Neonazi-Angriff am Ostkreuz: Unbehelligte Prügelattacke

Die Gefahr durch Neonazis war der Polizei bewusst. Trotzdem schützte sie die Anreisenden zu einer Antifa-Demo im Juli nicht, zeigt eine Senatsantwort.

Aus dem Fenster einer Wohnung hält eine Person ein Schild mit der Aufschrift "Nazis verpisst euch keiner vermisst euch"

Protest gegen einen Aufmarsch der Neonazi-Partei „Der Dritte Weg“. Archivbild von Oktober 2020 Foto: Christian Spicker/imago

BERLIN taz | Die Gefahr durch gewaltbereite Neonazis war bekannt, trotzdem unternahm die Berliner Polizei Anfang Juli nichts, um die Anreisenden zu einer antifaschistischen Demo zu schützen. Das geht aus einer Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Ferat Koçak hervor.

Der Hintergrund: Am ersten Juliwochenende griff eine Gruppe von 15 bis 20 vermummten Neonazis vor dem Bahnhof Ostkreuz mit Knüppeln, Schlagstöcken und Pfefferspray mehrere Personen an, die sich dort für die gemeinsame Anfahrt zur Demonstration „Nach den Rechten schauen“ in Kaulsdorf verabredet hatten.

Der Überfall dauerte nur eine halbe Minute, mehrere An­ti­fa­schis­t*in­nen wurden verletzt, zwei mussten mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus. Auch zwei Bundespolizist*innen, die einschreiten wollten, wurden leicht verletzt. Die Täter, die der Neonazipartei „Der Dritte Weg“ und deren Nachwuchsorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ) zugerechnet werden, konnten vorerst fliehen.

Wie die Innenverwaltung nun einräumt, war den Behörden das Szenario eines Neonazi-Angriffs durchaus bewusst. Staatssekretärin Franziska Becker (SPD) schreibt, es „lag für die Polizei Berlin im Bereich des Wahrscheinlichen, dass Kleingruppen der rechten Szene vor und nach der Versammlung, den Kontakt zu (mutmaßlichen) Mitgliedern der linken Szene für eine körperliche Auseinandersetzung suchen würden“.

Keine „polizeiliche Begleitung der Anreise“ – warum?

Das sei in der Einsatzplanung und -durchführung auch berücksichtigt worden, heißt es weiter. Wie genau – das bleibt unklar, denn: „Eine polizeiliche Begleitung der Anreise von Versammlungsteilnehmenden durch die Polizei Berlin erfolgte nicht“, stellt Becker klar. Auf eine Nachfrage der taz am Montag, warum trotz der Bedrohungslage darauf verzichtet wurde, antwortete die Polizei bis Redaktionsschluss nicht.

So durfte der Schlägertrupp die Prügelattacke am helllichten Tag, mitten in Friedrichshain, ohne nennenswerte Gegenwehr verüben. Zur Unterstützung herbeigerufene Streifen der Berliner Polizei konnten nur noch die Umgebung nach den Tätern absuchen. Erst später nahmen Beamte in Kaulsdorf die Personalien von drei mutmaßlichen Neonazis auf, die dort Anreisende beobachteten.

Ferat Koçak, Fraktionssprecher für antifaschistische Politik, zeigt sich fassungslos: „Seit Monaten fallen der ‚Dritte Weg‘ und die NRJ auf mit Kampfsporttrainings in öffentlichen Parks und Sportanlagen, Rekrutierungsversuchen an Schulen und auch mit körperlichen Auseinandersetzungen. Trotzdem konnte es zu diesem gewaltsamen Angriff kommen.“ Die Tat müsse umfassend aufgeklärt werden, fordert Koçak – und ob sie „durch Unterlassungen bei der polizeilichen Einsatzplanung begünstigt wurde“

Noch unklar ist, wie sehr eine Großrazzia von Mitte Juli zur Aufklärung beiträgt. 9 Verdächtige im Alter von 17 bis 21 Jahren wurden festgenommen sowie Waffen sichergestellt.

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