Im alten Stadtbad Lichtenberg: Kunst statt planschen
Im 19. Jahrhundert entstanden in Berlin Volksbäder für die Hygiene der Stadtbevölkerung. Heute ist das Stadtbad Lichtenberg ein Veranstaltungsort.
Dem Stadtbad Lichtenberg sieht man sofort an, dass es schon so einige Jahre auf dem Buckel hat. Die graue Fassade hat zum Teil Risse, an einigen Stellen fällt der Putz ab. Bunte Graffiti schmücken heute die Wände des Gebäudes. Im Zweiten Weltkrieg hat das 96-jährige Volksbad eine Sprengbombe überstanden, während der Besatzung durch die Rote Armee wäre beinahe ein Kartoffellager daraus geworden.
Der Haupteingang des Gebäudes in der Hubertusstraße besteht aus drei gläsernen Türen mit goldenen Rahmen, die gut erhalten geblieben sind. Darüber sieht man den plastischen Fraktur-Schriftzug „Stadtbad Lichtenberg“ und darüber vier männliche Schwimmerstatuen, die aussehen, als könnten sie jeden Moment vom Block herunterspringen.
Direkt im Foyer erinnert ein Schild an längst vergangene Zeit: Einlasszeiten für Frauen am Dienstag, Donnerstag und Sonnabend und für Männer Montag, Mittwoch, Freitag steht da in verschnörkelter Schrift. Zwei Schwimmhallen gibt es. Eine Männerhalle, mit einer Bahnlänge von 25 Meter, und eine Frauenhalle, deren Bahn 20 Meter lang ist. Schwimmen kann man da heute nicht mehr. Die Becken sind leer und das Stadtbad Lichtenberg dient als Kultur- und Veranstaltungsort.
Früher ging’s vor allem um Hygiene: Der Berliner Dermatologe Oskar Lassar hatte ein Bad pro Woche zum Standard erhoben, was gar nicht so einfach umzusetzen war: Die meisten Berliner Mietwohnungen hatten keine Duschen und Wannen. Weil öffentliche Badeanstalten in Europa damals die absolute Ausnahme waren, gründete Lassar 1874 den Berliner Verein für Volksbäder.
Ganz Berlin soll baden
Volksbad heißt: Sie sollten unabhängig von Klassenzugehörigkeit allen Berliner*innen zur Verfügung stehen. Es klingt wie eine Revolution: Jeder und jede sollte sich den Eintritt leisten können. In den folgenden Jahren entstehen erste Stadtbäder. Das Volksbad in Moabit etwa wird 1891 als erste Badeanstalt eröffnet, andere folgen schnell. Bald gibt es sie in jedem Stadtteil. Das Stadtbad Lichtenberg eröffnet als eines der letzten Volksbäder im Jahr 1928, obwohl die Planung bereits 1907 begonnen hat.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Heute sind private Duschen Standard und viele der einstigen Volkswaschräume wurden zu Schwimmhallen. In Neukölln und Charlottenburg werden die denkmalgeschützten Volksbäder noch immer genutzt, sie zählen aber zu den Ausnahmen. Andere stehen leer, etwa in Pankow oder Steglitz. Die Sanierungskosten wären zu hoch und die Gebäude gelten heute als Lost Places.
Laut der Berliner Bäder-Betriebe (BBB) gibt es noch weitere Bäder, in denen nicht mehr geschwommen wird. Damit sie nicht das gleiche Schicksal wie das Stadtbad Pankow oder Steglitz teilen müssen, werden sie immer öfter als Veranstaltungsorte umgewidmet.
So ist eben auch aus dem Stadtbad Lichtenberg keine verwunschene Ruine geworden – obwohl das gut hätte passieren können, als es nach der Wende 1991 wegen zu hoher Sanierungskosten komplett schließen musste.
Die Besonderheit
In Volksbädern konnte man nicht nur schwimmen, sondern auch duschen und baden. Heute kommt das Stadtbad fast ohne Wasser aus: als Kultur- und Veranstaltungsort. Das Becken in der Frauenhalle kann zur Zeit noch in seinem Originalzustand besichtigt werden.
Das Zielpublikum
Statt Wassersportler*innen heute eher Kultur- und Geschichtsinteressierte. Aktuell ist das Stadtbad Lichtenberg im Rahmen der Ausstellung „Stadtbad reloaded“ zu besichtigen. Bereits die türkisen Emaillewannen sind den Besuch allemal wert.
Hindernisse auf dem Weg
Für Schwimmer*innen unüberwindbar: Es ist kein Wasser drin. Während andere trockene Stadtbadbecken allerdings höchstens noch von Skater*innen erschlossen und zur Halfpipe umfunktioniert werden, ist das Lichtenberger Stadtbad völlig legal und unkompliziert zugänglich.
Man unternahm immer wieder Versuche, neue Nutzungskonzepte für das Bad zu finden. 2006 etwa sollte das Stadtbad Lichtenberg für sechs Millionen Euro zum Gesundheitszentrum umgebaut werden: Arztpraxen, Sporttherapieeinrichtungen und alternative Therapiestätten waren im Gespräch. Auch die Nutzung als türkisches Bad wurde diskutiert. Verschiedene Initiativen wie der eigens zur Erhaltung des Stadtbads gegründete Förderverein Hupe e. V. kämpften erfolglos für eine Sanierung. Seit 2016 ist klar, dass eine Wiederaufnahme des Badebetriebes wegen der hohen Investitionskosten und der Unwirtschaftlichkeit nicht mehr erfolgen kann.
Zukunft auf dem Trockenen
Heute ist das Männerbecken von einem hellen Parkettboden verdeckt, der an ein modernes Wohnzimmer erinnert. Darauf verteilt liegen große Sitzkissen. Wo einst die Berliner Arbeiterklasse sich in den türkisen Emaillewannen den Dreck abgewaschen hat, kann heute Champagner geschlürft werden. Hochzeiten, Firmenfeiern, Geburtstage: Für so ziemlich jede Art von Veranstaltung kann man das Stadtbad Lichtenberg buchen. Auch die Lange Nacht der Ausbildung hat dort ihr Zuhause gefunden.
Verwaltet wird das ausgetrocknete Schwimmbad vom Berliner Immobilienmanagement (BIM) im Auftrag der Stadt Berlin. Nass wird man dort zwar nicht mehr, aber dafür kann man aktuell etwa digitale Kunst unter dem Namen „Stadtbad reloaded“ besichtigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Auflösung der Ampel-Regierung
Holpriger Versuch endgültig gescheitert
+++ Ampelkoalition zerbricht +++
Lindner findet sich spitze
Ampelkoalition zerbricht
Scholz will Vertrauensfrage stellen
Scheitern der Ampelkoalition
Ampel aus die Maus
Antisemitismus-Resolution im Bundestag
Kritik an Antisemitismus-Resolution
Auflösung der Ampel-Regierung
Drängel-Merz