Boateng im Berufungsprozess​: „Ich misshandle keine Frauen“​

Jérôme Boateng steht erneut vor Gericht, weil er seine Ex geschlagen haben soll. Die Richterin bemüht sich um eine Verständigung – vergebens.

Fußballer Jerome Boateng in einem Gericht.

Fußballer Jérôme Boateng am 14.6. im Landgericht München Foto: Matthias Balk/dpa

MÜNCHEN taz | Jetzt also das Ganze noch mal von vorn. Zum dritten Mal beschäftigt sich nun eine Münchner Gerichtskammer mit der Frage, ob Jérôme Boateng, Weltmeister, Champions-League-Sieger und langjähriger FC-Bayern-Spieler 2018 seine damalige Freundin bei einem Urlaub in der Karibik geschlagen, gebissen, beworfen, getreten und beleidigt hat – oder ob Sherin S. sich das alles nur ausgedacht hat.

Der Angeklagte erscheint ein paar Minuten zu spät; dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, Brille. „Jerome Agyenim Boateng – das sind Sie?“ wird er von der Vorsitzenden Richterin Susanne Hemmerich gefragt. Und wenig später: „Fußballprofispieler – stimmt wohl noch?“ Ja, stimmt. Gerade erst hat der 35-Jährige einen Zweijahresvertrag beim Linzer ASK unterschrieben.

Doch ganz so unbeleckt, wie es kurzzeitig scheint, ist die Richterin nicht, wie sich wenig später herausstellt, als sie zu ein paar „persönlichen Worten“ ausholt: Seit 40 Jahren mache sie nun diesen Job, aber selten habe sie erlebt, dass sich ein Verfahren so lange hinziehe – mit einer solchen medialen Vorverurteilung.

Für die besondere Länge sei zwar zum einen die Pandemie, zum anderen aber auch ein Verschulden der Justiz verantwortlich gewesen. Was sie an diesem Verfahren besonders bewege, sei, dass die gemeinsamen Kinder von Boateng und S., die mittlerweile 13-jährigen Zwillingsschwestern in den Medien verfolgen müssten, wie ihre Eltern sich vor Gericht bekriegten.

Auch wenn die Fronten verhärtet erschienen, wolle sie noch einen Versuch starten, im Vorfeld eine Lösung zu finden, damit nun endgültig Schluss sei. Sie wolle deshalb die Verfahrensbeteiligten mit ihr ins Beratungszimmer bitten. „Ich glaube, ich hätte einen Vorschlag, mit dem alle Parteien leben könnten.“ Und wohlgemerkt: „Ich will hier keine Lanze dafür brechen, dass Frauen verprügelt werden.“

Für rund eine halbe Stunde zieht man sich zurück, doch die Hoffnung der Richterin zerschlägt sich. Mit ihrem Vorschlag, es für den Fall eines Geständnisses und der Zahlung eines gewissen Betrags an eine gemeinnützige Organisation bei einer Verwarnung mit Strafvorbehalt zu belassen, dringt sie bei keiner der Parteien durch.

Er will sich nur gewehrt haben

So beginnt also nun die Beweisaufnahme. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sind bekannt. Es sind dieselben, denen im Grundsatz auch das Berufungsgericht 2022 in seinem Urteil gefolgt war. Demnach war Boateng 2018 nach dem frühzeitigen Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der WM mit Sherin S., den gemeinsamen Kindern, einer Freundin von S. sowie einem Jugendfreund und dessen Tochter zu einem Urlaub in einer Hotelanlage auf den Turks- und Caicosinseln aufgebrochen. Am vorletzten Abend sei es dann bei einem Kartenspiel zu einem Streit gekommen, der immer mehr eskaliert sei.

Nachdem Boateng seine Freundin übelst beschimpft haben soll, habe er schließlich eine mit Getränken gefüllte Kühltasche auf sie geworfen; etwas später soll er sie dann auch bespuckt, in die Kopfhaut gebissen, an den Haaren gezerrt und in die Flanke geboxt haben. Zudem verletzte er sie nach Auffassung des Gerichts an den Augen.

„Ich misshandle keine Frauen“, sagt nun Boateng in seiner Einlassung. Nicht er sei es, der sich nicht unter Kontrolle habe, sondern seine Ex. „Frau S. ist der aggressive Part.“ Die leidenschaftliche Kickboxerin habe ihn sogar einmal mit Highheels ins Gesicht getreten. Besonders schlimm sei es, wenn sie etwas getrunken habe oder eifersüchtig sei. Das Bild jedenfalls von der kleinen, unschuldigen und körperlich unterlegenen Frau sei völlig falsch.

So sei es auch an diesem Abend Sherin S. gewesen, die aus heiterem Himmel den Streit angefangen habe. Nichts habe er in der Absicht, sie zu verletzen, nach ihr geworfen, allenfalls ein Kissen. Im Verlauf des Streits und der gegenseitigen Beschimpfungen habe vielmehr sie ihn mit dem Ellbogen an der Lippe verletzt, worauf er sie quasi in Notwehr zweimal geschubst habe, so dass sie schließlich zu Boden gefallen sei. Es habe allerdings keine Prügelei gegeben, „bei der ich minutenlang auf die am Boden liegende Frau S. eingeschlagen habe.“

Boateng führte auch an, welche beruflichen Folgen der jahrelange Rechtsstreit für ihn habe: „Ich hätte gern noch ein paar Jahre Fußball auf höchstem Niveau gespielt.“ Bei großen Vereinen habe er allerdings keine Chancen mehr. „Mit einem Frauenschläger wollen die nichts zu tun haben – zu Recht.“

„Jetzt ist mal Ruhe hier“

Der Ton ist rauh im Saal A 101 des Münchner Justizgebäudes. Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung giften sich an, werfen sich gegenseitig vor, die Presse für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Die Richterin wir mehrfach laut. „Jetzt ist mal Ruhe hier in dem Sitzungssaal“, ruft sie. Sie weist insbesondere die Staatsanwältin und die Vertreterin der Nebenklage zurecht und mehrfach darauf hin, dass sie solche Verhalten in einem Verfahren in 40 Jahren nicht erlebt habe. Doch offensichtlich haben sich die Fronten in den Jahren, in denen sich die übrigen Beteiligten schon vor Gericht bekriegen, tatsächlich sehr verhärtet.

In der Sache waren schon zwei Urteile gesprochen worden, beide Male hatten die Richter den Fußballer für schuldig befunden. Zunächst im Jahr 2021, da hatte das Amtsgericht München Boateng zu einer Strafe von 60 Tagessätzen à 30.000 Euro verurteilt. Insgesamt viel Geld – 1,8 Millionen Euro – aber von der Anzahl der Tagessätze her noch ein mildes Urteil; bei einer Strafe von bis zu 90 Tagessätzen gelten Verurteilte noch nicht als vorbestraft.

Im Jahr darauf kam es allerdings, nachdem sowohl Boateng als auch die Staatsanwaltschaft und Nebenklägerin S. Berufung eingelegt hatten, zu einem zweiten Prozess und einer zweiten Verurteilung. Diesmal entschied das Landgericht München I, Boateng müsse wegen Körperverletzung und Beleidigung eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10.000 Euro zahlen. Boateng wäre nun vorbestraft gewesen.

Weiterer Vorwurf wegen Gewalt

Gegen dieses Urteil wiederum legten wiederum die nun nur noch zulässig Revision ein. Boatengs Anwälte machten einen Verfahrensfehler geltend: Nachdem diese einen Beweisantrag nach dem anderen stellten, merkte der Vorsitzende Richter an, dass sich weitere Anträge negativ auf die Strafe auswirken könnte. Daher stellten die Verteidiger einen Antrag auf Befangenheit gegen den Richter. Daraufhin kam es zu dem Fehler des Richters: An der Entscheidung, den Antrag abzulehnen, beteiligte er sich nun selbst. Der Revision musste stattgegeben werden, das Oberste Landgericht verwies den Fall zurück ans Landgericht.

Der Fall, der nun zum dritten Mal aufgerollt wird, ist nicht der einzige, in dem Boateng Gewalt gegen eine Frau vorgeworfen wird. Im Jahr nach dem Vorfall in der Karibik ging er eine Beziehung mit dem Model Kasia Lenhardt ein, einer früheren Teilnehmerin von „Germany’s Next Topmodel“. Die Beziehung dauerte ein gutes Jahr. Anfang 2021 teilte der Fußballer mit, sich von Lenhardt getrennt zu haben und holte in einem Bild-Interview zu massiven Vorwürfen gegen sie aus. Sie habe ihn erpresst, ihn zerstören wollen.

Die Schlammschlacht fiel jedoch einseitig aus. Nach Recherchen von Correctiv und Spiegel hatte Lenhardt selbst eine Vereinbarung unterschrieben, wonach sie sich nicht zu ihrer Beziehung mit Boateng äußern durfte; sie konnte sich also nicht wehren. Eine Behauptung, der Boateng widerspricht. Er habe Lenhardt nicht zu einer solchen Verschwiegenheitserklärung gezwungen, auch selbst keine Ausfertigung besessen. Das Model hätte sich daher ohne weiteres öffentlich äußern können.

Kurz nach dem Erscheinen des Interviews wurde die 25-Jährige tot aufgefunden, mutmaßlich infolge eines Suizids. Die Staatsanwaltschaft, die schon über ein Jahr zuvor ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung gegen Boateng eröffnet und zwischenzeitlich wieder eingestellt hatte, nahm diese wieder auf. Laut Spiegel laufen die Ermittlungen bis heute.

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