Kathleen Hanna über Sexismus im Punk: „Immer ein Register weiblicher Helden“

Kathleen Hanna, Ex-Sängerin der Punkband Bikini Kill und Mitgründerin der Gruppe Le Tigre, hat ihre Autobiografie veröffentlicht. Ein Interview.

Kathleen Hanna singt

Kathleen Hanna bei einem Konzert von Bikini Kill 2019 in Los Angeles Foto: Chris Pizzello/Invision/ap

taz: Kathleen Hanna, in Ihrer Autobiografie geht es oft um Debatten innerhalb der Riot-Grrrl-Subkultur der Neunziger. Übergriffiges männliches Verhalten, Gender-Stereotype, „weißer“ und „schwarzer“ Feminismus. War Riot Grrrl diesbezüglich wegweisend?

Kathleen Hanna: Riot Grrrl war in erster Linie eine Intervention innerhalb der Punkszene. Punk wollte anders sein als der Mainstream, aber auch innerhalb der Szene wurden Rassismus, Sexismus und Homophobie reproduziert. Riot Grrrl hat die Frage gestellt: Für wen ist die Underground-Musikszene eigentlich, wen inkludiert sie und wen exkludiert sie? Und ja, genau diese Fragen werden heute gesamtgesellschaftlich erörtert.

Sie beschreiben in Ihrem Buch viele grenzüberschreitende Begegnungen mit unterschiedlichen Männern, von Ihrem Vater angefangen bis zu jemandem, von dem Sie dachten, dass er ein guter Freund sei, und der Sie vergewaltigt. Was hat Ihnen dabei geholfen, all diese schrecklichen Begegnungen zu verarbeiten?

Auf der Bühne zu stehen und zu singen. Diese eine Stunde am Konzertabend hat mich damals gerettet. Obwohl ich auch an Veranstaltungsorten oft von sexueller Belästigung betroffen war. In der Ära von Bikini Kill konnte ich mir eine Therapie nicht leisten und war auch gar nicht bereit zu sagen, dass ich Hilfe brauche. Später hatte ich die Kraft zu sagen: Moment mal, was mir passiert ist, ist wirklich schlimm. Und nur weil es anderen schlechter geht, heißt das nicht, dass ich mich nicht mit diesem Trauma auseinandersetzen muss.

55, ist Sängerin der Bands Bikini Kill und Le Tigre. Beide Gruppen waren in den neunziger Jahren stilprägend für das Musikgenre Riot Grrrl. Riot Grrrl hat Punk-Sound mit einer feministischen und antisexistischen Agenda verknüpft. Hanna gründete Ende der Neunziger zudem das Projekt Julie Ruin. Sie lebt in Pasadena und ist verheiratet mit Adam Horovitz (Beastie Boys), das Paar hat einen Adoptivsohn.

Die englische Autobiografie von ­Kathleen Hanna, „Rebel Girl. My Life as a Feminist Punk“, ist bei Ecco/HarperCollins International erschienen (336 Seiten, 29,99 Dollar).

Sie haben schon früh in der NGO Safe Place Olympia gearbeitet, die sich um Opfer sexueller Gewalt kümmert.

Ja. Wobei ich, anstatt meine eigenen Probleme zu verarbeiten, anderen Leuten geholfen habe, und zwar in einem Ausmaß, das sehr anstrengend war. Auch das Tagebuchführen hat mich gerettet. Das mache ich immer noch, hier ist es! (hält ihr Tagebuch in die ­Kamera) Der einzige Weg, wie ich meinen Verstand bewahren konnte, war, jeden Morgen aufzuwachen und zu ­schreiben.

Fanzines waren auch sehr wichtig für Sie. Sie haben selbst mehrere herausgegeben.

Eigentlich habe ich zunächst Chapbooks gemacht, weil ich gar nicht wusste, was Fanzines sind. Eines hieß „Fuck Me Blind“, ein weiteres „The Most Beautiful Girl is a Dead Girl“. Das waren selbstveröffentlichte Hefte mit meinen Arbeiten, Zeichnungen und Fotos. Aber sie hatten nicht wirklich etwas mit Musik zu tun. 1996 habe ich ein langes Zine über Sucht erstellt, „April Fool’s Day“. Das war meine Art, mit dem Tod meines Freundes Kurt Cobain umzugehen. Alles fühlte sich damals so schrecklich an. In Olympia, wo ich lebte, nahmen viele Leute Heroin und tranken bis zum Exzess. Ich habe auch eine Suchtgeschichte. Ich wollte etwas Positives, etwas Produktives machen.

Sie nennen Kurt Cobain in Ihrem Buch einen feministischen Mann, der bereit war, seine weiblichen Freunde zu verteidigen.

Die kurze, aber intensive Freundschaft zu ihm war für mich sehr wichtig. Diese Beziehungen in den eigenen Zwanzigern, wenn man so viele Dinge entdeckt, prägen einen für den Rest des Lebens, denke ich. Lange war ich überhaupt nicht in der Lage, Nirvanas Musik zu hören. Es war zu schmerzhaft. Da ist die Stimme dieses Menschen, den du magst und der auf so tragische Weise gestorben ist. Nachdem ich nun darüber geschrieben hatte, konnte ich endlich auch wieder die Musik von Nirvana genießen. Ich bin wirklich stolz auf die Musik und auf die Dinge, die Kurt gemacht hat. Er hat zum Album „Incesticide“ Linernotes geschrieben, in denen er über Rassismus, Sexismus und Homophobie gesprochen hat. Es war damals absolut unüblich,­ dies als weißer, männlicher Rockstar zu tun.

Sie erzählen auch, wie Sexarbeiterinnen in der Hardcore-Punk-Szene gesehen werden. Sie haben zeitweise in einem Stripclub gearbeitet und wurden angefeindet.

In meiner lokalen Szene, die damals in Washington, D. C., war, war das weniger der Fall – um so mehr in England. Als wir dort auf Tour gingen, fand ich heraus, dass es eine Menge Anti-Porno-Feministinnen in der Punkszene gab, die richtig wütend auf mich waren. Ich finde das seltsam. Wir alle tun manchmal Dinge, die wir nicht tun wollen, aber aufgrund unserer wirtschaftlichen Situation tun müssen. Ich konnte mit dem Strippen Geld verdienen und so gleichzeitig meine Kunst machen. Warum diskutiert man nicht über Männer, die es sexuell erregend finden, Frauen zu sehen, die aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen sind, sich für sie auszuziehen, sondern regt sich über die Frauen auf? Wir sollten lieber überlegen, wie wir Sexarbeit sicherer machen können. Denn es gibt – anders als in meinem Fall – wirklich gefährliche Sexarbeit.

Sie huldigen in Ihrem Buch Figuren und Bands wie Kathy Acker, Joan Jett, Babes in Toyland, Poly Styrene und vielen weiteren. Waren das die Vorgängerinnen Ihrer Bands Bikini Kill und Le Tigre?

Ja. Ich könnte noch weiter aufzählen, Delta Five, ESG, The Raincoats, The Mo-Dettes und Kleenex, all diese tollen Bands haben uns beeinflusst. Oder Alison Moyet – sie war und ist eine unglaubliche Sängerin, ich wollte ein Kraftpaket wie sie sein. Auch die Lunachicks waren mir wichtig – ich wollte sie damals unbedingt treffen, das brachte mich dazu, nach New York zu gehen. Ich hatte also immer so eine Art Register weiblicher Helden. Es ist dermaßen wichtig, dass es Labels, Agen­t*in­nen und Ma­na­ge­r*in­nen gibt, die mit feministischen und auch mit antirassistischen Bands zusammenarbeiten. Nur so können deren Inhalte ein großes Publikum erreichen. Die Performancekünstlerin Karen Finley war wahrscheinlich noch prägender für mich als die Schriftstellerin Kathy Acker. Aber Kathy Acker war es, die mir gesagt hat, dass ich eine Band gründen soll, deshalb kommt sie im Buch vor.

War Kathy Acker wirklich der Grund, warum Bikini Kill gegründet wurden?

Sie hat mir sozusagen die Absolution erteilt. Ich interviewte sie, als ich sehr jung war und noch Spoken-Word-Auftritte machte. Sie sagte, ich solle eine Band gründen.

Sie schreiben von einem „tiny tornado“ in Ihnen, der sich beim Singen austoben darf. Fühlt sich das auch heute noch so an, wenn Sie mit Bikini Kill oder Le Tigre Konzerte geben – oder geht es Ihnen auch darum, ein Stück Kulturgeschichte und Aktivismus weiterzugeben?

Für mich fühlt sich das nicht historisch an, ich lebe ja weiter dieses Leben, ich bin ja nicht Benjamin Franklin. Es fühlt sich genauso vital an wie damals in den Neunzigern. Aber heute muss ich mich nicht mehr mit sexistischen Mischern herumschlagen, weil wir unseren eigenen Tontechniker haben. Ich habe also die Mittel, die ich brauche, um die bestmögliche Show abzuliefern, und das ist ein viel besseres Gefühl. Ich bin mit viel neuer Energie zurück, und das in einer Zeit, in der so viele Staaten nach rechts rücken und autoritärer werden. Ich habe das Gefühl, dass die Wut über diesen Autoritarismus bei unseren Shows dankbar aufgenommen wird. Die USA sind völlig gespalten, es fühlt sich an, als würden wir auf einen Bürgerkrieg zusteuern. Unsere Shows sind da für mich ein Hoffnungsschimmer, der mich durch die nächste Woche bringen kann.

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