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Prozess gegen Terror-UnterstützerMit dem Segelboot heim ins Reich

In Hamburg steht ein 66-Jähriger wegen Unterstützung der „Kaiserreichsgruppe“ vor Gericht. Beim Verfassungsschutz war er mit einem Hinweis abgeblitzt.

Mit dem Segelboot rüber zu Putin und mal eben Kaliningrad klarmachen: So haben sich das Frank M. und seine Kumpane vorgestellt Foto: Daniel Reinhard/dpa

Hamburg taz | Frank M. will reinen Tisch machen. Gleich nach der Anklageverlesung liest seine Verteidigerin eine umfangreiche Erklärung des 66-Jährigen aus der Nähe von Bad Oldesloe vor, mit der er fast alles bestätigt, was die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft. Nur ob die als „Kaiserreichsgruppe“ bekannt gewordene Gruppierung von Reichsideologen tatsächlich eine terroristische Vereinigung ist und ob sein Handeln als Unterstützung gewertet werden kann, vermag er nicht einzuschätzen.

Die Gruppe um die pensionierte Lehrerin und promovierte Theologin Elisabeth R. hat einen Putsch geplant. Ihre Mitglieder stehen seit Mitte vergangenen Jahres in Koblenz vor Gericht, weil sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aus einer Talkshow heraus mit Waffengewalt entführen wollten. Mit Sprengstoffanschlägen sollte die Stromversorgung lahmgelegt und dann ein neues Parlament installiert werden. Unterstützung erhofften sie sich von Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Auf M. wurden die Ermittler im Rahmen dieses Verfahrens aufmerksam, durch Telefonüberwachung und Chats. Und dort spielt sich auch das meiste ab, was ihm nun vorgeworfen wird. Im November wurde er verhaftet. Nun muss er sich vor dem Staatsschutzsenat des Hamburger Oberlandesgerichts unter anderem wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und unerlaubten Waffenbesitzes verantworten.

Der Mann im khakifarbenen Hemd und Cargohosen mit einem großen Ring im linken Ohr sagt, er habe sich „schon immer“ für Geschichte interessiert, spätestens als er seinen Vater gefragt habe, was er im II. Weltkrieg gemacht habe. Der sei in der Waffen-SS gewesen, freiwillig, kämpfende Truppe, wie Frank M. betont, nicht im KZ. Deshalb habe er ihm nie Vorwürfe gemacht.

Unzufrieden wegen Coronamaßnahmen

Den entscheidenden Dreh bekam M.s historisches Interesse während der Coronapandemie. „Unzufrieden mit der staatlichen Ordnung“ sei er wegen der Coronamaßnahmen gewesen, sagt er, die Maßnahmen hätten „nicht unbedingt positive Gefühle gegenüber dem Staat“ ausgelöst.

Mit dem bundesdeutschen Parteiensystem fremdelte er da längst. Ganz früher habe er mal FDP gewählt, aber nur, bis sie sich zum „Verräter an Helmut Schmidt aufgespielt hat“. Parteien seien „nur“ Wahlvereine, behauptet er, die hält er für überflüssig. Er wünscht sich ein „basisdemokratisches Konstrukt“, in dem das Volk seine Vertreter direkt bestimmt – oder per Volksabstimmung selbst die Macht ausübt.

Schon früher hatte er im Internet gelesen, dass die Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 noch immer gültig sei. In der vielen freien Zeit während der Kontaktbeschränkungen suchte er dann gezielt im Messengerdienst Telegram nach dem Thema. Er fand zahlreiche Gruppen dazu, begann auch bald, selbst welche zu gründen. Irgendwann habe er außerhalb der Familie kaum noch andere Kontakte gehabt als zu „1871ern“, wie er sie nennt.

Wieso er auf seinem Tablet Hunderte Bilder von Nazisymbolen gespeichert habe? Auch das nur „historisches Interesse“. Und seine Kinder sollten später mal die Möglichkeit haben, sich das alles anzuschauen und sich „eine eigene Meinung zu bilden“. Ein Rechter sei er jedenfalls nicht: „Ich bin Fan des FC St. Pauli“, sagt er, und dass er ein „farbiges“ Ziehkind in Kenia habe. „Das passt doch gar nicht zusammen!“ Dass der Begriff „farbig“ rassistisch ist, scheint ihm nicht klar zu sein.

Er selbst, sagt er, habe auch nicht der Idee eines Kaiserreichs angehangen, sondern wollte zunächst Preußen und dann das Deutsche Reich wieder errichten, in dem der Kaiser allenfalls repräsentative Funktion hätte. Kern dieses neuen Preußen sollte zunächst Kaliningrad, das frühere Königsberg sein.

Mit Chat-Bekannten heckte er den Plan aus, zunächst in einem Brief an die russische Regierung um Unterstützung für ihr Projekt zu werben, den ein Bekannter in Stockholm dem dortigen russischen Botschafter überreichen sollte. Später wollten die Preußen-Fans dann mit einem Segelboot über die Ostsee in russische Gewässer eindringen, sich dort festnehmen lassen und dann um ein Gespräch im Kreml bitten. Sie wollten Präsident Putin an ein Angebot Gorbatschows erinnern, Kaliningrad zurückzugeben.

Auch dank dieser „Vorarbeit“ wurde M. dann mit offenen Armen empfangen in der Chatgruppe „Vereinte Patrioten“ der „Kaiserreichsgruppe“. Diese plante ganz konkret den gewaltsamen Umsturz. Bei einem Treffen mit 30 bis 40 Leuten im niedersächsischen Verden wurden die Pläne im Detail besprochen. Der 96-jährige Gastgeber habe den „Haftbefehl“ gegen Lauterbach unterzeichnet, so Frank M. Der habe nämlich nicht entführt, sondern „verhaftet“ werden sollen, belehrt der Angeklagte die Vorsitzende Richterin.

Auf dem Verdener Treffen seien auch Vertreter „der Bauernverbände“ anwesend gewesen, um den Zeitpunkt für den „Black-out“ zu identifizieren, der für die Landwirtschaft am ehesten verkraftbar wäre. Ergebnis: September/Oktober. So lange habe Elisabeth R. nicht warten wollen, sie habe den Putsch in den folgenden drei Wochen durchziehen wollen, so M. Er vermutet, sie komme aus der anderen Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß, gegen die in Frankfurt ebenfalls gerade ein Mammutverfahren läuft, und habe schneller sein wollen, „um die Lorbeeren einzuheimsen“.

Ihm selbst sei bei diesem Treffen klar geworden, dass die Planungen einerseits nicht realistisch seien, andererseits ein totaler Black-out unweigerlich zum Bürgerkrieg führen würde. Er habe den Weg der Gruppe daher für falsch gehalten, auch wenn er ihr Ziel geteilt habe.

Er habe deswegen noch mitten in der Nacht nach dem Verdener Treffen den Hamburger Verfassungsschutz angerufen. Als er verlangt habe, „jemand Höheres“ zu sprechen, sei das abschlägig beschieden worden. Am nächsten Morgen habe er sich mit seinem Sohn beraten. Der habe gesagt: „Papa, das musst du entscheiden.“ Er habe daraufhin erneut beim Verfassungsschutz angerufen und von einem „Umsturz“ gesprochen, aber wieder nicht mit einer leitenden Person sprechen können. Er habe dann gesagt: „Sie sehen ja meine Nummer, Sie können mich ja zurückrufen, wenn es von Interesse für Sie ist.“ Das sei aber nie passiert.

Frank M. wollte „echte“ Preußen rekrutieren

Trotz seiner Zweifel wiederholte Frank M. auf dem Verdener Treffen sein Angebot, für die Wiedereinsetzung des preußischen Abgeordnetenhauses bis zu 100 Menschen aus seinen Chatgruppen zu „liefern“, die eine preußische Abstammung gemäß Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 nachweisen können – „in männlicher Linie“, nur bei unehelichen Kindern sollte auch die weibliche gelten. Warum er das getan habe, möchte die Vorsitzende Richterin Petra Wende-Spors wissen. „Angst“, sagt Frank M. Diese Leute seien gefährlich. „Da werden Sie mit dem Tode bedroht, wenn Sie’s Maul aufmachen.“

Auch sein Bestreben, über die Gruppe an Waffen zu kommen, hat er nach dem Treffen fortgesetzt. Der Leiter des „militärischen Flügels“, der behauptet hatte, über einen „Veteranenpool“ ehemaliger NVA-Soldaten zu verfügen und Unterstützung in Bundeswehr und den Kommando-Spezialkräften der Bundespolizei generieren zu können, sollte ihm eine Glock-Pistole sowie eine Scorpio-Maschinenpistole besorgen.

Und das, obwohl er seit Langem – ebenfalls illegal – einen Revolver im Bad seines Wohnmobils verwahrte, plus über 100 Schuss Munition. Wofür noch mehr Waffen? Da wird Frank M. geheimnisvoll. „Nicht für die Pläne der Gruppe jedenfalls und auch nicht für mich persönlich.“ Es ist bei diesem Prozessauftakt das einzige, worüber er nicht sprechen möchte.

Sonst plaudert er munter drauflos, nennt freimütig die Namen aller Beteiligten, wirkt gelöst dabei. Warum, das hat er schon ganz am Anfang klargemacht: Seine Familie sei ihm das Wichtigste und die leide unter seiner Haft, er selbst vermisse vor allem seine Enkelin. Und „auch wenn es mal Streit gab: Meine Frau hält zu mir“, er könne „selbstverständlich“ wieder zu Hause einziehen. Die Botschaft ist: Sozialprognose günstig.

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