Jede Zeit hat ihre Aufgabe

Außenministerin Annalena Baerbock verzichtet auf eine erneute Kanzlerinnenkandidatur. Die grüne Spitze lobt sie dafür als Teamplayerin

Annalena Baerbock will nicht den Platz am Kabinettstisch mit Olaf Scholz tauschen (Scholz auch nicht) Foto: Michael Kappeler/dpa

Aus Washington Anna Lehmann

Beim einen warten alle darauf, dass er den Verzicht auf seine Kandidatur erklärt, bei der anderen kommt die Erklärung überraschend. Während des Nato-Gipfels in Washington gab die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bekannt, nicht als Kanzlerkandidatin für die Grünen zur Verfügung zu stehen. Überraschend war weniger der Verzicht an sich, sondern Ort und Zeitpunkt, den Baerbock wählte.

Baerbock legte ihre Zukunftspläne nicht etwa in der Parteizentrale der Grünen in Berlin offen, sondern nutzte die Weltbühne und ein Interview mit CNN am Mittwoch. Die Chefkorrespondentin Christiane Amanpour fragte die Außenministerin nach der Schwäche der Grünen und den Wahlerfolgen der AfD bei jungen Leuten – und ob sie darüber nachdenke, als Kanzlerkandidatin anzutreten.

„Um zum zweiten Teil Ihrer Frage zu kommen“, antwortete Baerbock. „Die Welt ist offensichtlich eine ganz andere als bei der letzten Bundestagswahl. Angesichts der russischen Aggression und der dramatischen Situation im Nahen Osten braucht es mehr und nicht weniger Diplomatie. In diesen Zeiten der Krise glaube ich, dass es die staatspolitische Verantwortung gebietet, nicht als Kanzlerkandidatin gebunden zu sein, sondern all meine Energie als Außenministerin darauf zu verwenden, Vertrauen, Kooperation und verlässliche Strukturen zu schaffen.“

Die Welt braucht Annalena Baerbock also dringender als die Grünen. Wobei Baerbock betonte: „Im Wahlkampf werde ich natürlich alles tun, um meine Partei zu unterstützen, wie schon in der Vergangenheit.“ – „Verstehe. Sie sagen Ja, aber nicht jetzt“, fasste Amanpour zusammen. „Jede Zeit hat ihre Aufgaben“, parierte Baerbock lachend. Sie gab das Interview auf Englisch, die Sätze klangen wie zurechtgelegt. Gegenüber deutschen Medien wollte sich Baerbock nicht zu ihrer Entscheidung äußern.

Baerbock war 2021 Kanzlerkandidatin der Grünen, setzte sich innerparteilich gegen Robert Habeck durch. Die Sympathie für die Grünen im Vorfeld, die in Umfragen bei über 20 Prozent lagen, trug nicht bis zum Wahltag, was auch an Fehlern Baerbocks im Wahlkampf lag. Die Grünen erreichten bei der Bundestagswahl 14,8 Prozent, mittlerweile sind sie in Umfragen auf 11 Prozent abgerutscht. Es stellt sich die Frage, ob die Partei überhaupt einen Kanzlerkandidaten aufstellen oder sich mit einem Spitzenkandidaten begnügen sollte.

Nun läuft alles auf Habeck zu. Den Wirtschaftsminister, der derzeit auf Sommerreise ist, schien die Ankündigung Baerbocks kalt erwischt zu haben. „Dass sie in den USA Statements gibt, zeigt, wie tief sie in der Außenpolitik verankert ist“, antwortete Habeck auf die Frage eines Journalisten, wie er die Erklärung bewerte. Alles andere werde man in den Gremien besprechen.

Das Führungsquartett der Grünen bemühte sich, den äußeren Eindruck zu glätten. Die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann erklärten jeweils auf X, es sei verantwortungsvoll, dass Baerbock sich in dieser Zeit auf die Außenpolitik konzentriere, und lobten sie für ihr „Teamplay“. Ähnlich äußerten sich die Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda Lang.

Nach Informationen der dpa verschickte Baerbock noch eine Mail an ihre Fraktion, in der sie versprach: „Robert und ich gehen jetzt schon fast ewig gemeinsam durch dick und dünn und werden in den kommenden Wochen eng zusammenarbeiten. Ohne Frage werde ich mich natürlich mit Verve in den grünen Wahlkampf reinhängen als Teil eines starken grünen Teams.“

Um sich dann wieder ihren Aufgaben als Außenministerin zu widmen. In Washington stand am Mittwochnachmittag ein Gespräch mit US-Außenminister Antony Blinken auf dem Programm. Der lobte die gute Partnerschaft. Baerbock gab das Kompliment zurück, bezeichnete Blinken als Freund und versprach: „Wir freuen uns auf eine gemeinsame Zukunft.“

Über die Zukunft beider Au­ßen­mi­nis­te­r:in­nen werden die Wäh­le­r:in­nen entscheiden. Das große Thema des Gipfels ist, ob US-Präsident Joe Biden weitermacht oder wie Baerbock auf seine Kandidatur verzichtet.

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