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Schuljahresende an WaldorfschulenIn die Ferien hinein meditieren

Unsere Kolumnistin fragt sich, wie an Waldorfschulen Zeugnisse zustande kommen. Gar nicht so schwer, weiß sie heute: Es reicht das innere Auge.

Zeugnis der Rudolf-Steiner-Schule „In den Walddörfern“ bei Hamburg, 2008 Foto: imagebroker/imago

Lea ist ein sehr liebes, rundum gesundes und harmonisches Kind.“ – der erste Satz in meinem ersten Waldorfschulzeugnis. Da wir keine Halbjahreszeugnisse bekamen, war der letzte Tag vor den Sommerferien wirklich ein ganz besonderer Tag. Wir wurden einzeln aufgerufen und mussten uns das Zeugnis im geschlossenen Umschlag mit einem mündlichen Kommentar von der Klassenlehrerin abholen.

Zu Hause haben meine Eltern den Brief geöffnet, ab und an beim Lesen geschmunzelt und mir gesagt, es wäre ein gutes Zeugnis. Lesen durften wir es erst ab der 6. Klasse. Ich habe noch meinen Zeugnisspruch bekommen und dann sind wir Eis essen gegangen. Angst vor schlechten Noten musste ich keine haben.

Wenn ich jetzt meine Zeugnisse lese, fällt mir auf, dass mein Leistungsstand unklar bleibt, dafür aber mein Wesen intensiv behandelt wird. In meinem Zeugnis steht, ich sei mit „warmherziger Innigkeit und Hingabe“ beteiligt gewesen und würde mich „stets bescheiden und hilfreich in das Ganze einordnen“, sei eine „Stütze der Klasse“. Außerdem sei himmlische Helle durch mein Herz geflossen oder meine Willenskräfte hätten im Laufe des Jahres abgenommen. Meine Erinnerungen sind anders. Wieso wurde dieses Kind für meine Eltern gezeichnet?

Von meiner LRS steht nichts, obwohl ich deswegen sogar „Extrastunde“ und Heileurythmie hatte. Stattdessen: „Lea arbeitet langsam, mit viel Bedacht, doch auch manchmal oberflächlich.“ Und: „Ich wünsche Lea, dass sie […]nach und nach lernt, einige ihrer Umkreisantennen auf die eigene Sorgfalt zu richten.“ In meinem Zeugnisspruch musste ich jeden Freitag aufsagen, dass manches Werk „sorgsam stilles Walten“ bräuchte und ich war davon überzeugt, dass ich hartnäckig an meinem Wesen arbeiten müsse.

„Kontemplativer Prozess“

Ich hab mich gefragt, wie Waldorfzeugnisse zustande kommen. Im Magazin des Bundes der Freien Waldorfschulen steht 2022: „Wir stellen uns jedes Kind, je­de:n Ju­gend­li­che:n vor unser inneres Auge, widmen uns wertschätzend den jungen Menschen im Erkennen dessen, was geleistet wurde. Wir messen das Kind an sich selber […]. Fast ein kontemplativer Prozess.“ Meine Zeugnisse wurden also dahin meditiert. Das erklärt so einiges.

Noch esoterischer wird es beim Nürnberger Waldorflehrerseminar: Es stünde nicht die „Vergangenheits-Bilanz“ im Vordergrund, sondern „die Ansprache des in der Entwicklungszeit noch verborgenen künftigen Menschen, der seine freien Ich-Kräfte emanzipieren will.“ Und bei den „Freunden der Erziehungskunst“ ist das Zeugnis „ein Gutachten“ über „das gesamte schulische Leben“. Daher steht wohl in meinem Zeugnis, dass ich eine „tiefe und innige Freundschaft zu einer Klassenkameradin geknüpft“ und oft mein Kuscheltier neben die Tafel gesetzt hätte.

Offenkundig war nichts privat und alles wurde anthroposophisch interpretiert. Es fühlt sich anmaßend und übergriffig an, derlei Dinge zwölf Jahre lang über mich zu lesen und zu wissen, dass meine Lehrkräfte täglich mit diesem Blick auf mich geschaut haben.

Wir hatten zwar keine Noten, aber begutachtet wurden wir dennoch – ganzheitlich – in unserem ganzen Sein beurteilt. Auch wenn die Waldorf-Literatur lieber von „charakterisiert“ spricht. Was für eine Erleichterung, als im Studium nur noch meine Leistung evaluiert wurde und nicht mehr ich als Mensch.

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12 Kommentare

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  • "Frau Lea" hat das Privileg, sich hinter einem Pseudonym verstecken zu können (auch wenn ich nicht verstehe, warum eine Journalistin das tut, wenn sie ihre Behauptungen belegen kann).



    Die Menschen, deren Reputation sie mit ihrer Kolumne untergräbt und deren Ausbildungs- und Berufschancen sie Monat für Monat mehr beschädigt - die Waldorf-Schülerinnen (m/w/d) nämlich - haben dieses Privileg nicht. Und auch keine bundesweit erscheinende tageszeitung die ihnen Reichweite verschafft.

    • @B. Iotox:

      Die Autorin untergräbt keine Reputation. Sie berichtet, was Waldorfschüler:innen lernen und was sie nicht lernen und unter welchen Bedingungen.



      Uns sie berichtet, wie sich das für sie angefühlt hat.



      Wer die Reputation wirklich untergräbt sind die, die aus einer Waldorfschule kommen: Querdenker, Impfgegner, Wissenschaftsfeinde, Reichsbürger, u.s.w.

    • @B. Iotox:

      Sie sollten mal mit den Aussteigern dieser Sekte reden und ihre Mobbingerfahrungen kennen lernen. Es gab mal einen Artikel zum Oberspinner der Sekte in der Zeit. Dort im Forum beschrieben die Verfolgten — ich sage bewußt Verfolgten — der Sekte sehr eindrücklich über die Opposition zur Vernunft im Allgemeinen und insbesondere der staatlichen Beschulung. Ich empfehle der Autorin beim Pseudonym zu bleiben.

      • @Chris Demian:

        Sekte… Oberspinner… Verfolgte…



        Meinen Sie wirklich, jemand nimmt Ratschläge mit diesem Vokabular ernst?

  • "Was ist denn nun richtig?"

    Nun, es gibt einen Unterschied zwischen der Bewertung dessen was jemand getan/geleistet hat und dem Szenario wo man sich zum Richter über das Wesen und die Persönlichkeit der Person aufschwingt. Nur eines davon ist im eigentlichen Sinnee übergriffig. Allerdings ist es vermutlich eine sinnlose Sophisterei, wenn man es Leuten klar machen will, die LRS mit Hopsen und Grooven zu Naturklängen heilen wollen. Oder "Umkreisantennen" für ein Wort mit Inhalt halten. Meine knicken jedenfalls trübsinnig ab, wenn ich das Waldörfler-Geschurbel lese.

    • @Chris Demian:

      Zum Thema "Heilung" fällt mir oft folgendes Sprichwort ein:



      "Wenn Du als einziges Werkzeug einen Hammer hast, ist jedes Problem für Dich ein Nagel"

  • "Wir hatten zwar keine Noten, aber begutachtet wurden wir dennoch – ganzheitlich – in unserem ganzen Sein beurteilt. Auch wenn die Waldorf-Literatur lieber von „charakterisiert“ spricht. Was für eine Erleichterung, als im Studium nur noch meine Leistung evaluiert wurde und nicht mehr ich als Mensch."

    Ist es nicht genau ein Problem unserer staatlichen Schulen, dass eben nur auf die Noten und die Leistung geschaut wird und viel zu wenig auf den Mensch und die individuelle Persönlichkeit? Und gehen genau deswegen nicht viele Kinder in unserem Schulsystem unter? Was ist denn nun richtig?

    • @PartyChampignons:

      Auch in staatlichen Schulen besteht die Leistung oft darin, sich in Konformität zu üben.

      Mein Ausweg waren damals die mathematisch - naturwissenschaftlichen Fächer. Auf Schulniveau ist da kein Platz für Meinung, Gesinnung oder Vorlieben. .

      • @Jörg Schubert:

        Ach was!

        “Mein Ausweg waren damals die mathematisch - naturwissenschaftlichen Fächer. Auf Schulniveau ist da kein Platz für Meinung, Gesinnung oder Vorlieben.“

        Schonn. Aber mein gut gemeinter Rat.



        Das glsubens doch selber nicht! Physik!



        “Also Herr Bullmer das versteh ich jetzt nicht. Dirk kriegt für die Definition vom Meter in Paris ne zwei. K…aber - hat gerade den Transistor (die gab’s erst seit ein paar Jahren;) haarklein erklärt daß ichs erstmals verstanden habe & kriegt ne drei dafür!“ Lösung - der feine Herr hatte vom Direx - Jahre her - ne dicke Zigarre verpasst bekommen - seil er mich völlig idiotisch aus den Schullandheim geworfen hatte.



        Ja! Er & ein weiterer Schleicher



        (bei dem hatte ich in beiden Fächern ne eins; aber dennoch!) versuchten mir im Mündlichen meine ewige zwei in Mathe zu versauen!



        KLeu Jacken verhinderte das zum Glück:



        Ich mußte zum 2.x ins Mündliche!

        Na Mahlzeit

  • Zwischen Schüttkoppen & Lachen.



    Aber das ist doch ok „Stütze der Klasse“.



    Da kann ich mit meiner einzigen positiven Kopfnote mithalten:



    “K…fördert durch rege Mitarbeit den Unterricht!“



    Was leicht in einer Volksschulklasse - in der mehrheitlich:



    Polnisch russisch lettisch gesprochen wurde.



    Der pädagogisch begnadete Lehrer Reichwald überließ mir gern die Aufsicht!



    Wenn er mal wegmusste. In der 4. sprachen alle passabel deutsch!



    & Däh



    “Was für eine Erleichterung, als im Studium nur noch meine Leistung evaluiert wurde und nicht mehr ich als Mensch.“



    Schonn. Aber rückblickend - von Hohlwort evaluieren mal ab - so schlicht war das in meiner Erinnerung bei Zugang zu Seminaren etc denn doch nicht! Woll



    (KTG lassemer mal weg => zur Diss. langte es ja nicht & im Charakter kann mann sich auch mal verhauen - wa!



    Remember im BT “…habe ich am Wochenende erstmals meine Dissertation in die Hand genomm…!“ Heiterkeit - “Genau Genau!“ warf sich Jürgen Trittin schallend lachend über die Bank!)

    So geht das ©️ Kurt Vonnegut



    “Sei vorsichtig, was du vorgibst zu sein, denn du bist, was du vorgibst zu sein.“

    • @Lowandorder:

      Ein gut gemeiner Rat: Versetzen Sich sich mal in die Lage Ihrer Leser:innen!

      • @Jörg Schubert:

        Liggers. Hängs zu den anderen & danke.