Wertediktatur im Jahr 2059: Kiffen und nackt baden

2059, die deutsche Wertediktatur hat über die Vernunft des Bösen gesiegt. Gleichberechtigung, Liberalität und Demokratie sind der Status Quo.

Rauchender Joint

Nackt einen rauchen am See und dazu eine vegane Bratwurst Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Früher wollten alle wissen, was sie erwartet, heute haben die meisten schon von der Gegen­wart genug. Wir blicken trotzdem einmal monatlich jeweils ein weiteres Jahr voraus

Wir schreiben das Jahr 2059. Wovor viele Mahner, von Islamisten über Rechtsradikale bis hin zu verbitterten Hobbymenschenhassern, jahrelang gewarnt hatten, hat sich aufs Furchtbarste bewahrheitet: Die deutsche Wertediktatur hat über die Vernunft des Bösen gesiegt und hält die Freiheit des Stärkeren fest in ihrem Würgegriff. Aufrechte Autokraten ächzen unter dem flauschigen Joch von Gleichberechtigung, Liberalität und Demokratie.

Statt Kalifat, Faschismus oder Kaiserreich herrscht ein Tohuwabohu aus Gendergaga, Grundgesetzlala, Klimatrara, Homohaha, veganen Schweinswürsten, freien Wahlen, Minderheitenschutz, Emanzipation, Fahrradwegen, kiffen und nackt baden.

Letzteres ist allerdings auch für meinen streng katholischen Futurologen Zbigniew gewöhnungsbedürftig. „In Binz kam schon auf dem Bahnsteig die Lautsprecherdurchsage: ‚Alle sofort Hosen runter!‘ “, berichtet er mir aufgeregt von seinem jüngsten Urlaub auf Rügen. „Aber nach ein paar Tagen gewöhnt man sich dran. Und am Abend auf der Restaurantterrasse durfte man sich obenrum sogar was überziehen.“

Moralischer Druck

Theoretisch hätte er sich weigern können. Doch die Strafen für die Rebellen, die sich der Wertediktatur nicht unterwerfen wollen, sind so gesalzen, wie es sich für eine Diktatur geziemt – grausame Sanktionen in Form von heftigem Widerspruch: „Mach, was du willst“, wird so einem wagemutigen Wertediktaturgegner dann leise ins Gesicht gesagt, „aber toll finden wir das nicht!“

Oder, noch schlimmer, es wird moralischer Druck auf Leute ausgeübt, die einfach nur in Ruhe ihr toxisches Ding machen wollen. In passiv-aggressiver Manier werden sie daraufhin naseweis belehrt: „Gründe von mir aus ruhig dein mörderisches Kalifat. Aber wundere dich dann bitte nicht, wenn Leute das nicht mögen.“

Derart überzogene ­Kritik regt zum Widerstand gegen die Wertediktatur an. Und wenn schon Wertediktatur, dann bitte ­wenigstens nicht solche ­Pussy­werte für die Pony­hofgesellschaft, sondern lieber old-school values wie Anti­semitismus und Patriarchat. Denn wie schön war es noch 2025, als queere Werteliberale die absolute Freiheit hatten, noch am Baukran hängend die revolutionären Segnungen der Hamas zu preisen, was in der heutigen Wertediktatur mit ihrer blinden Ablehnung totalitärer Bestrebungen aller Art streng verpönt wäre. Das ist finsterste Zukunft. Wo ist nur die Toleranz für Intoleranz geblieben?

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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