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Tausende bei Mieten-DemoBunter Umzug gegen den Wahnsinn

Tausende Menschen demonstrieren gegen hohe Mieten und Verdrängung – mit Zwischenstopp am Hafenplatz, wo 700 Wohnungen und Gewerbe weichen sollen.

„Drinking landlords tears“: Auf der Mieten-Demo am 1. Juni in Mitte gab es viele witzige Schilder zu lesen Foto: Paul Zinken/dpa

Berlin taz | Es war die erste große Mietendemo seit Jahren: Am Samstagnachmittag demonstrierten in Kreuzberg nach Angaben der Ver­an­stal­te­r*in­nen 12.000 Menschen gegen zu hohe Mieten, die Polizei sprach von 4.500 Teilnehmenden. Vor einigen Jahren wurden bei Mietendemos wesentlich höhere Zahlen erreicht, dabei hat sich an den Problemen nichts geändert.

Im Gegenteil: „Der Mietenwahnsinn ist seitdem nicht geringer geworden“, sagt Kim Meyer vom Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn. „Der Volksentscheid wird nicht umgesetzt, die Neuvermietungspreise in Berlin, die Neben- und Heizkosten sind explodiert.“

Zu der Demonstration haben fast 200 Initiativen, Verbände und Hausgemeinschaften aufgerufen. Die Forderungen: Be­stands­mie­te­r*in­nen schützen, Mieten deckeln, Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co enteignen umsetzen, Eigenbedarfskündigungen und Zwangsräumungen aussetzen, sozialen und ökologischen Neubau realisieren.

Etwas verspätet setzt sich am Samstagnachmittag der Demozug mit Tausenden Menschen und sechs Wagen in Bewegung. Trotz einiger markiger Forderungen (Enteignen! Besetzen! Klassenkampf!) ist die Demo gut gelaunt und gleicht eher einem Umzug. Es gibt Chöre und Trommelgruppen, Kleinkinder und Rent­ne­r*in­nen laufen mit. Ein Astronaut trägt ein Schild mit der Aufschrift: „Eure Mieten sind doch Mondpreise.“

„Mieter sind keine Zitronen“

Hinter dem Bündnis gegen Mietenwahnsinn folgen Gruppen gegen Immobilienkonzerne, Mie­te­r*in­nen landeseigener Wohnungskonzerne und das Bündnis gegen Obdachlosigkeit. Weiter hinten laufen ein queerfeministischer Block, Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen und ein kleiner anarchistischer Block. Schilder und Redebeiträge fordern den Senat auf, endlich den Mietenvolksentscheid umzusetzen. Andere tragen Transparente und Schilder mit Forderungen wie „Mieter sind keine Zitronen“, „Indexmiete ist Schiete“, „Hilfe! Ich habe Vonovia“ und „Wir bleiben alle“. Eine kommunistische Gruppe skandiert: „Was macht Investoren Dampf?“ Die Antwort: „Klassenkampf, Klassenkampf!“

Am Hafenplatz, wo eine Zwischenkundgebung stattfindet, sind 700 Wohn- und Gewerbeeinheiten vom Abriss bedroht, es sollen Hotels, Ladenpassagen und Luxuswohnungen entstehen. „Günstiger Wohnraum interessiert sogenannte Investoren überhaupt nicht“, sagt ein Sprecher. „Seit Jahren versuchen sie, uns zu verdrängen, aber wir haben gesagt: Schluss damit. Wir lassen uns nicht weiter verarschen.“ Die SPD kritisiert er für die „verfehlte Wohnungspolitik auf Bundes- und Landesebene“ und bei der Abschlusskundgebung am Platz der Luftbrücke übt er Kritik an den Plänen des Senats zur Bebauung des Tempelhofer Feldes.

Die Demo fand kurz vor dem „Tag der Immobilienwirtschaft“ statt, das jährliche Treffen des größten Immobilien-Lobbyverbands ZIA ist am 11. Juni. „Das ist die Fabrik, in der der Mietenwahnsinn produziert wird“, so Meyer. „Mit Lobbyveranstaltungen wie dem Tag der Immobilienwirtschaft soll die Politik auf ihre Vorstellungen der Stadt als Ware eingeschworen werden“, sagt ein Sprecher und fordert: „Wir wollen eine Stadt, in der alle Menschen ohne Angst vor explodierenden Mieten, vor Verdrängung und Zwangsräumungen leben können.“

Angesichts dieser Perspektiven fordert Meyer zum Abschluss: „Wir müssen uns organisieren und die Investoren vergraulen. “ Und sie appelliert an die Demonstranten: „Organisiert euch im Haus, wehrt euch gegen Mieterhöhungen, prüft eure Betriebskostenabrechnungen und geht gemeinsam auf die Straße.“

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8 Kommentare

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  • Betriebskosten prüfen bzw. prüfen lassen.



    Mitgliedschaft im Mieterschutzverein lohnt sich.

  • Das Einzige, was in Berlin wirklich helfen würde, wäre, wenn die jetzigen Mieter sich zusammentäten, um selbst Immobilien in der Stadt zu erwerben. Genügend Angebot gibt es prinzipiell und die Kaufpreise sind noch nicht so hoch, dass man es sich überhaupt nicht leisten könnte. Lt. immobilienscout24 liegt der Angebotspreis in Berlin bei ca. 4.150€/m². Das liegt unter dem monatlichen durchschnittlichen Arbeitnehmerentgelt pro Person mit Arbeitsort in Berlin von 4.634€. Damit sind Berliner Kaufpreise nicht überteuert, im Gegenteil. In München sind wir da ganz anders unterwegs: Dort übersteigt der durchschnittliche Angebotspreis pro m² das monatliche Durchschnittseinkommen um mehr als 50%. Bei den Mieten hingegen sieht man keinen so drastischen Unterschied. Da hat Berlin ordentlich aufgeholt, was mit der Veröffentlichung des neuen Berliner Mietspiegels 2024 sicher nicht besser wird.

    • @Aurego:

      "...wenn die jetzigen Mieter sich zusammentäten, um selbst Immobilien in der Stadt zu erwerben.""



      Um dann eine Genossenschaft zu gründen? Werden die Instandhaltungskosten dann geringer und gibt es dann mehr Wohnungen ?

      • @Wolzow:

        Es geht denen, die bereits in Berlin wohnen, nicht darum, dass es dort mehr Wohnungen gibt. Sonst hätten sie ja anders über das Tempelhofer Feld abgestimmt. Es geht darum, dass sie selbst günstig(er) in Berlin wohnen können. Natürlich kann man auch an genossenschaftliche Modelle denken. Oder einfach daran, selbst eine Wohnung zu kaufen. Wie ich bereits zeigte, sind die Kaufpreise, gemessen am Durchschnittseinkommen, in Berlin noch relativ moderat. Es ist also keineswegs so, dass sich dort niemand eine eigene Immobilie kaufen könnte. Angeblich ist Heimstaden dabei, demnächst eine größere Anzahl von Wohnungen zu veräußern, von Vonovia sieht man ebenfalls immer wieder Angebote für Eigentumswohnungen.



        Ein großer Vorteil für Berlin selbst wäre, dass mehr Geld in Berlin bleibt, wenn die Einwohner Berlins mehr Wohneigentum besitzen. Im Moment fließen die Berliner Mieten zu einem großen Teil ja nicht in Berliner Taschen.

  • Warum sollten Neben- und Heizkosten durch Enteignung geringer werden? Ganz zu Schweigen von der Schaffung von Wohnraum.



    Günstiger Wohnraum interessiert den Fiskus ja eigentlich auch nicht. Die Nettowertschöpfung aus Vermietung lag 2018 bei etwa 85 Milliarden Euro. Allein die Grundsteuer B bringt Berlin schon über 850 Millionen. Steuereinnahmen durch Kapitalertrag aus Vermietung dürften deutlich höher sein. (Gewerbesteuer etc, geschenkt) Den Steuerausfall aufgrund verminderter Mieten durch Erhöhung der Ertragssteuer gegenfinanzieren? Ich befürchte, das dies - ebenso wie radikale Mietendeckel - kontraproduktiv sein wird. Letztlich führen nur Gewinne zu mehr Investition. Eigenbedarf und Leerstand eher nicht.

    • @Jutta57:

      Das klingt zwar alles ganz nett und vermeintlich logisch, aber wir müssen - besonders im Falle Berlins - genau hinschauen, wohin das Geld fließt, das dort als Mieten gezahlt wird: Dieses Geld bleibt zu einem großen Teil ja nicht in Berlin, sondern kommt in erheblichem Maße Investoren außerhalb Berlins zugute.



      Man sollte Vermietung im engeren Sinne auch nicht als "Wertschöpfung" verstehen. Die Vermietung selbst ist keine "Wertschöpfung". Das was dort als "Wertschöpfung" bezeichnet werden könnte, ist allerhöchstens die Erhaltung der Substanz. Wer wie ich Wohnungen in Berlin vermietet, tätigt mit den Nettoeinnahmen keine Investitionen in Berlin, sondern macht davon z. B. Urlaub.

      • @Aurego:

        Ich gönne Ihnen den Urlaub; vermute aber, dass Sie Ihre Wohnungen irgendwie "leistungslos" erwerben konnten. Vielleicht waren Sie auch clever genug, in der Niedrigzinsphase ohne Eigenkapital kaufen zu können. (Übrigens ein Beleg dafür, dass billiges Geld über eine zu langen Zeitraum marktverzerrend wirkt und somit zur Inflation von Immobilien etc führte).



        Wie auch immer: Wenn Ihre Mieteinnahmen für die Instandhaltung ausreichen, dann haben Sie ja wirklich Glück gehabt. Ich befürchte aber, dass "Erhaltung der Substanz" kaum reichen wird, um die erforderlichen energie- bzw. klimapolitischen Herausforderungen zu meistern. Dazu bedarf es Wertschöpfung.

        • @Jutta57:

          Leistungslos? Nein, das Geld dafür durfte ich selbst verdienen. Ich habe dafür neben Darlehen auch Eigenkapital eingesetzt.



          Aber sorry, ich benötige weniger als 40% der Einnahmen für die Instandhaltung. So viel, wie manche meinen, kostet die nämlich nicht, wenn man keinen Schrott kauft. Glauben Sie bloß nicht jeden Schmarrn, den Ihnen einer dieser vollkommen verarmten Vermieter erzählt!