Work-Life-Balance: Arbeit als Lebensinhalt ist out

Artikel über die Arbeitsunwilligkeit der Gen Z sind unverschämt. Denn keinen Bock darauf, sich kaputt zu rackern, darf kein Privileg der Jugend sein.

Chaplin in einer Filmszene.

Leben in einer Industrie- und Massengesellschaft ist out: Charlie Chaplin im Film Modern Times 1936 Foto: imago

Das Thema ist immer noch nicht durch! Ich stoße weiter dauernd auf Artikel, in denen diskutiert wird, ob die Generation Z arbeitsunwillig ist. Oder faul. Oder einfach zu hohe Ansprüche an Berufsleben und Arbeitswelt hat.

Ich finde das unverschämt. Nicht, dass der Gen Z Fleiß und Arbeitswille in Abrede gestellt werden. Sondern, dass die Artikel meist nur von ihr handeln: Keinen Bock haben sich kaputt zu rackern, das darf kein Privileg der Jugend sein. Sorry Leute, ihr macht mich und meine abgegessenen Mitmillennials unsichtbar.

Gegen Ende meiner Schulzeit wurden wir von allen Seiten vollgequatscht, dass wir uns auf große Flexibilität am Arbeitsmarkt einstellen sollen. Jobs würden einfach nicht mehr so sicher sein. „Ihr werdet nicht wie eure Eltern nach dem Abschluss in einem Betrieb einsteigen und dort bis zur Rente bleiben“, hieß es.

Das galt als gute Nachricht: Ihr könnt machen, was ihr wollt! Wählt euren Beruf nicht nach einem Gefühl von Sicherheit, die es ohnehin nicht mehr geben wird, sondern nach Interesse und Leidenschaft. Denn nichts ist sicher und das ist eure Chance. Schnuppert in viele Berufe rein und investiert in eure Ausbildung.

Kurz darauf befanden wir uns in peinlichen Ausbeutungsverhältnissen und erhielten das Loser-Label „Generation Praktikum“. Der Gedanke: „Ich verbinde die Notwendigkeit, Geld zu verdienen, um ein Dach über dem Kopf und essen im Bauch zu haben, mit Leidenschaft und Lebenssinn“ war mir schon immer suspekt. Aber er wird einem so oft entgegengeschleudert, dass es wiederum einiges an Arbeit kostet, ihn abzuschütteln.

Mehrgenerationen-Phänomen

Gegenstimmen zum Arbeitskult können wir deshalb gut gebrauchen. Ich halte es da mit Nadia Shehadeh: „Ein halbwegs öder Tag zu Hause ist immer noch besser als ein interessanter Tag bei der Arbeit.“

Und das, obwohl ich den besten Job habe, den ich haben kann. Was ich tue, um Geld zu verdienen, entspricht meinen Interessen und Talenten und ich kann mit Freun­d*in­nen zusammen sein. Ich mache gerade wieder einen Job mit Lieblingsmenschen, und wenn wir uns morgen verabschieden, werden wir sagen, dass wir uns aber auf jeden Fall privat treffen, bevor es wieder mit der Arbeit losgeht. Da steht ein Abendessen aus. (Seit etwa einem Jahr.)

Der Haken? Wenn du dein Hobby zum Beruf machst, dann brauchst du danach ein neues Hobby und die sind schwer zu finden. Ich hüte meine verbliebenen reinen Freizeitaktivitäten wie einen Eimer Gold. Und dass Arbeit als Lebensinhalt out ist, hat nicht nur persönliche Gründe:

Die einen haben während der Pandemie gelernt, dass das, was sie tun, entbehrlich ist. Dass sie verzichtbar sind. Und die Unverzichtbaren? Die haben gelernt, dass sie zwar „systemrelevant“ sind, aber dass selbst hohes Risiko und größte Überarbeitung nur ein Klatschen wert sind.

Vor einer Weile habe ich geschrieben, wie absurd es sich angesichts der Kriege und Krisen um mich herum anfühlt, einfach am Schreibtisch zu sitzen. „Alles brennt. Ich bin im Büro.“ Und das Gefühl ist bis jetzt nicht fort. Weitermachen mit der Arbeitsroutine, so interessant und kreativ die Tätigkeit auch sein mag, wirkt deplaziert angesichts der Kriege und Krisen und der großen gesellschaftlichen Fragen, denen wir uns stellen müssen. Dass Arbeit als Lebensinhalt inzwischen einfach out ist, ist ein Mehrgenerationen-Phänomen.

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Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.

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