit ihren Erfahrungen, die sie von zu Hause mitbringen, und stellen fest: Das ist anders. Und dann fragen sie natürlich: Warum ist das anders?

Gibt es in Ihrer Reihe einen Autor, eine Autorin, der oder die keine Kinder hat?

Nein, das geht nicht. Du kannst nicht in ein Land fahren und glauben, du guckst dir das Land aus Kinderaugen an. Es ist auch überraschend, was Kids vor Ort spannend finden. Als Autorin muss man mit Kindern in das Land fahren, worüber man schreibt, und schauen: Was finden die da cool? Und das kommt ins Buch und sonst nichts.

Es gibt keine Sightseeingtouren oder Restauranttipps, sondern zusätzlich zu den genannten Themen Ratespiele, Ausmalseiten, Raum für Notizen.

Unsere Bücher versorgen Kinder mit Informationen, die für sie spannend sind. Und sie bieten mit den interaktiven Elementen auch Beschäftigung. Die Eltern können sich dann einen Familienreiseführer nehmen und damit Routen planen, Hotels finden. Ich bin der Meinung: Kinder interessiert etwas ganz anderes. Die sind eher in dem Wieso, Weshalb, Warum unterwegs, und das ist eher das, was wir machen.

World-for-kids-Bücher sind also eher Reisebegleiter als klassische Reiseführer. Dennoch sind die Bücher alle ähnlich strukturiert.

Ja. Es gibt sechs Kapitel, die immer gleich sind: die Tiere, die Pflanzen, Essen und Trinken. Das Leben. Sozusagen der erste Eindruck, wenn man ins Land kommt. Wie sieht es da aus, wie begrüßt man sich, was sprechen die Leute für eine Sprache?

Da sind auch immer ein paar Vokabeln mit drin. Und ein bisschen Geografie. Wie leben die Kinder da, was ist besonders, zum Beispiel Schuluniformen. Bei England und Frankreich haben wir extra Sprachkapitel gemacht. Dann gibt es immer eine Vorlesegeschichte und ein Kapitel über die Geschichte des Landes.

Wie geht kindgerechtes Schrei­ben?

Ich mache kein Lehrbuch, ich will auch keinen chronologischen Geschichtsabriss. Als Autorin überlege ich: Wo steckt ein Abenteuer drin, wo gibt es einen Konflikt, oder wo ist jemand besonders wagemutig gewesen? Gibt es eine Figur, die man heute auch immer noch interessant finden kann?

Und dann gibt es immer noch zwei landesspezifische Kapitel.

Ja, da können sich die Au­tor*in­nen aussuchen, was sie hervorheben wollen. Bei der Ostsee war das viel zu Schiffen, bei Kanada die Weite des Landes. Bei Griechenland kommen natürlich die alten Griechen vor. Und manchmal bleiben Themen übrig, die nicht so einfach zu erzählen sind.

Zum Beispiel wollten wir im Kanadabuch das Thema Bärenbegegnungen mit den Verhaltensregeln rüberbringen. Da hat die Autorin eine Vorlesegeschichte draus gemacht. Oder bei Tschechien, das eine so bewegte Geschichte hat. Gerade die jüngere Geschichte finde ich gar nicht so leicht zu erzählen.

Also habe ich die tschechische Geschichte aus Sicht eines alten Hauses erzählt, das in einer tschechischen Stadt stand. In ihm wohnte eine tschechische Familie, und das Haus erzählt, in großen Zeitsprüngen, wie es der Familie geht, während im Haus gegenüber immer die wohnen, die das Land gerade besetzt haben, also die Deutschen, die Russen und ganz am Anfang noch die Habsburger, k. u. k.

Dabei ist es mir wichtig, die Texte nicht wertend zu schreiben. Wir wollen, dass sie mit offenen Augen in die Welt gehen und sich dort umgucken. Vergleiche kann man natürlich anstellen. Was ist was, wie machen wir es zu Hause, wie wird es hier gemacht? Aber es gibt da kein Richtig und kein Falsch, jeder macht es so, wie er es aus seiner Kultur, aus seiner Tradition heraus kennt oder aus den Möglichkeiten, die man vielleicht hat, oder aus dem Klima.

In den Geschichtskapiteln werden auch schwere Themen wie Kolonialismus aufgegriffen.

Ja, ich finde, man darf Kindern eine Menge zutrauen. Oft werde ich von Autorinnen gefragt: Soll ich das nicht rauslassen, das ist ja zu brutal für die Kinder. Ich sage dann immer: Du musst es ja nicht brutal schrei­ben. Aber ich finde nicht, dass man die Dinge verschweigen sollte, nur weil man gerade nicht weiß, wie man sie erklären kann. Und gerade wenn es darum geht, dass einheimische Bevölkerungsgruppen von denen, die von außen kamen, unterdrückt wurden, ist es wichtig, das auch zu benennen.

In Aus­tralien, in Neuseeland, aber auch in Kanada spielt das eine große Rolle, aber auch in den euro­päi­schen Ländern wie beispielsweise Portugal. Wir erklären es sachlich, nicht, dass der eine der Gute und der andere der Böse ist, sondern: Die haben das gemacht, und dann ist denen das passiert. Die Wertung können die Kinder selbst vornehmen.

Noch ein Tipp zum Schluss?

Reisen mit Kindern ist einfacher als gedacht. Eltern sollten sich allerdings wohlfühlen, wenn sie die Reise antreten. Wenn man die ganze Zeit nur Sorge hat, dass etwas passiert, dann ist man unentspannt, und das färbt auf die Kinder ab.

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