Gewalt im Ankunftszentrum Tegel: IS-Freunde prügeln in Tegel? Egal!

Bei einem Massenangriff auf Kurden im Ankunftszentrum Tegel sollen auch Sicherheits­leute dabei gewesen sein. Die Behörden wissen von nichts.

Viel liegt im Dunkeln im Ankunftszentrum Tegel Foto: Carsten Koall/dpa

BERLIN taz | Die Strafverfolgungsbehörden lassen keinen großen Eifer erkennen, einen offenbar islamistisch motivierten Massen­angriff im Ankunftszentrum Tegel aufzuklären. Fast neun Monate nach dem Vorfall, bei dem arabische Flüchtlinge und Sicherheitsleute kurdische Bewohner bedroht und verprügelt haben, ist ein Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs eingestellt, weil angeblich keine Täter ermittelt werden konnten. In einem weiteren Verfahren hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen einen Bewohner wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung abgeschlossen, erklärt ein Sprecher auf taz-Anfrage. Gegen ihn wird voraussichtlich bald Anklage erhoben.

Dass nach so langer Zeit nur ein Angreifer ermittelt werden konnte und dieser kein Sicherheitsmitarbeiter sondern ein Bewohner ist, verwundert. Drei der Opfer, mit denen die taz gesprochen hat, sagen, sie könnten auf jeden Fall mehrere Angreifer, auch unter den Sicherheitsleuten, identifizieren, wenn man ihnen Fotos zeige. Dies sei jedoch bis heute nicht geschehen, die Polizei habe sie nur einmal schriftlich befragt, danach nicht wieder. „Ich würde sie erkennen, wir kannten die Männer ja“, sagt Ramazan Akdeniz, einer der Angegriffenen.

In der Nacht vom 26. auf 27. November 2023 kam es in einem der Großzelte, wo bis zu 360 Menschen auf engstem Raum untergebracht sind, zu einem Angriff auf kurdische Bewohner. Anlass war wohl die Beschwerde eines Kurden wegen nächtlicher Ruhestörung. Daraufhin gingen die Ruhestörer auf ihn los, kurdische Freunde kamen ihm zu Hilfe, doch die Angreifer waren viel mehr. Die drei Kurden, mit denen die taz sprach, sagen, die Angreifer seien Syrer gewesen, sie schätzen ihre Zahl auf 40 bis 60.

Diese hätten – teils mit Messern bewaffnet – die Schlafbereiche des Zeltes K1 sowie der Nachbarzelte durchsucht und kurdische Bewohnerinnen, auch Frauen und Kinder, heraus- und zusammengetrieben. Sie selbst und andere kurdische Männer hätten versucht, einen Schutzring um die Frauen und Kinder zu bilden. Die Angreifer hätten geschrien: „Was der IS nicht geschafft hat, machen wir jetzt!“ und „Wir reißen euch die Köpfe ab“, erzählt Akdeniz, seine Freunde Zana Aksu und Evren Çiçek bestätigen die Darstellung.

Betroffene erleidet Fehlgeburt

Alle drei sagen, dass anwesende Sicherheitsleute nicht eingegriffen hätten. Im Gegenteil: Etwa 20 von ihnen hätten ihre Westen ausgezogen – die Security in Tegel trägt zur Erkennung gelbe Warnwesten – und sich den Angreifern angeschlossen. Es habe mehrere Verletzte gegeben, eine Frau habe in Folge des Angriffs ihre ungeborenen Zwillinge verloren, berichtet Akdeniz.

Dass weder Polizei noch Staatsanwaltschaft davon wissen, dass Securitys mitgeprügelt haben, ist auch deshalb verwunderlich, als die Sicherheitsfirma infolge des Vorfalls drei Mitarbeiter entlassen hat. Dies erklärt ein Sprecher der Messe Berlin, die für die Bestellung der Security im Ankunftszentrum Tegel zuständig ist, auf taz-Anfrage.

Merkwürdig sei zudem, sagt Rechtsanwalt Yasar Ohle, der die drei hier zitierten Zeugen und weitere Opfer vertritt, dass weder Polizei noch Staatsanwaltschaft etwas davon gehört haben wollen, dass eine Frau infolge des Angriffs eine Fehlgeburt gehabt haben soll. Dies steht laut Ohle in der Akte zum Verfahren gegen den einen Bewohner. Die Betroffene ist eine Freundin von Ramazan Akdeniz. Laut seiner Aussage leidet sie immer noch unter den Folgen.

Eine gründliche juristische Aufarbeitung des Falls wäre auch für die anderen Betroffenen wichtig, erklärt Rechtsanwalt Ohle. „Es sind ja die Kurden, die in Syrien gegen den IS gekämpft haben. Dass sie nun als Flüchtlinge in Berlin mit Sicherheitsleuten konfrontiert sind, die ideologisch dieser Gruppe nahe stehen, darf nicht sein.“

Beschwerdebrief in Arbeit

Auch Akdeniz, Zana Aksu und Evren Çiçek wollen nicht hinnehmen, dass der Angriff folgenlos bleibt. Zurzeit arbeiten sie an einem umfassenden Beschwerdebrief an das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, in dem sie Konsequenzen aus dem Vorfall fordern. Dafür versuchen sie, weitere betroffene Tegel-Bewohner für eine Unterschrift zu gewinnen. Dies sei jedoch nicht einfach, sagt Aksu, der in der Türkei ein bekannter Journalist und Menschenrechtsaktivist ist, denn „einige Betroffene sind aufgrund der Aussichtslosigkeit ihrer Situation inzwischen in die Heimat zurückgekehrt“.

Akdeniz, Aksu und Çiçek wohnen inzwischen in anderen LAF-Heimen, dort sei es zumindest etwas besser als in Tegel. Über Tegel sagt Aksu: „Die Zustände sind schrecklich, nicht nur das Essen ist grauenhaft. Es gibt sexuellen Missbrauch, sogar von Kindern, es gibt Drogenhandel – und die Security toleriert das alles oder macht mit.“

Die Missstände haben die drei Kurden so entsetzt, dass sie eine Gruppe gegründet haben, die sich für die Schließung des Ankunftszentrums einsetzt. Die Gruppe aus ehemaligen und aktuellen Tegel-Bewohnern sowie linken Aktivisten tagt monatlich. Bald soll es erste Aktionen geben, erklärt Akdeniz, der auch in der Türkei politisch aktiv war und deswegen – wie Aksu und Çiçek – fliehen musste.

Beschwerden über Missstände in Tegel gibt es, seit die Unterkunft auf dem alten Flughafengelände zu Beginn des Ukrainekrieges eingerichtet wurde. Aktuell leben dort 4.112 Ukrainer und 860 Asylbewerber, durchschnittlich für ein halbes Jahr. Über Übergriffe und Machtmissbrauch der Sicherheitsleute beklagen sich Bewohner immer wieder, so schrieben etwa im September 2023 130 Frauen aus der Ukrai­ne einen Beschwerdebrief.

Auch der Zoll als zuständige Stelle für Schwarzarbeit wurde schon auf das Thema aufmerksam. Kurz nach dem Gewaltvorfall von Ende November und womöglich damit in Zusammenhang gab es eine Razzia bei der Sicherheitsfirma im Ankunftszentrum. Danach mussten 55 von 183 anwesenden Mitarbeiter ihren Dienst sofort beenden, weil ihnen die nötigen Qualifikationen fehlten. Die für die Sicherheit in Tegel zuständige Messe Berlin betont jedoch, die Zusammenarbeit mit der Firma Teamflex sei gut, man arbeite stetig an einer Verbesserung der Qualifikation der Mitarbeiter. Dessen­ ungeachtet laufe derzeit eine EU-weite Neuausschreibung der Sicherheitsdienstleistung.

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