: Das flexible Klassenzimmer
Eine Berliner Grundschule verabschiedet sich von traditionellen Klassenzimmern. In Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Architektur der Technischen Universität Berlin baut sie eine 400 Quadratmeter große „Lernlandschaft“
VON JUTTA BLUME
Die Hannah-Höch-Schule ist ein funktionaler Kasten aus den Siebzigerjahren. Die schlichte Architektur aus Stahlstützen und Betonelementen kam den Plänen des Schulleiters Michael Tlustek sehr entgegen. Denn anders als im Altbau kann die innere Raumaufteilung einer solchen Schule leicht verändert werden. Anstelle von vier Klassenzimmern entsteht nun an der Grundschule eine 400 Quadratmeter große Lernlandschaft.
Dadurch, dass die Flure wegfallen, steht jedem Kind zukünftig fast doppelt so viel Platz zur Verfügung. Wo momentan nicht mehr als ein entkernter Raum zu sehen ist, sollen im kommenden Schuljahr 75 Kinder im Alter von sechs bis zehn neue Lernformen ausprobieren. Organisch geformte Sitzecken, vier fahrbare Tribünen mit eingebauten Schränken und Tafeln, ein Theaterwagen, Computerecken, eine Kletterwand und eine Höhle werden nach und nach den Raum beleben. Durch die vielen flexiblen Elemente kann er immer wieder der jeweiligen Unterrichtssituation angepasst werden.
„Es ist eine Kombination aus Spielen und Lernen“, sagt Burkhardt Lüdtke, Professor für Modellbau an der Technischen Universität Berlin. Die Lernlandschaft haben Architekturstudierende in seinem Seminar entworfen. Ihre Ideen äußerten 25 Kinder bei einem Besuch an der TU, später stellten die Studierenden ihre Entwürfe bei einem Gegenbesuch vor.
Das Spektrum der Wünsche war breit, von einer Sofaecke bis hin zum Raumschiff. Um die Mehrzahl zu berücksichtigen, musste ein Fragebogen her, jedoch mit der Schwierigkeit, dass manche Kinder noch gar nicht lesen und schreiben konnten. Statt Sprache verwendeten die Studierenden Bilder. Inzwischen ist das Modell von den Schülerinnen und Schülern genehmigt, nur die farbliche Gestaltung muss noch abgestimmt werden.
Altersgemischtes Lernen und parallele Unterrichtsaktivitäten sind an der Hannah-Höch-Schule nicht neu, nur fehlten bisher die räumlichen Möglichkeiten. Seit sechs Jahren gibt es altersgemischte Lerngruppen von der ersten bis dritten und von der vierten bis sechsten Klasse. Die Kinder arbeiten selbstständig an Wochenplänen und unterstützen sich gegenseitig. Darüber, dass es in dem neuen Gruppenraum allzu chaotisch werden könnte, macht sich Michael Tlustek keine Sorgen: „Die Kinder lernen in einer größeren Gruppe besser, Rücksicht aufeinander zu nehmen.“ Auch Lehrerinnen und Erzieherinnen werden als Team zusammenarbeiten müssen. Und wenn in einer Ecke des Raums still gearbeitet und in der anderen ein Geburtstag gefeiert wird, gibt es mit flexiblen Regalen Möglichkeiten, den Raum zu trennen. Was es weiterhin an keinem Ort dieser Lernlandschaft geben soll, ist Frontalunterricht. Auch ein zeitweiliger Rückzug in die Spielecke ist erlaubt, wenn mal ganz die Lust zum Lernen fehlt.
Finanziert wird der Schulumbau, bei dem auch eine neue Mensa entsteht, aus dem Investitionsprogramm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Diese Mittel sind für den Ausbau von Ganztagsschulen bestimmt. Die Planungsleistung der Studierenden und selbst die Konstruktion der neuen Gestaltungselemente erhält die Hannah-Höch-Schule kostenlos. Die an der TU entworfene Einrichtung wird derzeit von Auszubildenden am Oberstufenzentrum Bauen umgesetzt. Nur die Mittel für das Material und für die Entkernung der Räume wurden bereitgestellt.
„In anderen europäischen Ländern ist die Öffnung von Grundrissen schon selbstverständlich“, so Tlustek. Nur in Deutschland würde die Bedeutung der Lernumgebung weiterhin vernachlässigt. Ob die neue Innenarchitektur wirklich das Lernklima verbessert, wird in den kommenden Jahren durch die Schule und den Senat evaluiert werden. Doch zunächst müssen die einzelnen Bauelemente vom Oberstufenzentrum nach und nach gefertigt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen