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Wenn das der Caudillo wüsste

Hundstage für die Historie: Im Berliner Instituto Cervantes diskutieren Intellektuelle und Politiker über Erinnerungskulturen in Spanien und Deutschland. Joschka Fischer zürnte mit dem „Untergang“, und Juan Goytisolo kritisierte Geschichtsklitterung

VON JAN ENGELMANN

Wie schön, dass es neben gefühlten Temperaturen nun auch „gefühlte Geschichte“ gibt! Dadurch ist nämlich gleich mehr zu besprechen: neben der Hitze des Wochenendes ebenso der Grad der Erhitzung, den all die Pop-Hitlers on TV erzeugt haben. Und wie ließe sich dieser Leidenschaft besser frönen, als bei (objektiv gemessenen) 35 Grad Celsius einer gemeinsamen Einladung des Instituto Cervantes und des Goethe-Instituts in Berlin zu folgen und am Thema „Kultur des Erinnerns – Vergangenheitsbewältigung in Spanien und Deutschland“ herumzudeuteln?

Einige Konjunkturen machten diese vergleichende Perspektive inzwischen tatsächlich reizvoll. Zum einen erlebte man hierzulande um den 8. Mai einen Siedepunkt symbolpolitischer Anstrengungen, um die Einzigartigkeit des Holocausts und die Normalität des wiedervereinigten Tätervolks gleichzeitig zu demonstrieren. Zum anderen ist in Spanien das ewige Lamento darüber, bei der Aufarbeitung seiner faschistischen Epoche rückständig zu sein, einer Flut von Memoirenliteratur und kleineren Historikerstreits gewichen.

Bis zu seiner Abwahl im März 2004 hatte sich die konservative PP geweigert, Anstrengungen zur Rehabilitation der republikanischen Opfer des Bürgerkriegs zu unternehmen. Kurz nach dem Regierungsantritt des Sozialisten Zapateros waren erste Symbolhandlungen in dieser Hinsicht unternommen worden. Die Genugtuung darüber, „den Sarg der Erinnerung zu öffnen“, war Außenminister Miguel Angel Moratinos in Berlin nur bedingt anzumerken, was daran liegen mag, dass die neuerliche Exhumierung von Massengräbern den mühsam gehaltenen Konsens, besser nach vorne zu schauen und die Gräueltaten auf beiden Seiten endlich zu vergessen, empfindlich stören könnte.

Dass der „Pakt des Schweigens“, wie gerade von deutscher Seite gerne behauptet, tatsächlich eine fahrlässige Verdrängung der Vergangenheit bewirkte, wollte der Sozialhistoriker Santos Juliá indes nicht bestätigen. Die königliche Generalamnestie von 1977 habe zu keiner kollektiven Amnesie in der Bevölkerung geführt, im Gegenteil: Schon zu Lebzeiten Francos hätten Sieger und Besiegte angefangen, sich gegenseitig ihre Erlebnisse zu erzählen und so eine Versöhnung der dos Españas einzuleiten. Mit dieser Meinung stand Juliá weitgehend allein da. Juan Goytisolo kritisierte, dass sich immer mehr seiner Schriftstellerkollegen in den Dienst einer nachträglichen Geschichtsklitterung stellten.

Hier wie dort werden die Zeitzeugen der Diktatur immer weniger. Jorge Semprún, der die „wichtige Rolle“ Deutschlands bei der Wiederaneignung der gemeinsamen Totalitarismuserfahrung hervorhob, mochte als lebender Beweis dafür dienen, wie sehr historisches Wissen einer gelungenen ästhetischen Vermittlung bedarf. Joschka Fischer, neben den ehemaligen Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald postiert, zürnte über den Filmerfolg „Der Untergang“: Der Film trage zur Gedächtnisarbeit rein nichts bei: „Wir können noch hundertmal in den Bunker eintauchen, wir werden dort nicht fündig werden.“

Längst fündig geworden ist die deutsche Geschichtswissenschaft auf ihrer Suche nach einer Phasenbildung bei der Erinnerungspolitik. Während der Historiker Norbert Frei für die Bundesrepublik ein generationelles Schema entwarf, das die NS-Funktionsträger von den Flakhelfern und den 68ern schied, betonte Annette Leo vom Zentrum für Antifaschismusforschung die Ungleichzeitigkeit in der DDR, wo die Täteranteile nach außen projiziert wurden, um den sozialistischen Gründungsmythos abzusichern. Die gefühlte Geschichte im Osten Deutschlands sei auch heute noch eine ganz andere als im Westen.

Was dies nun für die Zukunft der Vergangenheit bedeutet, wollte auch der Sozialpsychologe Harald Welzer nicht prognostizieren. Dafür wies er auf Untersuchungen hin, die zeigten, dass in bundesdeutschen Haushalten über „die schlechte Zeit“ immer noch so geredet werde, als gäbe es keine öffentliche Erinnerungskultur. Opa war kein Nazi. Punkt. Die Spanier sollten sich warm anziehen.

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