Kein Kommentar vom Verfassungsschutz: Gefährliches Schweigen

Bremens Verfassungsschutz berichtet über linke Demos jeder Art, aber zur rechten Szene im Stadtteil Walle hat er nichts zu sagen. Das ist gefährlich.

Verfassungsschutz-Leiter Thorge Koehler spricht am 31. Mai 2024 bei einer Pressekonferenz.

Rechtsextreme in Walle kamen nicht vor: Verfassungsschutz-Chef Thorge Koehler spricht über Bremens Verfassungsschutzbericht 2023 Foto: dpa | Sina Schuldt

Der Verfassungsschutz, das sind die, die alles mitbekommen sollen, die mit den offenen Ohren und Augen. Nur wird manchmal auf einer Seite etwas deutlicher hingeluschert als auf der anderen.

In diesem Jahr hat es zwei Anschläge auf den linken Wagenplatz Ølhafen im Kleingartengebiet im Bremer Stadtteil Walle gegeben. Dieses Parzellengebiet wird seit Jahrzehnten von Mitgliedern der rechten Szene unterwandert. In aller Gemütlichkeit konnten hier Strukturen aufgebaut werden, Rechtsextreme vernetzten sich oder ließen einfach gemeinsam die Seele baumeln.

Die Dinge gemütlich angehen lassen, das tut offenbar auch der Bremer Verfassungsschutz. Jedenfalls können die rechten AkteurInnen in Bremen Walle, wie es scheint, völlig unbehelligt agieren. Der Geheimdienst hat entweder wirklich keine Kenntnisse über die dortige Szene – oder er mag diese mit der Presse nicht teilen.

Um staatlichen Geheimschutz, der dem Schutz des Wohles des Bundes oder eines Landes dient, kann es kaum gehen: Die Rechte hat in Bremen Walle nicht besonders geheim agiert. 2008 konnte die NPD ihr Parteitreffen in einem der Vereinshäuser im Kleingartengebiet abhalten; auch die rechtsextreme Kameradschaft Sturm Wiking traf sich dort. Ab 2016 kamen regelmäßig Treffen der Identitären Bewegung dazu. Zeitgleich eröffnete kurzzeitig eine Gruppe der Hells Angels ihr Vereinsheim im Kleingartengebiet. Dort gingen bekannte AkteurInnen der rechten Szene ein und aus.

Im Verfassungsschutzbericht kein Wort über die rechte Szene, die sich im Kleingartengebiet breit gemacht hat

Menschen mit rechter Gesinnung unterhalten teilweise Parzellen und nehmen zusätzlich an organisierten Zusammenkünften teil. In den Kleingärten können sie ihre politische Agenda vorantreiben. Bei der letzten Bremen-Wahl bekamen die Bürger in Wut (die AfD war nicht zugelassen) in dem zugehörigen Ortsteil Hohweg 22,7 Prozent der Stimmen.

All diese öffentlich zugänglichen Informationen hat das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus sofort parat. Und der Verfassungsschutz? Der nicht. Mit keinem Wort wird das Gebiet in den jährlichen Berichten erwähnt. Auch auf explizite Nachfragen der taz gibt es tagelang nur die Antwort: Man könne zu dem Thema nichts sagen.

Sollte der Verfassungsschutz die Bevölkerung nicht vor gewaltbereiten Strukturen warnen? Der Wagenplatz Ølhafen als alternative Wohnform wird bedroht und mit Nazi-Parolen beschmiert, seit er 2018 in das Parzellengebiet gezogen ist. Im Juni gab es einen nächtlichen Brandanschlag. Es liegt zumindest nahe, dass den Angriffen die rechte Ideologie zu Grunde liegt, die sich vor Ort manifestieren konnte. Der Ølhafen brachte Unruhe ins Gebiet.

Die BewohnerInnen des Waller Bauwagenplatzes haben die Angriffe zwar nicht formal gemeldet, es wäre aber trotzdem schon bemerkenswert, wenn der Verfassungsschutz sie nicht mitbekommen hätte. Auch, weil der Wagenplatz einige der die Übergriffe auf der Plattform Indymedia bekanntmachte. Dort liest die Behörde mit: Bei dem Blog handelt es sich schließlich um ein Medium der linksextremen Szene.

Und diese linksextreme Szene behalten die Sicherheitsbehörden ganz genau im Blick: Der Bremer Verfassungsschutzbericht liest sich in diesem Kapitel wie ein Nachbericht aller linken Demo-Aktivitäten, auch solcher, die weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreichen. Und der große Bruder des Bremer Landesamtes, der Bundesverfassungsschutz, soll bis mindestens Ende 2022 den linken Bremer Wagenplatz „Querlenker“ täglich gefilmt haben.

Sollte der Bremer Verfassungsschutz die gewaltbereite rechte Szene in Walle tatsächlich nicht auf dem Zettel haben, wäre das erschreckend ineffizient. Und wenn er öffentlich zugängliche Informationen über Rechte nicht aufbereiten, sondern heimlich verwalten will, sorgt das dafür, dass sich Rechte in ihrer Menschenverachtung heimelig einrichten können. Und das ist gefährlich.

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