„Ada Kaleh“ von Die Ordnung der Dinge: Es bleibt bei Andeutungen
Sie existiert nur noch in der Erinnerung. Die Berliner Theatergruppe Die Ordnung der Dinge erzählt im Theater Delphi von der Donauinsel „Ada Kaleh“.
Wie in einer Verhörsituation sitzen sich die beiden Performer gegenüber. Als Tisch dient ihnen eines der Bühnenpodeste, die in der Mitte des Zuschauerraums des Theaters im Delphi aufgebaut sind. Im spärlichen Licht einiger Glühbirnen erzählen sie von der Donauinsel Ada Kaleh, die wie ein Lager von Stacheldraht umzäunt war. Dort haben sie die Nächte verbringen müssen. Nur tagsüber durften sie raus.
Das war in den 1950er Jahren. In der Ceaușescu-Zeit. Wer auf die andere Flussseite wollte, um von Rumänien ins damalige Jugoslawien zu fliehen, wurde erschossen, gefoltert oder erschlagen. Von schrecklichen Dinge erzählen die beiden Musiker und Performer Cathrin Romeis und Iñigo Giner Miranda da plötzlich. Sie sind Teil der Berliner Theatergruppe Die Ordnung der Dinge, die gemeinsam mit der Regisseurin Franziska Seeberg an diesem Abend im Delphi mit ihrem Stück „Ada Kaleh“ Premiere feiert.
Davor und danach geht es um die Schönheit der gleichnamigen Insel, den besonderen Zusammenhalt, den es dort gab, die Mythen, die sich um sie ranken, und die Trauer über ihren Verlust. Von Folter, Lagern und Stacheldraht ist nicht die Rede.
Die unvermittelte Verhörszene lässt die Zuschauer mit vielen Fragen zurück: Was ist das für ein Lager? Wer erzählt davon? Und warum spielen diese Ereignisse für die anderen Erinnerungen an die Insel keine Rolle?
Jahrhundertelang besetzt
Kurz zu den Fakten: Die gut 1,7 Kilometer lange und 500 Meter breite Donauinsel Ada Kaleh lag im Südwesten von Rumänien, an der Grenze zum heutigen Serbien. Jahrhundertelang war sie abwechselnd von den Habsburgern oder Ottomanen besetzt. Nach dem Ende des Osmanischen Reichs blieb sie eine türkische Enklave.
In den 1960er Jahren wurde das Donau-Wasserkraftwerk „Eisernes Tor I“ gebaut. Alle Bewohner mussten die Insel verlassen. An der Stelle, wo sie lag, befindet sich heute ein riesiger Stausee. Die Ada Kaleh existiert nur noch in der Erinnerung.
Eine Insel zwischen den Welten, ein Schmelztiegel der Kulturen und ein Ort des Schreckens und des Leids, eines Tages weggespült vom technischen Fortschritt. Es gäbe viel zu erzählen über dieses Eiland und die Erinnerung daran. Aber das passiert an diesem Theaterabend nicht. Dafür bleibt er zu sehr in Andeutungen, im Unpersönlichen, im Oberflächlichen stecken.
Es beginnt vielversprechend: Im Zuschauerraum des Theaters im Delphi sind knie- bis hüfthohe Bühnenpodeste verteilt (Bühne: Janina Janke). Darauf Teller mit türkischen Süßigkeiten, ein halb ausgerollter persischer Teppich, türkische Kaffeekannen auf kleinen Sandhaufen, ein Feigenbäumchen, orangefarbene Schwimmwesten, mit Tabak gefüllte Plastiktüten.
Die Vernichtung der Insel
Auftritt der Performer Romeis und Miranda. Sie erzählen von den Geistergeschichten, die auf der Insel erzählt wurden. Den unterschiedlichen Ethnien, Nationalitäten und Religionen, die dort friedlich koexistierten. Der Flutung von Ada Kaleh. Und der Trauer über die Vernichtung dieses Paradieses. Unterlegt wird das vom Rauschen und Wummern von Glühbirnen, die von dem Künstler und Musiker Michael Vorfeld gesteuert werden.
Doch wer spricht hier eigentlich genau? Für wen stehen die beiden Performer? Repräsentieren sie die ehemaligen Inselbewohner, die für das Stück interviewt wurden? Oder zitieren sie aus den vielen literarischen, wissenschaftlichen und journalistischen Quellen, die im Programmheft genannt werden? Oder vielleicht einen der angegebenen Schlagertexte?
Spätestens die Lagerszene wirft die Frage auf: War Ada Kaleh überhaupt immer ein Paradies? Die furchtbaren Ereignisse unter Ceaușescu werden nicht an das Vorher und Nachher gekoppelt. Genau das hätte den Abend interessanter machen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!