piwik no script img

Linksbündnis in FrankreichWer ist wer in der „Volksfront“?

Ein Linkspopulist, eine Grüne, ein Sozialist, ein Gewerkschafter: Das sind die vier wichtigsten Personen in Frankreichs Linksbündnis. Was wollen sie?

Eines der Gesichter der Front Populaire: Linkspopulist Jean-Luc Melenchon Foto: Fabrizio Bensch/reuters

Paris rtr/ap | In Frankreich ist das neue Linksbündnis bei der Stichwahl für das Parlament überraschend stärkste Kraft geworden. Die „Neue Volksfront“ besteht aus Sozialisten, den Grünen, der linkspopulistischen Partei „Das unbeugsame Frankreich“ und den Kommunisten. Das sind die wichtigsten Führungspersonen der Nouveau Front Populaire (NFP):

Jean-Luc Mélenchon

Der 72-jährige Jean-Luc Mélenchon von der linkspopulistischen Partei La France Insoumise („Das unbeugsame Frankreich“) ist seit Jahrzehnten eine feste Größe in der französischen Politik. Zunächst war er Mitglied der Sozialistischen Partei (PS) und hatte vorübergehend auch einen Ministerposten inne.

2012, 2017 und 2022 kandidierte er für das Präsidentenamt und verbesserte jedes Mal sein Ergebnis. Im Jahr 2022 belegte er Platz drei, knapp hinter Marine Le Pen vom rechtsnationalen Rassemblement National (RN).

Mélenchon ist ein erklärter Bewunderer des kubanischen Revolutionsführers Fidel Castro und eine der am stärksten polarisierenden Figuren in der französischen Politik. Seine Steuer- und Ausgabenvorschläge, seine Rhetorik und außenpolitischen Positionen kommen bei vielen nicht gut an. Er plädiert etwa für eine Reichensteuer und den Austritt aus der Nato. Weil er sich unter anderem für die Rechte der Palästinenser stark macht, beschuldigen ihn Kritiker des Antisemitismus. Er bestreitet diese Vorwürfe.

Marine Tondelier von den Grünen Foto: Abdul Saboor/reuters

Marine Tondelier

Marine Tondelier (37) ist die Chefin der französischen Grünen. Sie kommt aus Henin-Beaumont im Norden Frankreichs, einer Hochburg des rechtsextremen Rassemblement National (RN) und ihrer Anführerin Marine Le Pen.

Im Jahr 2014 wurde Tondelier als Oppositionsmitglied in den Gemeinderat der Stadt gewählt. In einem Buch mit dem Titel „Nouvelles du Front“ („Neuigkeiten von der Front“) dokumentierte sie ihre Erfahrungen mit der Arbeit unter einem RN-Bürgermeister und die ihrer Meinung nach bedrückende Atmosphäre, die von der rechtsextremen Regierung geschaffen wurde.

Tondelier wurde 2021 auch in den Regionalrat des Nordens gewählt und übernahm im darauffolgenden Jahr den Vorsitz von Frankreichs bekanntester ökologischer Partei, den Grünen.

Raphael Glucksmann von der Sozialistischen Partei Foto: Manon Cruz/reuters

Raphael Glucksmann

Raphael Glucksmann (44) führte die Kandidatenliste der altehrwürdigen Sozialistische Partei bei den Europa-Wahlen Anfang Juni an. Sie erhielten fast 14 Prozent der Stimmen und landeten damit knapp hinter Macrons Gruppe „Ensemble“. Das Ergebnis wurde als Zeichen der Wiederbelebung der ehemaligen Regierungspartei gewertet, die zunehmend in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht war.

Glucksmann, ein ehemaliger Eliteschüler, war zunächst Journalist und machte Karriere im Rundfunk. Später orientierte er sich um, unter anderem war er Berater des damaligen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili.

Glucksmann steht für eine starke europäische Unterstützung für die Ukraine in ihrem Widerstand gegen die russische Invasion.

Laurent Berger von der größten französischen Gewerkschaft CFDT Foto: abaca press/imago

Laurent Berger

Laurent Berger (55) ist ein ehemaliger Gewerkschaftsführer. Er war Vorsitzender einer der größten französischen Gewerkschaften, der gemäßigten CFDT (Confedertation Francaise Democratique du Travail) und hat sich in der Vergangenheit als starker Gegner des rechtsextremen Rassemblement National (RN) positioniert.

Berger hat zwar gesagt, dass er nicht Ministerpräsident werden wolle. Er gilt vielen als Gegenpol und beliebte Alternative zu Jean-Luc Melenchon.

Wie ist die Lage im Parlament?

Das Linksbündnis Nouveau Front populaire errang bei der Parlamentswahl mehr als 180 der 577 Sitze und wird damit neue stärkste Kraft in der Nationalversammlung. Allerdings verfehlte es deutlich die absolute Mehrheit von 289 Mandaten. Mit Macrons zweitplatziertem Bündnis der Mitte (mit mehr als 160 Sitzen) und der rechtsnationalen Partei Rassemblement National von Marine Le Pen als drittstärkste Kraft (mit mehr als 140 Sitzen) haben die französischen Wähler das Parlament in drei große Blöcke aufgeteilt.

Macron hatte nach der Europawahl vorgezogene Neuwahlen ausgerufen, um – so seine Hoffnung – klare Verhältnisse zu schaffen. Doch das Ergebnis der Wahl bescherte ihm das Gegenteil. Frankreich, der zweitgrößten Volkswirtschaft der EU, droht kurz vor den Olympischen Spielen in Paris eine politische Hängepartie.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Nach der ersten Runde der Parlamentswahl war eine absolute Mehrheit für die Rechtsnationalen erwartet worden. Doch Absprachen zwischen dem Linksbündnis und Macrons Lager mit dem Rückzug zahlreicher Kandidaten zugunsten der jeweils anderen zeigten Wirkung. Ungeachtet des verpassten Wahlsiegs war es für den RN dennoch das beste Ergebnis der Geschichte. Bei ihrem bislang größten Erfolg hatte die Partei es im Jahr 2022 auf 89 Sitze gebracht.

Was will das Linksbündnis?

Ein Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse ist im modernen Frankreich ein Novum und eine politische Hängepartie könnte weitreichende Auswirkungen auf die Unterstützung für die Ukraine, diplomatische Initiativen und die wirtschaftliche Stabilität in Europa haben.

Die Führung des Linksbündnisses forderte als stärkste Kraft die erste Möglichkeit, eine Regierung zu bilden und einen Premierminister oder eine Premierministerin vorzuschlagen. Die Linke will viele Reformen Macrons rückgängig machen, Staatsausgaben erhöhen und eine härtere Haltung gegenüber Israel vertreten.

Allerdings ist unklar, ob sich die Parteien aus dem Bündnis überhaupt auf einen Regierungschef einigen könnten. „Wir brauchen jemanden, der uns Konsens bietet“, sagte Sozialisten-Chef Olivier Faure, dessen Partei Teil des Bündnisses ist

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Schrecklich, wie antisemitisch Mélenchon ist. Wer kann so eine Person wählen?!?!?

  • Die werden schon feststellen welche Positionen in diesem Bündnis mehrheitsfähig sind und welche nicht. Mache mir eher Sorgen dass das EU Defizitverfahren gute Politik unmöglich macht, wegen "Sachzwängen" und so.

  • Mir fehlen in der Berichterstattung Zahlen über die Stärke der Mitgliedsparteien im Linksbündnis. Das müsste doch anhand der Kandidaten in Wahlkreisen zu ermitteln sein.

    Schade, dass es diese Zahlen auch drei Tage nach dem Wahlgang immer noch nicht gibt (zumindest in deutschsprachigen Medien).

    Nur mit diesen Zahlen lassen sich für den deutschen Rezipienten Möglichkeiten von Koalitionen ergründen - ohne diese ist die Berichterstattung zu oberflächlich.

    Bei US-Wahlen ist man da genauer.

  • Stärkste Kraft heißt nicht Mehrheit.



    Es gibt (auch in Frankreich) keine Mehrheit "links der Mitte", weder nach Sitzen im Parlament noch nach Prozenten bei der Wahl.



    Wenn die Parteien der Mitte jetzt zu viele linke Kompromisse eingehen, treiben sie den Wähler dem RN zu.

  • Dieses Bündnis ist ja als Abwehrbündnis mit heißer Nadel gestrickt.



    Die letzten 10 Jahre waren in Frankreich voller gravierender Ereignisse. Terroranschläge mit insg. 230 Toten, Gelbwesten, viele Kämpfe.



    In der politischen Kultur gibt es viel Gegeneinander.



    Wenn dieses "Bündnis" über 20 Tage halten will, sollten die Beteiligten dringend einige Gesprächstermine vereinbaren, mit denen sie sich auf ein gemeinsames Programm verständigen. Sie sollten sich dafür genug Zeit nehmen.



    Wichtig, dass sich auf einen guten Umgangston geeinigt wird.



    Damit sollten sie Voraussetzungen herstellen, um sich zu verstehen: Was meinen Sie mit EU-Kritik? oder Reform der EU-Institutionen? etc.



    Ich hoffe, dass nicht die EU-Elite von von der Leyen und der Eurofinanzgruppe informell hintenrum Druck macht, die Mélenchons abzusägen, aus dem Bündnis auszuschließen. Denn das würde sofort öffentlich und absolut mehr emotional eskalieren.



    Generaldirektion aus Brüssel versus "Unbeugsame".



    Die Demokratisierung der EU ist wichtig und braucht eine neue Perspektive, statt plumpem Schlagabtausch.

  • Selbst die Volksfront ist sich alles nur nicht einig. Und dann noch ohne Mehrheit. Das kann nie was werden. RN hat weniger Mandate als wohl gehofft. Nur gäbe es dort das Verhältniswahlrecht, wäre RN klar die Wahlgewinnerin. Und diese Wählerschaft verschwindet ja nicht, sondern die sind vorhanden und die erwarten Politik auch in ihrem Sinne.

  • "Weil er sich unter anderem für die Rechte der Palästinenser stark macht, beschuldigen ihn Kritiker des Antisemitismus. Er bestreitet diese Vorwürfe."

    Nein, nicht weil er sich für die Rechte der Palästinenser stark macht, wird er des Antisemitismus bezichtigt, sondern weil er sich antisemtisch und pro Hamas äußert, sich weigert eindeutig gegen Antisemtismus Position zu beziehen sowohl was die Vergangenheit als auch die Gegenwart betrifft. Das ist ein Unterschied.

  • Neuralgische Punkte innerhalb des Linksbündnisses sind die Haltung zum Ukrainekrieg bzw. zu Russland und eine klare Abgrenzung gegenüber antisemitischen Positionen … an letzterem fehlt es gerade Melenchon, der sich offenbar - aufgrund der starken Position seiner Bewegung im Linksbündnis - als Wortführer der neuen Volksfront sieht.



    Aus diesen Gründen mache ich mir leider wenig Hoffnung, dass dieses Bündnis lange Bestand hat.