Krisengipfel in Brüssel: Machtkampf um EU-Spitzen entbrannt

Kanzler Scholz' Wunsch wurde nicht erfüllt: Eine schnelle Einigung über neues EU-Spitzenpersonal wird es nicht geben. Bis Ende Juni soll entschieden werden.

Ursula von der Leyen stegt aus einem Fahrzeug.

Noch-EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf dem Weg zu einer EVP-Sitzung am Montag in Brüssel Foto: Virginia Mayo/ap

BRÜSSEL taz | Es sollte alles ganz schnell gehen. Er erwarte eine Einigung „in kürzester Zeit“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz zu Beginn des EU-Sondergipfels am Montagabend in Brüssel. Kurz nach der Europawahl wollten die 27 Staats- und Regierungschefs im Eiltempo die EU-Spitzenposten verteilen und sofort wieder zur Tagesordnung übergehen.

Doch dann gab es überraschend Streit. Die Konservativen um EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollen mehr Macht – und könnten damit die EU in eine neue Krise stürzen. Konkret geht es im den Job des EU-Ratspräsidenten, der die EU-Gipfel leitet und bisher von dem belgischen Liberalen Charles Michel gehalten wird.

Die konservative Europäische Volkspartei EVP fordert, die effektive Amtszeit des Ratspräsidenten von bisher fünf Jahren zu halbieren, damit sie die zweite Hälfte mit einem EVP-Politiker besetzen kann. Außerdem will sie den Job von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola bis 2029 verlängern. Normalerweise müsste sie schon 2027 gehen.

Diese Forderungen habe der konservative polnische Regierungschef Donald Tusk gestellt, berichteten Diplomaten nach dem sechsstündigen, spannungsgeladenen Treffen in Brüssel. Außerdem reklamiert die EVP auch noch den Job der Kommissionspräsidentin für sich – von der Leyen soll ebenfalls bis 2029 bleiben.

EVP kann nicht allein regieren

Wenn sich die EVP durchsetzt, würden zum Ende der neuen Legislatur die Spitzen der drei wichtigsten EU-Institutionen – Kommission, Rat und Parlament – mit Konservativen besetzt. Die Union würde komplett schwarz regiert. Mit dem Ergebnis der Europawahl hätte das nicht mehr viel zu tun. Die EVP lag zwar leicht vorn.

Doch allein regieren kann sie nicht. Im neuen Europaparlament braucht es die Unterstützung von Sozialdemokraten und Liberalen. Zudem war die Wahl von einem Rechtsruck gekennzeichnet. Auch die umstrittene rechtspopulistische italienische Regierungschefin Giorgia Meloni fühlt sich deshalb als Siegerin.

Meloni sei mit dem Ablauf des Abends sehr unzufrieden gewesen, berichten Teilnehmer. Sie hatte wohl gehofft, im Mittelpunkt zu stehen – wurde dann aber von Scholz, Tusk und anderen an den Rand gedrängt, die sich schon vor Beginn des Abendessens zu einer außerplanmäßigen Krisensitzung trafen. Eine Einigung fanden sie nicht, der Gipfel endete im Streit. „Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine Einigung“, sagte Gipfelchef Michel. Beim Gipfel am 27. und 28. Juni werde es „mehr Klarheit“ geben, versprach der Belgier.

Sicher ist das allerdings nicht. Zwar zeichnet sich eine Einigung auf eine zweite Amtszeit für von der Leyen ab. Der kroatische Regierungschef Andrej Plenkovic sagte, er habe keine Stimme gehört, die ihre Bewerbung auf dem Ticket der EVP in Frage gestellt hätte.

Sozialdemokraten und Liberale kämpfen um Machtposten

Doch der Machtkampf um die übrigen Posten ist voll entbrannt. Für den umstrittenen Posten des Ratspräsidenten haben die Sozialdemokraten den früheren portugiesischen Regierungschef António Costa vorgeschlagen. Für die Nachfolge des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ist die estnische Regierungschefin Kaja Kallas aus dem Lager der Liberalen im Gespräch.

Allerdings zählen die Liberalen – mit den Grünen – zu den größten Verlierern der Europawahl. Sie kommen nach den letzten Berechnungen nur auf 80 Sitze im Europaparlament, gegenüber 190 für die EVP und 136 für die Sozialdemokraten. Für eine Mehrheit unter den 720 Abgeordneten sind 361 Stimmen nötig. Die Kommissionspräsidentin muß noch vom Europaparlament bestätigt werden. Auch dabei könnte es angesichts des Machtkampfs auf dem Gipfel noch Probleme geben.

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