Alkoholverkaufsmonopol in Schweden: „Freiheitsreform“ als Schnapsidee

Die schwedische Regierung will mittels leichter Lockerung der Regeln für den Alkoholverkauf das Land etwas näher an das restliche Europa rücken.

Ein Einkaufskorb mit alkoholischen Getränken.

Bis jetzt gibt es diese Getränke in Schweden nur im staatlichen Geschäft Systembolaget Foto: Fredrik Sandberg/TT/imago

Er sparte nicht mit großen Worten: Eine „Freiheitsreform“ nannte Schwedens Premier Ulf Kristersson den Gesetzesvorschlag, der sofort ein Thema des Tages wurde. Schweden werde damit ein bisschen mehr wie das restliche Europa, so Kristersson. Er meinte den Teil von Europa, in dem es sehr einfach ist, Alkohol zu kaufen. Notfalls nachts im Tankstellenshop. Ganz so weit würde Schweden natürlich niemals gehen, das wäre unvorstellbar. Dennoch, ein Hauch von mehr Alkoholfreiheit lag auch hier plötzlich in der Luft.

Dass selbst dieser Hauch ewig diskutiert wurde und auf starke Reaktionen stößt, liegt an der streng geregelten Gesamtlage. Wenn ich zum Beispiel meinen kleinen Ort zum Einkaufen nicht verlassen wollte, käme ich nur mit guter Vorplanung legal an Alkohol. Bis spätestens Mittwoch muss ich bestellen, und ab Freitag steht die heiße Ware im Dorfladen zur Abholung bereit. Um diesen Service anzubieten, mussten die Ladenbesitzerinnen einen Antrag beim staatlichen Monopolgeschäft Systembolaget stellen – und sich gedulden.

Seit 1955 gibt es das Monopol. Systembolaget hat den Auftrag, Menschen aufzuklären und vor übermäßigem Konsum zu schützen. Das tun die Alkoholläden etwa mit kurzen Öffnungszeiten – samstags nur bis 15 Uhr, sonntags geschlossen. Und Käufer, die sonst mit 18 mündig sind, müssen hier mindestens 20 sein. Angetrunkene bekommen nichts und an den Kassen stehen „Ach, ich will doch nicht“-Kisten, damit die Schwelle zum Sinneswandel niedrig ist.

Nur wenige Monate nach Antragstellung kam der Systembolaget-Gutachter im Dorfladen vorbei, um sich von dessen Seriosität und der bedauernswerten Lage des Ortes zu überzeugen: Menschen ohne eigenes Fahrzeug müssten einen der raren Busse in die Kreisstadt nehmen, nur um eine Flasche Wein zum Essen zu kaufen.

Jubel über die Lizenz für die Alkoholverkaufsaußenstelle

Der Gutachter hatte ein Einsehen und erteilte dem Laden die Lizenz als Alkoholverkaufsaußenstelle – was in örtlichen Facebook-Gruppen erfreut bejubelt wurde. Weitere sechs Wochen später konnte es auch schon losgehen.

Ich beschreibe das in all seiner Pracht, um Lesenden ohne Schwedenerfahrung ein Gefühl dafür zu geben, wie groß das Thema hier ist. Aber sollte dieses Monopol etwa abgeschafft werden?

Die Frage ist sogar Teil des EU-Wahl-O-Mats. Und, Entwarnung: Nein, auf keinen Fall!, sagen fast alle Parteien. Die Zentrumspartei zeigt sich zwar offen für leichte Reformen, aber vor allem solle das Monopol eine innerschwedische Angelegenheit bleiben.

Nur die Moderaten, also Kristerssons Partei, wollen den Sinn der Monopolstellung des Staates grundsätzlich überprüfen. Erst mal sind sie nur für längere Öffnungszeiten. Und, jetzt kommt's: Sie wollen, dass kleine Brauereien und Weinbauern eigene Produkte künftig ab Haus und Hof selbst verkaufen dürfen. Das ist sie, die „Freiheitsreform“, die Kristersson am Donnerstag vorstellte.

Zehn Jahre lang war darüber debattiert worden, Gutachten wurden erstellt. Nun hatte auch der christdemokratische Sozialminister Jakob Forssmed keine Einwände: 600 Kleinbetriebe dürften profitieren, und vor allem: Das Monopol sei deswegen nicht in Gefahr, sagt er.

Kritiker wittern Ende des Alkoholmonopols

Natürlich wäre auch diese neue Freiheit genau geregelt: Verkauft werden darf nur im Anschluss an Verköstigungen und nicht nach 20 Uhr. Gäste sollen dann bis zu 0,7 Liter Hochprozentiges und je drei Liter Wein, sogenanntes Starkbier (also Bier) und Cidre mit nach Hause nehmen dürfen. Und vor allem würde das Gesetz nur für sehr kleine Betriebe gelten – höchstens 75.000 Liter Hochprozentiges, höchstens 400.000 Liter Bier oder höchstens 200.000 Liter Wein dürften sie produzieren

Betreiber solcher kleinen schwedischen Weingüter und Brauereien freuen sich. Darauf haben sie lange gewartet. Kritiker wittern hingegen den Anfang vom Ende des Monopols – und negative gesundheitliche Folgen für die Bevölkerung.

Nach WHO-Angaben aus dem Jahr 2019 übrigens konsumierten Menschen in Deutschland durchschnittlich 10,56 Liter reinen Alkohol pro Jahr. In Schweden nur 7,1. Ob das neue Gesetz daran etwas ändern würde, ließe sich frühestens ab Sommer 2025 sehen. Ab dann soll der Vorschlag gelten, wenn er durchkommt – und wenn weder Schwedens Gesetzesrat noch die EU-Kommission Einwände haben.

Spontane Weinabende bleiben ein Problem

Bis dahin leben die Schweden weiter mit den ihnen vertrauten strengen Grenzen – wenn auch manche von ihnen gelegentlich Wege daran vorbei finden. Dass ich beim Grillen mit Nachbarn einen Wodka-Latte gereicht bekam mit den Worten, der Wodka sei selbst gemacht, wirkte jedenfalls nicht ungewöhnlich.

Ich selbst muss nur 15 Kilometer bis zum nächsten richtigen Schnapsladen fahren, sollte ich die Mittwochs-Bestellfrist verpassen. Spontane Weinabende blieben bei meiner schlechten Vorratshaltung ein Problem. Aber ich ahne, wo ich klopfen kann, sollte ungeplant ein Drink mal unausweichlich sein.

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Seit 2022 bei der taz. Zuerst Themenchefin in Berlin, derzeit Korrespondentin mit Sitz ziemlich weit oben in Schweden. Frühere Redaktionen: Neue Osnabrücker Zeitung, Funke Zentralredaktion und watson. Früherer Job im Norden: Sommer 1993, Trolle verkaufen am Fjord. Skandinavistin M.A.

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