Musiker über Haft in Belarus: Folk, Schläge und Kakerlaken

Die beiden Masterminds der belarussischen Band Irdorath kamen nach einer brutalen Gefängnishaft frei und leben nun im deutschen Exil. Ein Treffen.

Nadzeya zweite von rechts, Uladzimir ganz rechts

Nadzeya (zweite von rechts) und Uladzimir (ganz rechts) Foto: Peter Krüger

Eines der ersten Dinge, die Nadzeya und Uladzimir Kalach am 21. April 2023 getan haben, war, gemeinsam Musik zu machen. Sie nahmen ihre Dudelsäcke, fuhren zu einem See und stimmten einige Lieder an. Die beiden sind Lea­de­r:in­nen und Sän­ge­r:in­nen der belarussischen Mittelalter-Folkband Irdorath, an jenem Tag kamen sie nach zwei Jahren Haft in Belarus aus dem Gefängnis frei.

Im August 2020 hatten sie an den Protesten gegen Lukaschenko teilgenommen, ihr aufmunterndes Lied „Kryly“ den „mutigen Frauen von Belarus“ gewidmet. Ein Sonderkommando der Polizei nahm die Band und einige Freunde ein Jahr später auf brutale Weise bei einer Feier von Nadzeyas Geburtstag fest.

Wenige Monate nach der Haftentlassung sind beide aus Belarus geflohen, zunächst nach Polen, dann nach Berlin. Auch privat sind sie ein (verheiratetes) Paar. Die taz trifft die beiden in einem Café in Kreuzberg. Nadzeya, 34, und Uladzimir, 33, haben mittlerweile neue Bandmitglieder für Irdorath gewonnen, sie treten wieder auf, etwa beim Wave-Gotik-Treffen in Leipzig.

„Wir werden diese Auftritte auch nutzen, um weiter daran zu erinnern, was in Belarus passiert. Rund 1.500 Menschen sind dort noch immer aus politischen Gründen unter den gleichen Bedingungen inhaftiert, wie wir sie erlebt haben“, sagt Nadzeya.

Psychologischer Terror

Das Paar erzählt nun von der Haft. Uladzimir legt sein gelbes Badge auf den Tisch, das er als politischer Gefangener tragen musste (die politischen Gefangenen werden so in Belarus „markiert“). „Habe ich mitgehen lassen“, sagt er. In der ersten Zeit der Haft sei er mit 24 Personen in einer Zelle auf 20 Quadratmetern untergebracht worden, auf dreistöckigen Eisenbetten, in einem Keller mit feuchten Wänden. Kakerlaken seien in der Zelle gewesen, es habe eine Toilette ohne Sichtschutz gegeben.

Er war mit 24 Personen auf 20 Quadratmetern untergebracht

Nachdem er in die Strafkolonie 3 in Viciebsk verlegt wurde, sei der psychologische Terror am schlimmsten gewesen. „Die Wachleute haben mich wie ein Tier behandelt. Wir wussten: Sie können dich jederzeit mit Schlägen und Strom foltern oder in den Kerker stecken.“

Seine Frau Nadzeya war den Großteil der Haftzeit im Frauenlager einer Strafkolonie in Homieĺ interniert, sie berichtet von ähnlichen Qualen: Von wucherndem Schimmel in den Zellen, von „ekligen“ Duschen, davon, dass einem alle persönlichen Dinge abgenommen werden. Die im Exil arbeitende belarussischen NGO Viasna zählt derzeit 1.387 politische Gefangene (Stand: 19. Juli) im Land und berichtet regelmäßig von solchen Haftbedingungen.

Nach der Flucht ermöglichte die Organisation Libereco Nadzeya und Uladzimir ein dreimonatiges Rehabilitationsprogramm in Polen, um die traumatische Haftzeit zu verarbeiten. „Eine sensible Person übersteht die Haft nicht unbeschädigt“, meint Uladzimir. „Ich persönlich bin ein Typ, der auch schon mal im Wald übernachtet und nicht so zart besaitet ist – den meisten anderen geht es aber wohl nicht so.“

Nach Berlin

Nach der Reha gingen sie nach Berlin, wo ihre Managerin lebt und wo sie nun auch einen Proberaum haben. Inzwischen gehören ein Österreicher, ein Deutscher und eine Kanadierin der Gruppe an, Irdorath haben sich neu formiert. Befreundet ist die Gruppe mit der Berliner Mittelalterband Corvus Corax. Als die Band 2021 verhaftet wurde, spielten Corvus Corax einen spontanen Soli-Auftritt vor der belarussischen Botschaft in Berlin. „Als wir zum ersten Mal ein Video davon gesehen haben, haben wir geweint“, sagt Uladzimir

In Belarus zu bleiben, war für die beiden keine Option: Sie hätten dort keine Musik machen können, ohne Gefahr zu laufen wieder verhaftet zu werden. Andere Arbeit zu finden sei für ehemalige politische Gefangene sehr schwer.

Irdorath haben die Zeit im Gefängnis auch künstlerisch verarbeitet. Im Video „Zorami“ („Sternenlichter“) sind Szenen von Isolation zu sehen, Folter wird angedeutet, der Clip erzeugt mit seinem milchigen Licht eine unheimliche Atmosphäre. Getragene Klänge (Dudelsack, Cello) erklingen dazu, Chöre ertönen, das Stück hat eine düstere Stimmung.

Dazu singen Nadzeya und Uladzimir die Verse: „Wir wurden bestraft, weil wir sangen / Du hattest Mitleid, aber hast nur geschaut und geschaut / Wir wurden gefoltert, wir wurden verrückt.“ Im Videoclip spielen jene Freunde mit, die damals zusammen mit ihnen verhaftet wurden. Musikalisch sind Irdorath zwischen Goth und schwungvollem Folk unterwegs.

Die Zurückgebliebenen

Sorge machen sich Nadzeya und Uladzimir um die politischen Gefangenen in Belarus und ihre dort verbliebenen Verwandten. Angehörige von Lukaschenko-Gegner:innen werden in Belarus von der Polizei besucht und drangsaliert, auch Un­ter­stüt­ze­r:in­nen von Oppositionellen riskieren eine Verhaftung. „Wer in Belarus politischen Gefangenen hilft, wird wie ein Verbrecher behandelt“, erklärt Uladzimir.

Das Paar benötigt nun Unterstützung – für den Neustart mit der Band und um einen dauerhaften Aufenthaltstitel in Deutschland zu bekommen. Deshalb haben sie gemeinsam mit Libereco ein Crowdfunding gestartet.

Nadzeya hat in ihrer Haftzeit neue Songs für ein Album komponiert. „Wir werden als nächstes die neuen Songs aufnehmen und Videos dafür produzieren“, sagt Nadzeya. Es soll auf dem Album um Figuren aus der belarussischen Mythologie gehen, um „seelenlose Kreaturen“, wie Nadzeya sagt.

Doch am Ende stelle sich in den Songs heraus, dass der Mensch die seelenloseste Kreatur von allen sei. Nadzeya und Uladzimir Kalach haben dies am eigenen Leib erfahren.

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