Frankfurter Bahnhofsviertel: Dreckige Wäsche hat jeder mal
Zwischen 14 Waschmaschinen und einer vergilbten Wartebank ist eine ganze Welt. Ein Besuch in der „Miele Wash World“ im Frankfurter Bahnhofsviertel.
D a schreitet er im Regen den Bürgersteig entlang, mit diesem unverwechselbaren Gang, der ihm die Eleganz eines Dompteurs verleiht. Aufrecht und beschwingt, ganz in Schwarz, die Schuhe, die Hose, das Longsleeve. In seiner linken Hand hält er eine Lidl-Tüte, in der rechten einen aufgeklappten Regenschirm, so tief, dass gerade noch sein Mund zu sehen ist.
Vor der offenen Tür des Waschsalons bleibt er stehen. „Miele Wash World“ steht darüber, in großen blauen Buchstaben auf Gelb. Auf der Fensterscheibe, kleiner: „Änderungsschneiderei“, darunter die Illustration einer Nähmaschine. Hier ist das Reich von Ziaullah Haidari, Schneider von Beruf, der nebenbei den Waschsalon betreut.
Er klappt den Schirm zusammen und betritt den Raum, der sich in das Gebäude hineinstreckt wie ein Schlauch.
Der Schneider läuft vorbei an 14 Waschmaschinen, dem Bezahlautomaten und sechs Trocknern zu seiner Rechten, am Paketschrank, dem Tisch und der vergilbten Wartebank zu seiner Linken, bis zu einer Holztür. Er schließt sie auf und betritt seine Nähstube. Gott habe sie ihm gegeben, wird der Schneider sagen, so wie alles im Leben von Gott bestimmt sei.
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Der Waschsalon im Frankfurter Bahnhofsviertel liegt in der Moselstraße 17. Vom Eingang aus sieht man das Blinken der rosa Herzlichter der Bordelle; ein paar Häuserblocks weiter ist der Karlsplatz, ein Treffpunkt der Drogenabhängigen, dahinter erheben sich die Türme des Bankenviertels. Der Hauptbahnhof und das Mainufer sind fünf Gehminuten entfernt.
Das Bahnhofsviertel ist einer der bekanntesten Rotlicht- und Drogenbezirke Deutschlands, zugleich Party- und Szenetreff. In die Jahre gekommene Kneipen und Stundenhotels teilen sich die Straßen mit neuen Hipsterbars und Spezialitätenrestaurants; dazwischen Kioske, Friseurläden, Reisebüros.
Gerade einen halben Quadratkilometer groß, ist es der zweitkleinste Stadtteil Frankfurts und, trotz voranschreitender Gentrifizierung, einer der buntesten. Hier leben nicht nur Menschen Dutzender Nationalitäten, sondern auch unterschiedlichster Schichten zusammen. Der Waschsalon in der Moselstraße ist einer der Orte, an dem sich alle begegnen.
Bis zu eintausend Waschsalons gibt es in Deutschland, schätzt der „Verband der Waschcenter Betreiber e. V.“. Gäbe es unter ihnen eine Rangliste der kosmopolitischsten Betriebe, dann läge die Miele Wash World wahrscheinlich an der Spitze davon.
Hier schleudern die staubigen Hosen der osteuropäischen Bauarbeiter mit denselben 1.600 Umdrehungen wie die Socken des deutschen Piloten, die Röcke der Roma-Frauen, die Business-Kleidung des indischen IT-Ingenieurs, die weißen Unterhosen des Schwerhörigen, die haarigen Handtücher des Friseurs, die Hemden des ukrainischen Geflüchteten, die Bettlaken der Sexarbeiter:innen, die Kofferladungen der Touristen aus Südkorea, Brasilien oder den USA und der Schlafsack des Obdachlosen, der mal Lkw-Fahrer war.
Dreckige Wäsche hat jede:r mal, aber eine Waschmaschine eben nicht.
Während die Wäsche in den Waschtrommeln wirbelt, sitzen die Waschenden auf der vergilbten Bank und warten. Es ist ein guter Moment, ihre Geschichten zu erfahren. Wir setzten uns dazu, zehn Tage lang: der Fotograf Florian Sulzer und ich, die Reporterin.
Das Personal
Immerzu brennt helles Neonlicht im Salon, auch wenn er geschlossen hat. Offen ist er sieben Tage die Woche, von sechs Uhr morgens bis 23 Uhr. Es riecht nach Waschpulver und manchmal nach Zigarettenrauch.
Der Waschsaloninhaber, der noch vier weitere Salons in Frankfurt hat, kommt in der Regel nur einmal im Monat vorbei, um das Bargeld aus dem Automaten zu holen.
Um den täglichen Betrieb kümmern sich der Hausmeister Mohammed Zaim und der Schneider Ziaullah Haidari. Auf dem Bezahlautomaten ist ein eingeschweißtes, weißes Blatt angebracht: „bei Reklamation, Herr Zaim“ steht darauf; darunter die Handynummer des Hausmeisters, der Rund um die Uhr zu erreichen ist.
Der Schneider ist bis 19 Uhr in seiner Nähstube hinten im Salon zu finden, außer samstags, da kommt er erst um zwei, und sonntags, da macht er frei. Er reinigt die Flusensiebe und Waschmittelfächer, leert die Mülleimer und schaut, dass niemand ratlos vor dem Bezahlautomaten steht. Dafür muss er weniger Miete zahlen. An diesem regnerischen Morgen im Juli sitzt auf der Wartebank ein Mann, auf dem Tisch neben sich hat er einen Kaffee und eine kleine Flasche Likör stehen, Berentzen Apfel.
Im Wechsel nimmt er einen Schluck vom Kaffee und vom Korn. Der Schneider legt im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter des Mannes. „Wie geht’s?“, fragt er ihn. „Alles gut“, sagt der Mann und zeigt beim Lächeln seine kaputten Zähne. Ein Tourist kommt herein und fragt den Schneider, ob er ihm helfen könne. Natürlich. „Sechs Kilo pro Maschine“, sagt der Schneider auf Englisch, „oder die große, dann könnt ihr alles zusammen waschen.“ Er lädt den Touristen und seine Freundin ein auf einen Chai.
„Where are you from“, fragt der Schneider.
„Australia“, sagt der Tourist.
„I’m from Afghanistan“, sagt der Schneider.
„The land of the lions“, sagt der Tourist, das Land der Löwen, und dass er die afghanische Gastfreundschaft gut kenne.
Der Schneider legt das blaue Maßband wie einen edlen Schal um seinen Nacken.
Die Gestrandeten
Seine Nähstube hat keine Fenster, nur eine Öffnung in den Salon hinein. An den Wänden teilen sich allerhand Garnrollen den Platz mit einer Weltkarte und eingerahmten Zitaten aus dem Koran. „Ich habe Gott, die haben Geld“, sagt der Schneider. Er ist 42 Jahre alt; bis er 16 war, hat er in Iran gelebt, schon dort hat er als Schneider gearbeitet. Dann kam er nach Frankfurt, im Laderaum eines Lkw, er wollte die Welt sehen und ein Cousin war schon hier. Seit sieben Jahren ist er verheiratet, aus Afghanistan ist auch seine Frau. „So Gott will“, sagt der Schneider, „kommt im Winter unser erstes Kind.“
Morgens und spätabends kommen meist nur wenige Kunden, aber am Nachmittag und frühen Abend ist der Salon immer voll, besonders an Wochenenden.
Dann bringen die Bauarbeiter ihre Monturen vorbei, so wie ein Rumäne, der sich als Andrew vorstellt.
Er kommt am Samstagabend kurz vor der Dämmerung, als sich die Leuchtreklamen in den Pfützen spiegeln und der Sommerregen dem Geruch von getrocknetem Dreck und Pisse eine feuchte, modrige Note verleiht.
Im Salon waschen vier Touristen; auf dem Tisch neben ihnen liegt ein Joint. „Ich war im Krieg, wir hatten keinen Waschsalon in Kandahar, es hatte 50 Grad draußen“, sagt Andrew auf Englisch und zeigt seine Narbe am linken Bein, von einem Granatsplitter wurde er getroffen. „Ich war 14 Jahre in der Armee, im Kosovo stationiert und vier Mal mit den Nato-Truppen in Afghanistan.“ Jetzt bekomme er Rente, 200 Euro im Monat.
Die letzten drei Monate hat er auf dem Bau gearbeitet, sagt er, ohne Vertrag und ohne Gehalt, deswegen sei er seit einer Woche obdachlos.
Drei Drogenabhängige kommen in den Salon und sprühen sich mit Männerdeo ein. Der Geruch verdeckt kurz die Waschpulver-Note, dann verfliegt er schnell.
„Leute wie ich kommen hierher und arbeiten für einen geringen Lohn“, sagt Andrew, „wir machen dieses Land reich. Arbeitet ein Deutscher auf dem Bau, bekommt er 16,17,18 Euro pro Stunde, ich bekomme elf schwarz, manche neun oder zehn. Alle mächtigen Länder hängen ab von billigen Arbeitskräften“, sagt er, „schau dir doch das Reinigungspersonal in den Hotels an, da siehst du nicht eine einzige deutsche Person.“
„Ich war gerne Soldat“, fährt er fort, „aber der Krieg in Afghanistan hatte keinen Sinn für mich, es wäre anders, müsste ich Rumänien gegen Russland verteidigen. Wenn man die Ukrainer sieht, die mit ihren schicken Autos hierherkommen und nach Hilfe vom Staat fragen –“
Die wunderbare Welt des Waschsalons
Den letzten Satz hat ein junger Mann mitgehört, der mit einem großen roten Sack über der Schulter den Salon betritt. „Sie haben uns wie Hunde behandelt“, sagt er im Vorbeigehen, „sie haben uns in kleine Zimmer gesteckt und die bekommen jetzt Hotels, weil sie Christen sind und wir Muslime.“ Er kommt aus dem Friseurladen um die Ecke und stellt sich als Yunus vor. „Warum leben sie besser als wir damals?“
Seit Jahrzehnten ist das Bahnhofsviertel für viele Zugewanderte die erste Station. Manche bleiben hier, ohne wirklich anzukommen. Wie die osteuropäischen Bauarbeiter, die sich zu viert oder fünft ein Zimmer teilen, wie die ukrainischen Geflüchteten, die in einem Hotel unterkommen und hoffen, bald zurückkehren zu können.
Zwei Frauen
Zapp, zapp, machen die Flipflops einer jungen, schmalen Frau; kurze Jeanshose, Nasenring, kein BH unter dem roten, engen Top.
Es ist Sonntagabend kurz vor sieben Uhr, weder der Schneider Haidari noch der Hausmeister Zaim sind im Salon.
Die Frau geht zu einem grauen Schalenkoffer, der in der Ecke steht. Vor zwei Stunden hat sie ihn dort abgestellt, da waren alle Maschinen belegt. Sie legt Buntes in Maschine Nummer sechs, Bettwäsche in Nummer vier, BHs und helles in Nummer fünf, Schwarzes in Nummer zwei.
Vor dem Bezahlautomaten kramt sie in ihrer Handtasche nach Kleingeld, fünf Euro pro Maschine, das Waschpulver kostet 50 Cent. Zwei Kupfermünzen fallen auf den Boden, sie hebt sie nicht auf. Das Pulver schüttet sie direkt in die Trommeln, nimmt ihren Koffer und geht. Eine Stunde und 15 Minuten dauert der längste Waschgang, 45 Minuten der kürzeste, je nach Menge und Temperatur.
„Zum Wohl!“, ruft es kurze Zeit später in den Salon, eine blonde Frau tritt schwankend hinein, ihr Gesicht ist verquollen, in der Hand hält sie ein Bierglas. „Ich gehe gleich wieder“, sagt sie, zieht die Tür hinter sich zu und läuft zum hinteren Teil des Waschsalon-Schlauchs, wo in der Mitte ein Stützpfeiler steht. Sie lehnt sich am Boden sitzend daran, der Pfeiler verdeckt sie jetzt, aber ihr Spiegelbild ist in einer Trocknertür zu sehen.
Die Frau zündet eine Crackpfeife an. Sie hustet. Kurz darauf kippt ihr Kopf wie in Zeitlupe seitlich nach unten, er zieht den Körper nach, bis sie schräg auf dem Boden liegt.
Ein Mann kommt zum Trockner neben ihr, er beachtet sie nicht, rollt Handtuch, Hose, Shirts und Cappy ein; packt alles in eine Kauflandtüte, auf der steht: Heimat neu entdecken.
Außer der Schlafenden ist jetzt niemand mehr im Raum. Ob alles okay ist? Sie murmelt vor sich hin: „Ich denke nur nach, in Afrika stirbt jedes Kind…, ich bin Altenpflegerin, ich will mich nur kurz ausruhen …“
Die Trommeln der Waschmaschinen rotieren sanft, sonst ist es still im Salon.
Bis die Frau mit den Flipflops wiederkommt. Sie öffnet die Waschmaschinen, zieht gedankenversunken pink- und lilafarbene Bettwäsche raus und legt sie in den Trockner neben dem Balken. Plötzlich stößt sie einen Schrei aus und hält sich das Herz.
„Ich wusste nicht, dass da jemand liegt!“, sagt sie geschockt auf Englisch. Sie läuft nach vorne ans Fenster und wieder zurück.
Sie wasche einmal die Woche hier, erzählt sie dann und dass sie Natalia heißt. „Ich bin Sexarbeiterin, ich arbeite im Roten Haus, da ist es besser als in den anderen Häusern“, sagt sie, „am Tag kostet das Zimmer 150 Euro.“ Den Sonntag mache sie frei, dafür zahlt sie dann 60, damit keine andere Frau ihr Zimmer nimmt. Sie ist jetzt 25 Jahre alt, wegen einer Freundin ist sie vor einem Jahr nach Frankfurt gekommen, vorher war sie in Belgien. Ursprünglich kommt sie aus Rumänien, dort lebt ihre Familie noch, die weiß aber nicht, womit sie ihr Geld verdient.
„Gestern war ein Kunde da“, sagt sie, „der hat 600 Euro für drei Stunden gezahlt, ein Pädophiler, die wollen manchmal nur meinen Körper anfassen. Ja, die Pädophilen lieben mich“ – sie dreht ihren Kopf nach oben und lacht ihr helles Lachen – „denn ich sehe aus wie ein Kind.“
Der Notarzt
Um 23 Uhr liegt die Frau, die Crack geraucht hat, noch immer hinter dem Pfeiler und schläft.
Da huscht die Schlüsselfee herein.
Sie kommt jeden Abend, ist immer in Eile, auffallend schick gekleidet, die lockigen Haare hochgesteckt. In ihrer Hand hält sie einen großen Schlüsselbund, als würde sie die Türen im ganzen Viertel abschließen. Zum Schließen des Salons benutzt sie aber gar keinen; die Automatik greift, sobald sie die Tür fest zuzieht. Morgens um sechs geht die Tür von allein wieder auf, nur zum Zuziehen braucht es eben einen Menschen.
Ihren Namen will die Schlüsselfee nicht verraten, auch nicht ihr Alter, sie könnte um die 50 sein. Nachts arbeitet sie am Frankfurter Flughafen in einer Bäckerei, deshalb der Schlüsselbund. Auf dem Weg dorthin schließt sie den Waschsalon.
„Oh nee“, sagt die Schlüsselfee, als sie die Schlafende hinter dem Pfeiler entdeckt. Sie beugt sich mit etwas Abstand über sie, und ruft laut „Hallo! Haaaalooo!“
Die Frau rührt sich nicht. „Haaalooo“, ruft die Schlüsselfee immer wieder, „Sie müssen jetzt raus, ich muss hier zuschließen.“ Sie zückt ihr Handy. „Ich ruf sonst die Polizei!“ Keine Reaktion. Sie wählt die 110.
„Immer mir passiert das“, sagt die Schlüsselfee, „immer habe ich das Pech.“
„Haben Sie hier Pfand?“, fragt es von unten zur Schlüsselfee hoch, die auf der Eingangsstufe steht. Der Flaschensammler ist ein gepflegter, mittelalter Mann.
„Ich glaube nicht, dass da Pfand ist, nur Spülflaschen“, sagt die Schlüsselfee, „aber wenn Sie wollen, können Sie schauen.“
Er schleicht hinein.
„Und wecken Sie doch die Dame mal auf“, fügt die Fee hinzu.
Schon steht der Flaschensammler neben der Frau und ruft „Schatzi, hey Schatzi! Aufwachen, die wollen hier zumachen, sonst rufen sie die Polizei!“ Aber sie rührt sich nicht. „Ich helfe dir, ich nehm deine Tasche“, sagt er. Dann stolpert er über ihr Bein. Sie schreit laut, „Ahhh! Verpiss dich!“
„Die schläft doch gar nicht“, sagt der Flaschensammler.
„Ich hoffe, dass die Polizei kommt“, sagt die Schlüsselfee.
„Sagen Sie, das ist ein Notfall“, ruft der Flaschensammler, „sie hat zu viel Drogen, sie kriegt keine Luft, wenn Sie es so sagen, dann kommen sie sofort.“
„Nee, dann kriege ich Ärger“, sagt die Schlüsselfee, „das ist ne falsche Aussage.“
„Wieso“, fragt der Sammler, plötzlich ganz aufgeregt. „Verstehen Sie, sie hat Atemaussetzer, sie bekommt keinen Sauerstoff, ich mein’s ernst.“
Die Schlüsselfee schaut jetzt besorgt, der Sammler ist in Fahrt, „vier Stufen“, sagt er, „Atemstillstand, Kreislaufstillstand, Herzstillstand, Tod. Und dann heißt es, es war in Ihrem Hause! Wählen Sie 110, ich rede, ich bin drogenabhängig, ich kenne mich da aus, mein Name ist Azimi, ich hab deutschen Pass.“
Vier Minuten später ist ein Krankenwagen da, kurz darauf ein Notarztwagen. Sechs Ärztinnen und Sanitäter gehen in den Waschsalon, ihre Blicke sind ernst, als sie die Frau am Boden untersuchen.
Die aber steht auf einmal auf, zieht ihre Hose runter und geht in die Hocke. Das Notfallteam schaut genervt, die Schlüsselfee eilt vor die Tür. Als sie fertig mit Pinkeln ist, stolpert die Frau auf die Straße, als betrete sie einen Alptraum und keine kühle Sommernacht.
Die Schlüsselfee schaut ihr hinterher. „Ihre Tasche!“, ruft sie, „sie geht ohne ihre Tasche raus!“ Aber da ist die Frau schon um die Ecke verschwunden.
Die vielen
Jeden Tag kommen neue Kunden zum Waschen herein, manche nur ein einziges Mal, andere regelmäßig. Die meisten sind Männer, viele sprechen nur gebrochen Deutsch.
Da ist der Elektriker aus Bosnien. Er hat in einem Waschsalon im hippen Nordend-Viertel seine kroatische Freundin kennen gelernt, als er ihr erklärte, wie das Waschen funktioniert. „Es sind immer die Ausländer, die nicht wissen, wie das geht“, sagt er, „sie verstehen kein Deutsch.“ Er lacht, „ich bin ja selbst Ausländer“.
Da ist der durchtrainierte amerikanische Tourist. Er habe früher fürs FBI gearbeitet, sagt er, auch jetzt sei er immer wachsam, unter dem Ärmel seines T-Shirts klemmt ein Kugelschreiber, den könne er wie ein Messer einsetzen, wenn er es bräuchte.
Da ist das Model aus Kolumbien mit den rot gefärbten Haaren, ihre bunten Fingernägel sind so lang, dass sie kaum noch auf dem Handy tippen kann. Sie reist mit einem Fitnesstrainer im olivgrünen Nike-Trainingsanzug, der aus Venezuela floh, weil er gegen die dortige Regierung protestierte.
Da sind die zwei Roma-Frauen, die mit ihrem eigenen Waschkorb kommen; ihre langen Röcke, mit Gold bestickt, schwingen mit ihren Hüften bei jedem Schritt. Drei Inder im Salon beobachten sie sichtlich entzückt, aber ihr Versuch zu reden scheitert, denn eine gemeinsame Sprache gibt es nicht, da lachen die Frauen. Sie breiten auf dem Tisch ihre Berge von Wäsche aus, sie machen Urlaub hier, übersetzt eine App, vier Erwachsene und acht Kinder, da müssen sie mehrmals die Woche waschen.
Da ist der Obdachlose, der den anderen zeigt, wie der Bezahlautomat funktioniert, er hat sein ganzes Hab und Gut auf der Bank verteilt. Er hilft einem Rentner, der drückt ihm dafür zwei Euro in die Hand. Beim Zusammenlegen seiner Wäsche sagt der Rentner: „Deutschland geht kaputt an seiner Gründlichkeit.“
Der Koran
Draußen schüttet es Sturzbäche, sie spülen den Dreck mit Getöse durch die Straßen. Passanten retten sich in Hauseingänge und filmen die plötzliche Flut, als hätten sie noch nie in ihrem Leben so viel Regen gesehen.
Drinnen sitzt der Schneider Ziaullah Haidari vor seiner Nähmaschine und liest im Koran: „,Da sagte sie: wie könnte ich einen Sohn bekommen, wo mich kein Mann berührt hat und ich nicht unkeusch gewesen bin?' Wissen ist Licht“, sagt der Schneider, und während er liest, wird das Prasseln des Regens langsam leiser, bis es ganz aufhört.
Er steht auf, geht zur Tür und schaut auf die Straße.
„Gott hat diese Kraft“, sagt der Schneider. „Es gibt viele Seelen: Steine, Bäume, Menschen, Tiere, jedes Wesen hat eine Bedeutung. Wenn wir sterben, sind unsere Körper tot, aber unsere Seele geht zu Gott.“
Er sieht gerade noch, wie die Sonne rauskommt und die nassen Straßen glänzen lässt.
„Es gibt noch ein anderes Leben“, sagt der Schneider, „ein Leben danach.“ Dann verschwindet er wieder, an den Waschmaschinen vorbei, in sein Reich.
Der Maschinen-Doktor
Wären da nicht die neuen Waschmaschinen mit den Touchscreens, der Waschsalon sähe aus wie von 1999, dem Jahr, in dem er eröffnet wurde. Selbst die Schilder an der Wand sind noch original; „D-Mark“ ist durchgestrichen, daneben „Euro“ gekritzelt.
Ebenfalls ein Original ist der Hausmeister Herr Zaim, der sich auch um die anderen vier Salons des Besitzers kümmert, denn als der 1994 seinen ersten Waschsalon in Frankfurt Höchst übernahm, gab es Herrn Zaim mit dazu, als Bedingung des Vorbesitzers für den Kauf.
Herr Zaim ist ein richtiger Tüftler; wenn mal was kaputt geht, wechselt er lieber einzelne Komponenten aus, anstatt was neu zu bestellen, das spart viel Geld.
Der geduldige Hausmeister, der immer wieder das Gleiche erklärt, kann auch laut werden, wenn er gehört werden will. Sein „Hallo!“ geht durch Mark und Bein; an diesem Sonntag gilt es einem Mann, der gerade am Bezahlautomaten steht.
„Drücken!“, sagt Herr Zaim und zeigt auf den Knopf für das Rückgeld. Denn wenn er den nicht gleich drückt, kommt vielleicht jemand anderes und wäscht mit dem fremden Geld, dann ist der Ärger groß, Herr Zaim hat schon oft Ärger mitbekommen.
Er ist nicht mehr so flink wie früher, schließlich ist er schon 70 Jahre alt und hat jetzt zwei Gehilfen für Reparaturen, die er körperlich nicht mehr schafft. Aber die Fäden, die hält er weiter in der Hand.
Nach Deutschland kam Herr Zaim, als er 16 war, aus Marokko mit der Fähre über Málaga. Die ersten zehn Jahre arbeitete er auf dem Bau, die nächsten fünf pumpte er Öl in Bremsen bei Opel und stellte dann für 15 Jahre in einer Glasfabrik Medikamentenflaschen her. „Ich mag es, das Arbeiten“, sagt Herr Zaim, „wenn ich aufhöre zu arbeiten, dann ist es vorbei.“ Tauschen mit seiner Frau, das wollte er nie, sie kümmerte sich um ihre zwei Töchter und zwei Söhne. Lieber zehn Stunden arbeiten als vier Stunden mit den Kindern im Haus“, sagt er, dabei werden seine ernsten Gesichtszüge ganz weich, „ich hab Glück mit den Kindern, sie arbeiten alle.“
Der letzte Waschgang
Der Schneider sitzt auf seinem Drehstuhl vor der Nähmaschine und hört sich beim Arbeiten Youtube-Videos eines iranischen Predigers an.
Es ist Anfang August, der Tag neigt sich dem Ende zu.
„Es gibt einen Beweis dafür, dass es den Teufel gibt“, sagt der Schneider, er kneift die Augen zusammen und sagt: „Teuflische Gedanken. Wenn man zum Beispiel jemanden schlagen will oder umbringen“, er zögert kurz, „oder küssen. Das alles sind Gedanken, die vom Teufel kommen.“
„Ich finde es schlecht, über andere Menschen zu urteilen“, sagt der Schneider, aber wenn er mal schlechte Gedanken habe, werfe er ein paar Euro in eine Spardose, das Geld gibt er einem Bekannten mit, der nach Afghanistan geht. Der spendet es dort Waisenkindern, zum Beispiel letzten Monat, da kamen 80 Euro zusammen. Der Schneider holt vom Tisch eine kleine braune Dose, sie hat die Form eines Koffers, die Ernsthaftigkeit ist aus seinem Gesicht verschwunden, er hält die Spardose hoch und lacht, „die habe ich auf dem Flohmarkt gefunden.“
Nach Feierabend zieht er seine schwarze Jacke über sein hellblaues Hemd. Er schließt die Holztür zu seinem Laden ab, lässt die Trockner links liegen und tritt nach draußen. Die Tür des Waschsalons bleibt offen.
Die Abendsonne taucht das Bahnhofsviertel in warmes, verzeihendes Licht. Der Schneider lächelt. Er schreitet davon.
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