Einsatz westlicher Waffen in Russland: Ringen um die rote Linie

Die USA und die EU ringen um einen gemeinsamen Kurs über den möglichen Einsatz von westlichen Waffen in Russland.

Ein verletzter Soldat liegt auf einer Pritsche

Vom Krieg gezeichnet: Ein verletzter Soldat an der Front in der Region Donezk am 15. April Foto: Thomas Peter/reuters

BERLIN taz | Seit Wochen läuft die Debatte darüber, ob die westlichen Verbündeten der Ukraine erlauben sollen, vom Westen gelieferte Waffen auch gegen Ziele auf russischem Territorium einzusetzen. Im Vorfeld eines informellen Nato-Außenministertreffens in Prag, das am Donnerstagabend beginnen sollte, kommt nun wieder mehr Bewegung in die Diskussion. Vor allem US-Präsident Joe Biden überlegt laut übereinstimmenden US-Medienberichten unter dem Druck der Ukraine und europäischer Verbündeter ernsthaft, seine bislang strikt durchgehaltene Linie eines Verbots aufzugeben.

Bidens Außenminister An­tony Blinken sagte am Mittwoch bei einem Besuch in Moldau, die USA würden „flexibel“ agieren und die Art ihrer Unterstützung der Ukraine stets den Anforderungen anpassen. Die USA hätten die Ukraine „weder ermutigt noch in die Lage versetzt, Schläge außerhalb der Ukraine durchzuführen, aber die Ukraine muss ihre eigenen Entscheidungen darüber treffen, wie sie sich am besten verteidigt,“ sagte Blinken. Die Ukraine fordert seit Monaten, die Waffen auch einsetzen zu dürfen, um das russische Angriffspotenzial an seiner Basis bekämpfen zu können.

Gleichwohl zeigte sich Washington besorgt über immer häufigere Drohnenangriffe der Ukraine auf russische Vorwarnsysteme gegen ballistische und nukleare Raketenangriffe. Bei zwei ukrainischen Angriffen sei in der vergangenen Woche mindestens eine Einrichtung ernsthaft beschädigt worden. Die Washington Post zitiert eine anonyme Quelle aus der US-Regierung so: „Diese Einrichtungen sind in die russische Kriegsführung gegen die Ukraine nicht eingebunden, aber sie sind hochsensible Ziele, denn Russland könnte den Eindruck gewinnen, dass dadurch seine strategischen nuklearen Abschreckungskapazitäten gegen die USA beeinträchtigt werden.“ Aus ukrainischen Sicherheitskreisen hingegen erfuhr die Zeitung, die Ukraine führe diese Angriffe durch, weil die Vorwarnstationen auch die ukrainischen Luftaktivitäten überwachten.

Das Tabu beiseite zu lassen oder zumindest aufzubrechen – diese Haltung wird auch innerhalb der Nato und in der EU diskutiert. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg appellierte bereits zu Beginn der Woche an die Mitgliedsländer, ihre Haltung zu überdenken. Die bisher bestehende „rote Linie“ vieler Länder würde die Ukraine blockieren. EU-Außenbeauftragter Josep Borrell sprach sich ebenso für den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium aus. Mit markigen Aussagen sparte auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nicht.

Deutschland ist zweitgrößter Waffenlieferant

Im Vorfeld eines Treffens des deutsch-französischen Ministerrates sprach Macron davon, dass die Verbündeten es der Ukraine erlauben müssten, Militärstützpunkte in Russland „zu neutralisieren, von denen aus Raketen abgeschossen werden“. Auch Militärausbilder in der Ukraine sind offenbar auf französischer Seite nicht ausgeschlossen.

Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant – und auch in dieser Angelegenheit gefragt. Bundeskanzler Olaf Scholz ließ zu seinen Aussagen bei der Pressekonferenz mit Macron viel Raum für Interpretationen. Der SPD-Politiker berief sich auf das Völkerrecht, das der Ukraine viele Möglichkeiten einräume. Ein eindeutiges Ja klingt anders. Scholz' Zögern und Zurückhaltung sind jedoch keine Überraschung, sondern symptomatisch bei Kriegsfragen. Bestes Beispiel ist die Debatte um den Marschflugkörper Taurus.

Die Ukraine drängte lange Zeit auf eine Lieferung der panzerbrechenden Bombe, die etwa strategische Versorgungswege Russlands zerstören könnte. Scholz äußerte sich erst gar nicht und lehnte dann ab. Wie in der Taurus-Debatte machen CDU-Verteidigungspolitiker, Teile der FDP und Grünen sowie SPD-Stimmen Druck auf den Kanzler, doch den Einsatz westlichen Geräts zu erlauben. Scholz betont, er wolle verhindern, dass es „zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato kommt“.

Wenig überraschend kommt die zähe Diskussion unter den Verbündeten in der Ukraine nicht gut an. Auf der ukrainischen Webseite focus.ua schreibt der Blogger und Militärkorrespondent Bogdan Miroschnikow: „Der Abstimmungsprozess über Waffenlieferungen nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass die Russen es schaffen würden, von Belgorod nach Moskau abzuhauen und wieder zurück zu kommen.“ Und er übt scharfe Kritik an der Debattenkultur der westlichen Partner. Denn dies würde dem Feind „sehr helfen“. Für Miroschnikow sollte es im Jahr der russischen Invasion für die Ukraine keine Einschränkungen mehr geben.

Derweil scheinen aber die zugesagten Waffenlieferungen für Kyjiw weiter voranzugehen. Der tschechische Regierungschef Petr Fiala verkündete, dass in den kommenden Tagen die ersten Lieferungen von Artilleriemunition eintreffen sollen. Fiala steht an der Spitze eines internationalen Bündnisses aus fünfzehn Ländern, das Hunderttausende Schuss an Munition auf dem Weltmarkt einkaufen wollte. Dafür sind rund 1,7 Milliarden Euro zusammengekommen. Auf der Einkaufsliste stehen 500.000 Geschosse vom Nato-Kaliber 155 Millimeter. Auch Deutschland beteiligt sich an der Initiative.

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