Bewegungstermine in Berlin: Gegen die gewalttätige Idylle

Der gesellschaftlichen Faschisierung lässt sich auch durch Urlaub nicht entfliehen. Eine Spurensuche, was stattdessen helfen könnte.

Punks beim Einsteigen durchs Fenster in einen Zug, aufgenommen auf Sylt, 01.08.1995.

Der Weg zur Ostsee bereitet Linken seit Generationen Probleme Foto: IMAGO / Markus Matzel

Über das Wochenende war ich an der Ostsee. Naja, fast. Ich war in Ueckermünde, ein verschlafenes Fischerörtchen auf der Südseite des Stettiner Haff. Das ist ein großes Küstengewässer, das teils in Deutschland, teils in Polen liegt, und von der Ostsee durch die Insel Usedom abgrenzt wird. Es gibt Dünen, Sandstrand und beim Blick auf das Wasser verschwindet Usedom teils hinter dem Horizont, sodass dieser meertypische Eindruck unendlicher Weite entsteht.

Es ist ein friedlicher Ort, in dem Rentnerpaare sich im Sonnenuntergang noch schnell im Hafenbecken das Abendessen angeln. Doch immer wieder passiert es, dass der idyllische Schein gestört wird. Dann drängt sich die Realität brutal zurück ins Bild. Schon bei der Anreise mit der putzigen Bimmelbahn rauschen zwischen Schafweiden und Birkenwäldern Stromkästen an uns vorbei, die in den Farben des Deutschen Reichs bemalt sind. An einem Bahnhof winkt ein Neonazi seinem Kind, das gerade in den Zug gestiegen ist. Er sieht richtig freundlich aus, der Flip-Flop-tragende Glatzkopf in seinem braunen Reichsadler T-Shirt, fast liebevoll.

Ein kurzer Blick auf das Handy verrät die typischen politischen Verhältnisse: Die AfD ist stärkste Kraft (32 Prozent), gefolgt von CDU und BSW, auch nur ansatzweise progressive Parteien sind völlig unbedeutend. Ich lasse mein „Antifa for Future“-T-Shirt lieber im Rucksack und dämme beim Gespräch die Stimme, damit die anderen Urlaubsgäste (einer in „Ostdeutschland“-Jogginghose, andere mit unzweideutigen Tattoos) nicht auf uns aufmerksam werden. Dass nicht-weiße Menschen eher woanders urlauben, wundert mich nicht.

Es entwickelt sich ein grundsätzliches Misstrauen gegen meine Mitmenschen, denke ich mir und fühle mich plötzlich schrecklich einsam. Wie müssen sich erst Rassismusbetroffene tagtäglich fühlen? Und klar, Nazis gab es in Deutschland schon immer genug. Dass sie sich und ihr Nazisein aber so stolz präsentieren wie der Fascho vom Bahnsteig, dass niemand widerspricht – ob nun aus Zustimmung, Gleichgültigkeit oder Angst – das sind neue Realitäten. Und ich bin mir sicher, dass dies auch daran liegt, dass im Gegensatz zu den Baseballschläger-1990ern die schlagkräftige antifaschistische (Selbst-)hilfe merkwürdig abwesend ist. Nicht, weil es keine Linken geben würde, sondern weil sie sich alle von der Breite und Schnelligkeit der Faschisierung überrannt fühlen.

Aktiv werden, sich vorbereiten

Umso wichtiger ist es, dass diese Schockstarre endlich überwunden wird. Anlässe gibt es wie immer genügend: Am Donnerstag (20. 6.), dem Weltflüchtlingstag, findet in Potsdam eine antirassistische Demo gegen die Innenministerkonferenz statt, wo vermutlich schon die nächsten Pläne zur Abschaffung des Asylrechts ausgeheckt werden (17 Uhr, Alter Markt am Landtag). Am Samstag (22. 6.) gilt es, auf dem CSD in Bernau für eine gestärkte queere Gemeinschaft und ein buntes, diskriminierungsfreies Bernau einzutreten.

Was ansonsten hilft? Klar, aktiv zu sein. Möglichkeiten dazu gibt es wie gehabt. Die Letzte Generation hält am Mittwoch (19. 6.) im Baiz einen Vortrag (Schönhauser Allee 26 A, 19 Uhr), wo es auch darum gehen wird, was je­de:r tun kann. Am darauffolgenden Mittwoch (26. 6.) hat Ende Gelände ein Offenes Plenum (18:30 Uhr, Zwille, Straße des 17. Juni 135).

Organisierung hilft auch gegen die Angst, sagen wir uns im Flüsterton, während wir im Strandcafé sitzen. Strukturen zu haben, Netzwerke, auf die man vertrauen kann. Wir mer­ken: ­Ei­gent­lich bereiten wir uns längst auf dunkle Zeiten vor. Und damit sind wir nicht alleine. Viele zivilgesellschaftlichen Initiativen, längst nicht nur die linksradikalen, spielen Planspiele durch, versuchen sich auf Situationen einzustellen, in denen politische Spielräume schwinden.

Der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit etwa diskutiert am Mittwoch (19. 6., 19 Uhr) im Museum des Kapitalismus (Köpenicker Str. 172) darüber, wie die Zukunft der sozialen Arbeit im Lichte des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks aussehen kann. Zugegen sein wird die Professorin für eine diskriminierungssensible Theorie und Praxis Sozialer Arbeit an der Alice Salomon Hochschule, Barbara Schäuble. Anschließend soll gemeinsam über Erfahrungen aus der Praxis diskutiert werden.

Die verzweifelte Suche nach Ursachen

Einen Einblick in die Neonaziszene Neuköllns liefert derweil ein Vortrag in der B-Lage, der sich um die Aktivitäten der Kleinstpartei III. Weg und die rechte Terrorserie des Neukölln-Komplexes dreht. Denn im Windschatten der rechten Landgewinne trauen sich in Neukölln die Neonazi-Kader immer mehr in die Offensive. Sie greifen linke Jugendzentren an, hängen ihre Propaganda auf und belästigen linke Kundgebungen. Diskutiert werden soll, wie eine effektive Gegenwehr gegen rechte Dominanz aussehen kann (Donnerstag, 20. 6., Mareschstr. 1, 19:30 Uhr).

Im Strandcafé kommen wir derweil nicht auf die Ursache der Misere. Klar, da sind die ostdeutschen Erfahrungen mit den Plünderungen der Treuhand und der Verrat des Realsozialismus. Jeder Erfolg der Rechten beruht auf einem Versagen der Linken. Fa­schis­t:in­nen wälzen ihren Hass auf Minderheiten und Linke, weil sie im Kapitalismus ihren Gegner nicht erkennen können. Wirklich verstehen, wie sich die Verhältnisse so entwickeln konnten, tun wir trotzdem nicht. Einig sind wir uns nur: Auch die eigene Theorie und Praxis gehört auf den Prüfstand.

Kongress der Aufständigen

Eine Möglichkeit, sich einmal wirklich selbstkritisch zu überprüfen, bietet der NON-Kongress (21.–23. Juni). Hier dürfte an Fundamentalkritik an der Linken kein Mangel herrschen. In einem Kommuniqué der Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen wird etwa gegen die sich „in ihrer Liberalität immer weiter desavouierenden“ Linken polemisiert, die nicht von „Klima-Appell-Politik“, „Absegnung autoritärer Corona-Maßnahmen“ und der „Nicht-Positionierung oder Unterstützung grüner Waffenlieferungenspolitik“ lassen will.

Diese anarchistische Strömung sucht die Hoffnung deshalb jenseits der traditionellen Linken: In den „globalen Aufständen“, die sich „oftmals erst gegen sie [die Linke] durchsetzen müssen“. Diese Aufstände sind die „Non Bewegungen“: sponante Revolten ohne Organisation und politische Forderungen, die im Globalen Süden, aber auch in den Metropolen ausbrechen, etwa nach dem Tod des von der Polizei erschossenen Jugendlichen Nahel in Frankreich oder während der Berliner Silvesternacht 2022/23.

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Man mag eine derartige Riotzelebrierung als politisch untauglich, naiv, gar gewaltverherrlichend verwerfen. Oder man geht zum NON-Kongress und lernt vielleicht doch noch etwas über darüber, warum die radikale Linke von so wenigen Menschen als echte Alternative wahrgenommen wird. Der Kongress findet in Berlin an einem Ort statt, der nach Anmeldung unter non-kongress@systemli.org mitgeteilt wird. Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen schreiben, es würden keine „bürgerliche Informationen wie Namen“ benötigt.

Im Strandcafé bezahlen wir. Auf der Rückreise ist der Regio überfüllt, alles voller Hippies und Berliner Partypublikum, irgendwo war wohl ein Festival. Es geht zurück in die Großstadtbubble. Die Gewissheit, dass auch diese Idylle eine Illusion ist, bleibt.

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