„Behindert und Verrückt“ Pride Parade: Glitzerkrücke für Inklusionsfeinde

Bei der „behindert und verrückt feiern“ Parade am Samstag kämpfen Menschen mit Behinderung und psychiatrischen Diagnosen für mehr Selbstbestimmung

Pride Parade

Zum feiern aufgerufen sind „Freaks und Krüppel, Verrückte und Lahme, Eigensinnige und Blinde, Taube und Normalgestörte“ Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Das Motto: „Behindert, verrückt und solidarisch feiern“. Aufgerufen sind: „Freaks und Krüppel, Verrückte und Lahme, Eigensinnige und Blinde, Taube und Normalgestörte“. Politisch korrekt klingt das nicht – soll’s auch nicht. „Wir wollen provozieren“, sagt Marlen König. „Wenn wir zu lieb und brav sind, brauchen wir keine Demo machen.“ König hat Glasknochen und sitzt im Rollstuhl. Sie ist Teil des Bündnisses, das seit 2013 die „behindert und verrückt feiern“ Pride Parade veranstaltet. „Das ist aus der Krüppelbewegung in den 1980ern entstanden“, erzählt König. Sie lacht: „Darf man bestimmt heute nicht mehr sagen.“

Wie jedes Jahr, zieht sie am Samstag mit Menschen mit und ohne Behinderung sowie Menschen mit psychiatrischen Diagnosen durch Kreuzberg und Neukölln, um sich selbst zu feiern – und zwar selbstbewusst: „Wir gehen und humpeln und rollen für unsere Rechte auf die Straße“, heißt es im Aufruf.

„Nur weil man geistig eingeschränkt ist, hat man ja trotzdem Bock auf ein geiles Leben“, sagt König. Diskriminierende Gesetzgebungen und der gesellschaftliche Ausschluss „Behinderter und Verrückter“ erschwerten dies jedoch. „Das fängt beim Wohnen an“, Behinderte würden oft unter lebenswidrigen Bedingungen in Heimen weggesperrt. Ähnlich sei es auf dem Arbeitsmarkt. In den Behindertenwerkstätten würden sie ausgebeutet, in Deutschland verdiene man dort im Durchschnitt 1,50 Euro die Stunde.

Die Parade richtet sich nicht nur an Menschen mit Behinderung, sondern auch an all jene, die unter ähnlichen Diskriminierungserfahrungen leiden, darunter trans- und interidente Menschen. „Ich hatte immer zwei Coming Outs“, erzählt Ray. „Zuerst über meine Geschlechtsidentität als Transmaskulin und zweitens als psychisch Betroffene“. Ray gehört auch zu dem Bündnis und leidet unter multiplen psychischen Störungen. Seit einem Jahr wartet Ray auf einen Psychotherapieplatz. „Für trans-Personen, die auf die Therapiesitzungen angewiesen sind, um die geschlechtsangleichende Operation durchführen zu dürfen, ist der Mangel an Plätzen eine besondere Herausforderung“, sagt er.

So sähe erfolgreiche Inklusionspolitik aus

Ihre Kernforderungen? „Die ganze Politik umschreiben“, sagt König. „Aber ich glaube, das wäre ein wenig viel verlangt.“ Ihr Demokonzept für Samstag macht jedoch vor, wie eine erfolgreiche Inklusionspolitik aussehen könnte: barrierefreier Zugang, Redebeiträge, die in Gebärdensprache übersetzt werden und ein Ruhewagen für Menschen, die nicht so lange laufen können oder Ruhe von den vielen Reizen und Menschen brauchen.

Ab 15 Uhr wird von der Hasenheide, Ecke Jahnstraße „bis zum Kottbusser Tor getanzt“. Auf dem Weg gibt es Redebeiträge, unter anderem von Ak­ti­vis­t*in­nen der Behindertenbewegung sowie Angehörigen von Menschen im Maßregelvollzug. Am Ziel, dem Südblock am Kottbusser Tor, ist eine Kundgebung geplant.

Zum krönenden Abschluss wird die „Glitzerkrücke“ verliehen, ein Negativpreis für besonders inklusionsfeindliche Praxis in Politik und Wirtschaft. „In diesem Jahr wurden die psychiatrischen Stationen des Urban-Krankenhauses nominiert wegen der unmenschlichen Zustände, in die Verrückte weggesperrt werden“, erzählt König. Im Rennen sind auch die Sozialämter. Der Vorwurf: Obwohl taube Menschen das Recht auf Übersetzung haben, fänden die Sozial-Ämter immer eine Ausrede dies zu verwehren. Wer den Negativpreis erhält, wird am Tag der Parade von den Demo-Teilnehmer*innen demokratisch bestimmt.

„Wir hoffen einen politischen, aber auch schönen Tag zu verbringen“, sagt König. Eins steht fest: An Selbstbewusstsein und Verrücktheit soll's nicht mangeln.

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