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ortsgesprächFür immer Provinz: Osnabrücks CDU stellt die Kunstfreiheit auf den Prüfstand

Den 15. Juni markiert sich die Kunsthalle Osnabrück ab jetzt sicher fett im Kalender. Vermutlich mit einem großen, schwarzen Kreuz. Nicht nur, weil an diesem Tag ihre vielleicht unerwartet gut besuchte Ausstellung „Kinder hört mal alle her!“ mit Sophia Süßmilchs Performance „Then I’ll huff and I’ll puff and I’ll blow your house in“ an den Start ging. Sondern eher noch, weil die örtliche CDU an diesem Tag eine Attacke ritt, die Haus und Künstlerin bundesweit in die Medien katapultierte.

Der Vorwurf der Christdemokraten hat es in sich: Süßmilch propagiere den Kannibalismus, oder jedenfalls mindestens „Fantasien“ dazu. Inhaltlich ist das völliger Unsinn, versteht sich. Süßmilchs Performance hat Nacktheit gezeigt, Menschen in Tiermasken. Darum fand sie in den Abendstunden statt, war als nicht kindgerecht gelabelt und mit Content-Warnungen flankiert. Auch ein Awarenessteam war vor Ort.

Und, ja, es war in der Tat auch um Kannibalismus gegangen: um Mütter, die ihre Kinder essen, um sie in ihren Bäuchen vor dem Bösen in der Welt zu schützen. Ein bisschen Märchen, ein bisschen Männerkritik, ein bisschen Sarkasmus. Nichts grundsätzlich Neues in der Kunst jedenfalls – und ganz bestimmt kein Loblied aufs Verspeisen von Menschen. Schnell geistern Worte wie „Skandal“ und „Eklat“ durch die aufwallende Debatte. Dass alles symbolistisch übersteigert ist? Dass es nicht wirklich um irgendwelche Essgewohnheiten geht? Dass Süßmilchs Dauerbeitrag zu „Kinder hört mal alle her!“ insgesamt völlig verstörungsfrei ist? Das hätte nun wirklich je­de:r schon beim kurzen Blick auf die Schau bemerkt. Wenn man denn da gewesen wäre.

Den Osnabrücker Christ­de­mo­kra­t:in­nen sind solche Details aber offenbar ohnehin nicht ganz so wichtig. Mit Gott, Geschmack und Anstand an der Seite sammeln sie ihre Truppen. Marius Keite ist dabei, der Vorsitzende der Stadtratsfraktion. Verena Kämmerling, die Kreisvorsitzende. Eva-Maria Westermann, die familienpolitische Sprecherin.

Aber bei ihrem unbedachten Frontalangriff auf die Halle vergaloppieren sie sich schon auf den ersten Metern. Ihr Kommuniqué vom 15. Juni ist schlicht peinlich – und vielleicht die eigentliche (und tatsächlich bedenkliche) Zumutung in dieser Posse: Keite, Kämmerling und Westermann rufen nämlich nicht nur zum Boykott von „Kinder hört mal alle her!“ auf, sondern fordern gar, die Ausstellung „umgehend zu schließen“.

Sie zeige Werke, die „sowohl inhaltlich als auch visuell absolut inakzeptabel“ seien. Man könne und wolle „nicht hinnehmen, dass unter dem Deckmantel der Kunst derartige groteske und verstörende Darstellungen öffentlich gezeigt werden“. Die „Grenze des Zumutbaren“ sei überschritten. Die Kunsthalle zeige „menschenverachtende Kunst“. Es seien „Konsequenzen zu ziehen“.

Verräterisch ist dieser Satz: Es sei „unverständlich“, steht in der CDU-Verlautbarung, „wie eine solche Ausstellung überhaupt genehmigt werden konnte“. Wie bitte? Genehmigt? Durch wen denn? Den Stadtrat? Die Staatsanwaltschaft? Am Ende gar die Kirche?

Die Kunst ist frei, steht im Grundgesetz und „Eine Zensur findet nicht statt.“ Das können auch Christ­de­mo­kra­t:in­nen nicht ernsthaft als Kollateralschaden hinnehmen, im Kampf gegen die feministisch-performativ ausgerichtete Kunsthalle, die Osnabrücks CDU-Oberbürgermeisterin Katharina Pötter schon lange ein Dorn im Auge ist.

Süßmilch hat Rückendeckung nicht nur vom ausstellenden Haus bekommen, sondern auch aus der Politik: von Osnabrücks SPD etwa und von der Ratsgruppe Grüne/Volt. In der Öffentlichkeit haben auch andere die von der CDU angestiftete Debatte aufgegriffen: Sophia Süßmilch bekommt inzwischen Morddrohungen. Harff-Peter Schönherr

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