Thriller „The End We Start From“: Durch die Feuchtbiotope

Im Kino-Film „The End We Start From“ erzählt Regisseurin Mahalia Belo von einer Flut. Dabei verändert sie die Dramaturgie von Katastrophen im Film.

Eine Frau läuft mit einem Kind im Arm durch eine Straße mit Reihenhäusern. Autowracks türmen sich davor und anderes Treibgut einer Überschwemmung.

Jodie Comer als „Woman“ in „The End We Start From“ Foto: Universal Pictures International Germany

Einem Kind ist es wurscht, wo und wie es geboren wird. Hauptsache, jemand verhilft ihm regelmäßig zu Nahrung, körperlicher Nähe und Zuwendung.

Insofern spielt es für das Neugeborene der namenlosen Frau (Jodie Comer) keine Rolle, unter welchen Umständen es auf die Welt kam. Dabei waren diese Umstände bedrohlich, gar dystopisch: Als die hochschwangere Protagonistin des Debütfilms von Mahalia Belo sich in ihrem Londoner Häuschen ein Entspannungsbad einlässt, echot das Geräusch des einlaufenden Wassers den gegen die Fenster trommelnden Regen.

Und der Regen wird stärker, auch als sie längst aus der Wanne heraus ist, schockiert sieht, wie Regenfluten durch die Türritzen dringen und schließlich alle Dämme gleichzeitig brechen: Ihre Fruchtblase platzt, just als die Wassermassen das Haus zu übernehmen scheinen. Der Notruf ist überlastet, und die Frau verliert irgendwo zwischen eigener und fremder Nässe, privater und globaler Katastrophe den Überblick.

Doch das Baby kommt trotzdem irgendwie auf die Welt und blickt sich neugierig um. Und seine Eltern, die Frau und ihr Mann R. (Joel Fry), tun, was Eltern in solchen Lagen tun: versuchen, mit der Situation klarzukommen. Zunächst flieht die junge Familie aus der unbewohnbar gewordenen Stadt aufs fast ebenso überflutete Land zu R.s Eltern (Mark Strong und Nina Sosanya) und probiert, ihrem Baby zwischen Isolation, durch den Regen verfaulter Landwirtschaft und medialen Hiobsbotschaften eine harmonische Umgebung zu bieten.

Wie zieht man ein Kind auf in einer Zeit ohne Hoffnung

Ein tragischer Vorfall reißt die Gruppe jedoch auseinander. Zu Fuß treten die Frau und ihr Kind eine Odyssee in eine ungewisse Zukunft an und treffen dabei auf mehr oder weniger desillusionierte Weggefährt:innen. Und über allem schwebt wie ein Menetekel die Frage: Wie kann man und darf man überhaupt ein Kind aufziehen angesichts der hoffnungslosen Zukunftsaussichten?

Die Gestaltung von (fiktionalen) Dystopien erfolgt meist in ängstigender, warnender, in abstoßender und erschütternder Absicht. Was Belo zusammen mit ihrer Drehbuchautorin Alice Birch in dieser Adaption eines Romans von Megan Hunter versucht, geht in eine andere Richtung: „The End We Start From“ ist eine sanfte, schwingende, an die meditativ-philosophischen Werke von Terrence Malik erinnernde, dennoch hochtragische Reise, die ihren politischen Kommentar zum Klimawandel ebenso stark formuliert wie jeder Endzeitthriller.

„The End We Start From“. Regie: Mahalia Belo. Mit Jodie Comer, Joel Fry u.a. Vereinigtes Königreich, 102 Min.

Zu den organisch-orchestralen, sphärischen Sounds ihrer Komponistin Anna Meredith, die vielleicht noch das Futuristischste am Film darstellen, hat Belo sich entschlossen, nichts von ausufernder Gewalt, Entgrenzung oder schwindender Mentalgesundheit zu erzählen.

Wie sehr man das (im Dystopiegenre von männlichen Regisseuren geprägte) düstere Narrativ gewohnt ist, es ängstlich antizipiert, wird in vielen der von Suzie Lavelle fließend gefilmten Szenen deutlich. Etwa wenn die Frau allein mit Baby im umstürmten Haus ihrer Schwiegereltern auf die Rückkehr ihrer Familie wartet und nachts plötzlich ein fremder Mann auf der Matte steht. Auch er hat ein – älteres – Kind dabei, und er hat mindestens Hunger.

Doch Belo und Birch lassen die Situation nicht eskalieren – vielleicht, so scheint die Hoffnung durch, bleiben wir angesichts der selbstverursachten Katastrophen, in die wir sehenden Auges hineinrasen, ja doch Menschen.

Später werden die Frau und ihre in einer Massenunterkunft aufgelesene Freundin (Katherine Waterston), ebenfalls Mutter, bei ihrem Weg durch die Feuchtbiotope von einem Mann (Bendedict Cumberbatch) in ein leeres Haus gekobert: „I have food!“. Doch anstatt Liebesgeschichten oder (sexuell motivierte) Gewalt zu inszenieren, lässt die Regisseurin die drei in einer kurzen, tröstlichen Szene miteinander tanzen, sich wie „ganz normale“ Erwachsene benehmen.

Obgleich: „Ganz normal“ ist es wohl nie mehr. Das Baby, auf dessen Perspektive sich der Film immer wieder einlässt, wächst unbeeindruckt weiter, lernt, und passt sich der Situation an. Denn es kennt eh nur das „neue Normal“.

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