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Schätzungen von HilfsorganisationTausende Kinder in Gaza vermisst

Hilfsorganisationen warnen vor katastrophalen Folgen des Kriegs für Kinder. Tausende sollen von ihren Familien getrennt worden sein.

Warten bei der Essensausgabe: Kinder im Gazastreifen, Chan Junis am 19. Juni Foto: Hatem Khaled/rtr

Berlin taz | Es sind verstörende Schätzungen, auf die Save the Children hinweist: „Bis zu 21.000 Kinder werden in den Kriegswirren im Gazastreifen vermisst“, teilte die Hilfsorganisation am Montag mit. „Viele sind unter Trümmern begraben, wurden festgenommen, in nicht gekennzeichneten Gräbern verscharrt oder haben ihre Familien verloren.“ Die israelische Offensive im südlichen Gazastreifen habe weitere Kinder von ihren Familien getrennt.

Bei der Zahl handelt es sich allerdings um eine sehr grobe Schätzung. Sie basiert zu einem großen Teil – 17.000 Personen – auf einer Schätzung des UN-Kinderhilfswerks Unicef aus dem Februar. Hinzugerechnet hat Save the Children 4.000 Minderjährige, was dem prozentualen Anteil von Kindern an den rund 10.000 Menschen entspricht, die nach Schätzungen palästinensischer Behörden unter Trümmern begraben liegen. Selbst Save the Children schreibt: „Wie viele Kinder werden vermisst? – Wir wissen es nicht mit Sicherheit.“

Doch selbst wenn die Zahlen mit Vorsicht zu behandeln sind: Auch andere Hilfsorganisationen warnen vor katastrophalen Auswirkungen des seit mehr als acht Monaten anhaltenden Kriegs, der mit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober begann. „Als ich in Gaza ankam und durch die Stadtteile fuhr, fiel mir die große Anzahl an Kindern auf. Viele tragen keine Schuhe“, berichtete Ulrike Julia Wendt, Kinder-Nothilfekoordinatorin beim International Res­cue Committee, Ende Mai. Da die Schulen geschlossen seien, seien die Kinder einem erhöhten Risiko von Ausbeutung und Missbrauch ausgesetzt.

Save the Children zitiert einen Mitarbeiter in Gaza: „Jeden Tag finden wir mehr unbegleitete Kinder und wird es schwieriger, sie zu unterstützen. Wir arbeiten mit Partnern zusammen, um getrennte und unbegleitete Kinder zu identifizieren und ihre Familien ausfindig zu machen, aber es gibt keine sicheren Einrichtungen für sie.“

Zudem sei es schwierig, die Kinder mit ihren Familien zusammenzubringen, da die Kämpfe den Zugang zu den Gemeinden erschwerten und die Familien ständig zum Umzug zwingen würden. Auch Save the Children warnt vor Gewalt gegen Kinder: „Viele sind bei Fremden – oder ganz allein – untergebracht, was das Risiko von Gewalt, Missbrauch, Ausbeutung und Vernachlässigung erhöht.“

Dürfen krebskranke Kinder Gaza verlassen?

Insgesamt sind nach palästinensischen Angaben bereits mehr als 37.000 Menschen in Gaza getötet worden. Mehr als 14.000 davon sollen nach bereits älteren Angaben Kinder sein. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat angegeben, dass die Hälfte aller Getöteten Kämpfer gewesen seien. Israelische Behörden betonen zudem, dass in Reihen der Hamas und anderer militanter Gruppen auch Minderjährige kämpfen.

Derweil gab es in arabischen Medien Berichte, dass erstmals seit dem 7. Oktober einige palästinensische Kinder mit schweren Krankheiten, darunter Krebs, aus Gaza über den Übergang Kerem Schalom nach Israel ausreisen dürften. Demnach sollten die Kinder aus dem nördlichen Gazastreifen nach Chan Junis und dann zur Behandlung ins Ausland gebracht werden. Eine Bestätigung seitens Israels oder der Weltgesundheitsorganisation stand am Montag aus.

Israel hat indes erneut den Gazastreifen bombardiert. Netanjahu hatte am Sonntag gesagt, die intensive Phase des Krieges werde bald vorbei sein, was es der Armee ermöglichen werde, Kräfte an die Grenze zum Libanon zu verlegen. Wer außer der Hamas in einem solchen Fall in Gaza das Machtvakuum füllen würde, ist nach wie vor offen.

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10 Kommentare

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  • Grundgesetz Artikel 1: "Es gibt keine gravierenden und weniger gravierenden Menschenrechtsverletzungen; internationales Recht ist universal und nicht relativierbar, die Menschenwürde des Einzelnen ist unantastbar. So ist es auch im deutschen Grundgesetz in Artikel 1 Absatz 1 wie auch in der Menschenrechtscharta festgeschrieben. "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.", heißt es weiterhin in Artikel 3, Abs. 3. Die rechtliche Lage ist damit eindeutig und muss konsequent angewendet werden.



    Keine Frage: Jüdisches Leben muss geschützt werden, ABER ganz genauso, und nicht einen Deut weniger, jedes andere Leben!

  • Die Kriegswaisen von heute sind die Hamas-Kämpfer von morgen

    Eigenen Verlautbarungen zufolge haben die ISF bislang 15 000 Hamas-Kämpfer getötet. Nach älteren Unicef-Angaben beläuft sich Zahl der getöteten palästinensischen Kinder unter den zivilen Opfern der ISF-Militäroperation „Eiserne Schwerter“ gegen die Hamas als Reaktion auf deren Pogrom vom 7. Oktober 2023 auf ebenfalls 15 000. Damit kämen auf jeden getöteten Hamas-Terroristen ein getötetes palästinensisches Kind.

    Die Geschichte dieses Konfliktes ist gepflastert mit den Totenschädeln „geopferter Zivilisten“ beider Seiten, ohne daß mit ihnen die Sicherheit der jeweils anderen Bevölkerung garantiert worden wäre. Es ist nachgerade umgekehrt: Auf die Atrozitäten der Hamas mit alttestamentarischer Logik zu antworten, bereitet den Boden für immer neue Ungeheuerlichkeiten: 40% der Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens sind Kinder und Jugendliche, darunter immer mehr Waisen, die Hamas-Kämpfer von morgen...

  • Sollte nicht die humanitäre Lage verbessert werden indem endlich uneingeschränkt Hilfslieferungen nach Gaza gelassen werden, werden die Zahlen noch höher steigen. Die Hungernot ist da und Unterernährung über einen langen Zeitraum bei Kindern kann zu teils lebenslangen Beeinträchtigungen führen und deren Entwicklung körperlich und geistig beeinträchtigen, davon ganz zu Schweigen das bereits Kinder in Gaza an Unterernährung gestorben sind. Zudem macht sie der Mangel an Nahrung und sauberen Trinkwasser noch anfälliger für Krankheiten und selbst die einfachsten wie Diarrhö können tödlich werden für Kinder wenn es nichts gibt um sie zu behandeln. Die psychologischen Spätfolgen und auch körperl. Folgen von Verbrennungen/ Amputationen, die derzeit kaum behandelt werden können, sind da nicht mal mit eingerechnet.



    www.savethechildre...hs-brutal-conflict



    Und ich denke hier wird es irgendwann das böse Erwachen geben was die Zahlen angeht. Mich persönlich würde es nicht wundern wenn sie wesentlich höher sind als im Moment bekannt. Die Berichte von UNICEF´s James Elder in den letzten Wochen sind jedenfalls ziemlich schockierend.

  • Wahnsinn - und alles nur, weil die Hamas mal einen Tag groß rauskommen wollte. Was für eine Tragödie für das palästinensische Volk.

  • 2G
    2422 (Profil gelöscht)

    Nur ein Gipfel des Eisbergs an Menschenrechtverletzungen in Gaza. Es ist eine Schande, dass die deutschen Medien die Behinderung der Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet nicht transparenter machen. Das ist für mich der eigentliche Skandal. Man muss sich anderswo versorgen, wenn man mehr über den Krieg in Gaza erfahren will, zum Beispiel bei der liberalen israelischen Zeitung Haaretz oder beim vierteljährlichen Rundschreiben von medico international.

  • Das war leider zu erwarten. Ob sich die Kämpfer für ihr heiliges Land auf beiden Seiten jemals darüber Gedanken machen? Im Forum schrieb eimal einer, dass die internationale Gemeinschaft eine Zwei-Staaten-Lösung erzwingen muss. Dann braucht es noch massenhaft Hilfe zum Wiederaufbau an den Menschen.

  • die UN hat Israel zur “liste of shame” der Staaten die Kinder misshandeln hinzugefügt.. warum wohl?

    • @elma:

      Weil es der UN-Linie seit vielen Jahren entspricht. Siehe Francesca Albanese. Nicht ernstzunehmen, diese Frau. Und damit schadet sie dem palästinensischen Anliegen massiv.

      • @tazziragazzi:

        Danke, so ist es!