Existenzkrise der Linkspartei: Parteivorsitzende auf Abruf

Auf dem geplanten Bundesparteitag der Linken im Oktober gilt ein Führungswechsel als wahrscheinlich. Doch wer nachfolgen kann, ist völlig offen.

Martin Schirdewan, Bundesparteivorsitzender der Partei Die Linke, spricht zu den aktuellen Themen nach der Gremiensitzung

Die Linkspartei stehe vor einer „strategischen Richtungsentscheidung“, kündigt Nochparteichef Martin Schirdewan an Foto: Britta Pedersen/dpa

BERLIN taz | Gut gelaunt betritt Martin Schirdewan am Montagmittag den Rosa-Luxemburg-Saal im Karl-Liebknecht-Haus. Selbstverständlich freuen ihn die Wahlergebnisse in Frankreich, speziell das gute Abschneiden des dortigen Linksbündnisses. Aber das alleine erklärt noch nicht seinen Auftritt in der Berliner Parteizentrale. Vielmehr will er mit seinem selbstbewussten Auftreten offenkundig demonstrieren, dass er die Hoffnung in seine Partei immer noch nicht verloren hat.

Schirdewan und seine Co-Vorsitzende Janine Wissler sind nur noch Vorsitzende auf Abruf. Er steht seit 2022 der Linkspartei vor, sie seit 2021. Lang im Amt sind die beiden also nicht. Aber dass sie auf dem für Oktober in Halle geplanten Parteitag noch einmal antreten werden, gilt als abwegig.

Ihre Wiederwahlchancen wären auch denkbar schlecht. Denn das Desaster der Europawahl ist für die Linke einfach zu groß, um ohne personelle Konsequenzen an der Spitze auszukommen – völlig unabhängig davon, welche konkrete Verantwortung die beiden tatsächlich für den katastrophalen gegenwärtigen Zustand tragen. Doch wer kommt dann?

An mangelndem Selbstbewusstsein fehlt es in der Partei nicht. Es gibt schon einige, die sich zutrauen würden, Schirdewan und Wissler an der Spitze abzulösen. Ob das auch der Wahrnehmung der Partei oder gar der Wäh­le­r:in­nen entspricht, ist allerdings eine andere Frage.

Ausufernde Personaldebatten

Offiziell hüllen sich Schirdewan und Wissler noch in Schweigen, was ihre politische Zukunft betrifft. Es gäbe einen „klaren Fahrplan, auch was die personellen Fragen betrifft“, bekundete Schirdewan am Montag auf Nachfrage. „Wir werden natürlich Klarheit schaffen, ob wir noch mal antreten oder nicht“, sagte er. Nur wann das sein wird, wollte er nicht verraten.

Das dürfte daran liegen, dass die Linkenführung ausufernde Personaldebatten, die in die ostdeutschen Wahlkämpfe ausstrahlen könnten, vermeiden will. Eine Lösung der offenen Personalfrage soll nun eine Arbeitsgruppe finden, die der Bundesvorstand jetzt eingesetzt hat. Zu den Mitgliedern zählen neben den zwei noch amtierenden Parteivorsitzenden unter anderem die Landesvorsitzenden aus Brandenburg, Berlin, Thüringen und Nordrhein-Westfalen, Sebastian Walter, Maximilian Schirmer, Christian Schaft und Kathrin Vogler.

Außer Personalvorschlägen soll die innerparteilich gut austarierte Arbeitsgruppe noch „Vorschläge für die Klärung bestehender Dissense“ erarbeiten und über einen Entwurf für den Leitantrag beraten, der auf dem Bundesparteitag verabschiedet werden soll. Außerdem soll der Kreis auch „eine gemeinsame Strategie“ für die Bundes- und die Länder­ebene entwickeln. Er dürfte viel zu tun haben. Hintergrund ist offenkundig das Ziel, ein neues politisches Zentrum in der Partei zu schaffen.

„Verlässlichkeit im Wandel“.

Am Wochenende hatte der Bundesvorstand zusammen mit den Ver­tre­te­r:in­nen der Landesverbände sowie mit Heidi Reichinnek und Sören Pellmann, die der Bundestagsgruppe vorstehen, über mögliche Konsequenzen aus der Europawahlkatastrophe zu beraten – nicht nur den personellen. Mit „großer Mehrheit“ hätten sich die Anwesenden auf einen Fahrplan bis zum Parteitag im Oktober geeinigt, um dort eine „strategische Richtungsentscheidung“ zu ermöglichen.

Auch sollen über den Sommer hinweg Beratungen in den Parteigliederungen beginnen, um „mit breit geteilten Positionen, inhaltlichen Klärungen und Zuspitzungen in die Bundestagswahl“ gehen zu können. Als Losung gab Schirdewan aus: „Verlässlichkeit im Wandel“.

Mit 2,7 Prozent hatte die Linke Anfang Juni nur noch etwa halb so viele Stimmen wie fünf Jahre zuvor bekommen. Die Auseinandersetzungen um die Abspaltung der Gruppe um Sahra Wagenknecht hätten „die inhaltlichen Positionen und Interventionen der Linken in den Hintergrund gedrängt“, benennt ein am Sonntag beschlossenes Papier als einen der Gründe.

Für Teile des Wäh­le­r:in­nen­po­ten­zi­als sei unklar gewesen, wofür die Partei noch stehe. Hinzu käme, dass der Linkspartei in den Themen, die die mediale Debatte um die EU-Wahl bestimmt hätten, wie der Friedenspolitik, „kaum Kompetenzen zugeschrieben werden“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben