Bürgermeister über AKW in Saporischschja: „Das sind keine Fachkräfte“

Das ukrainische AKW werde seit der russischen Besatzung nicht gut betreut, warnt Bürgermeister Orlow. Die Versorgung der Menschen sei schlecht.

Menschen mit Helmen, teils in Camouflage, teils in blau, laufen eine brüchige Straße entlang.

April 2024: Russische Mitarbeiter führen internationale Beobachter über das Kraftwerksgelände Foto: Russian Defence Ministry/Imago

taz: Herr Orlow, wie sieht es im AKW aus?

Dmitro Orlow: Seit 2022 sind alle sechs Atomreaktoren nicht mehr am Netz. Und derzeit befinden sie sich alle im Zustand einer Kaltabschaltung. Das ist die sicherste Form einer Abschaltung eines Atomreaktors.

ist seit November 2020 Bürgermeister der Stadt Enerhodar, auf deren Territorium das AKW Saporischschja liegt. Wegen der russischen Besatzung lebt der 39-Jährige aktuell in der nahegelegenen Stadt Saporischschja. Der Atomingenieur hat früher selbst in dem Kraftwerk gearbeitet.

taz: Und wie sieht es mit dem Personal des AKW aus, zu dem Sie als Atomingenieur früher auch mal gehörten?

Orlow: Es fehlt an Personal, insbesondere an hochqualifiziertem Personal. Wer von den Mitarbeitern des AKW sich weigert, einen Vertrag mit dem Betreiber, einer Firma, die dem russischen Atomkonzern Rosatom gehört, zu unterschreiben, darf das Gelände des AKW nicht mehr betreten. Aktuell sind es 2.000 Fachkräfte, die einen Vertrag mit der Rosatom-Firma unterschrieben haben. Nun suchen die Russen Personal. 2.000 weitere Mitarbeiter haben sie inzwischen angestellt. Doch das sind keine Fachkräfte.

taz: Also sind aktuell 2.000 Fachleute im AKW tätig?

Orlow: Ich tue mich ehrlich gesagt schwer, in diesem Zusammenhang von Fachkräften zu sprechen. Fachkräfte sind für mich Mitarbeiter, die sich ständig durch erfahrene Kräfte weiterbilden lassen, ständig ihr Wissen erweitern. Doch alle die, die das Personal dort unterweisen könnten, haben Enerhodar verlassen.

taz: Sind auf dem Gelände des AKW russische Militärs?

Orlow: Ja, etwa 1.000 Besatzer sind dort. Einschließlich ihrer Waffen. Und so befinden sich also hochexplosive Waffen in unmittelbarer Nähe der Atomanlagen. Das ist ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko, das sehr schlimme Folgen nach sich ziehen kann.

taz: Im Juni letzten Jahres wurde der Kachowka-Staudamm zerstört. Und mit ihm ein Staudamm, der das AKW mit Kühlwasser versorgte. Was bedeutet das für das AKW?

Orlow: Das Wasser des Staudammes war wichtig für den Betrieb des Atomkraftwerkes. Zwar braucht ein abgeschaltetes Atomkraftwerk weniger Wasser als ein AKW am Netz. Aber es braucht eben Wasser, unter anderem für die Kühlung der Brennelemente in den Abklingbecken. Und in diesem heißen Sommer ist viel Wasser verdampft. Der Wasserspiegel im Abklingbecken ist um einen Meter gesunken. Langfristig sehe ich hier eine Gefahr.

taz: Es soll dort in diesem Sommer auch Waldbrände gegeben haben.

Orlow: Nun, die Besatzer haben den Wald um das Gelände weitgehend abgeholzt. Gleichwohl brennt es dort immer wieder mal im Sommer. Die ukrainische Feuerwehr hatte Brände immer unter Kontrolle gebracht. Die Feuerwehr der Besatzer arbeitet hingegen sehr unprofessionell. Es ist auch nicht klar, ob die Besatzer noch über die entsprechende Ausrüstung verfügen, oder ob sie schon Teile davon verkauft haben.

taz: Wie sieht es aktuell in Ihrer Stadt Enerhodar aus, zu der das AKW gehört?

Orlow: Noch nie war dort die Versorgung so schlecht wie in diesen Tagen. Es gibt kaum noch Strom, die zentrale Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sind weitgehend zusammengebrochen.

taz: Sie mussten durch den russischen Überfall in die nahegelegene Stadt Saporischschja fliehen. Was können Sie von dort aus für Enerhodar tun?

Orlow: Derzeit befindet sich die Stadtverwaltung von Enerhodar in Saporischschja. Von Saporischschja aus kann man nur wenig für die tun, die in Enerhodar geblieben sind. Hier haben wir von der Universität Räumlichkeiten bekommen. In diesen lagern wir humanitäre Hilfspakete, die wir an die Geflohenen aus Enerhodar weitergeben. Leider geht in jüngster Zeit weniger humanitäre Hilfe aus dem Ausland bei uns ein.

taz: Der Winter steht vor der Tür. Wie bereitet man sich in Enerhodar darauf vor?

Orlow: Aktuell können das AKW und das örtliche Wärmekraftwerk die Stadt weder mit Strom noch mit zentraler Wärme versorgen. Von Versorgung mit warmem Wasser ganz zu schweigen. Ja, das sind die Folgen des Überfalls auf Enerhodar für die Bevölkerung. Es ist jetzt schon abzusehen, dass die Menschen dort im Winter in ihren Wohnungen frieren werden.

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