Beständige Langzeitbeziehungen: Akut doll von Belang

Ob in Zeitungen, Magazinen oder Podcasts, es wimmelt von Texten und Interviews über Langzeitbeziehung. Dabei ist Instabilität doch auch eine Chance.

Eine Kundin greift in einem Edeka-Supermarkt nach einer Flasche Spülmittel.

Wer was Beständiges haben will, kann auch einfach immer das gleiche Spüli kaufen Foto: Uwe Anspach/dpa

„Habt ihr auch den Eindruck, je größer die universale Endzeitstimmung, desto mehr Paartherapie-Podcasts schießen aus der Erde?!“, fragt der Freund im Garten unter der Pergola.

„Ja, der totale Überschuss, man weiß gar nicht, was man zuerst überhören soll.“

„Auch in Zeitungen und Magazinen: überall Texte und Interviews mit Ex­per­t:in­nen zum Thema Langzeitbeziehung“, sagt die Freundin und kaut auf dem knallroten Nagel.

„Wie kann man sie stabilisieren, beleben, befrieden, verwalten und behalten bis in alle Ewigkeit“, sagt die andere Freundin.

„Dabei Würde und Selbstwirksamkeit bewahren.“

„Ein dualisierter Kampf gegen das Ende des subjektiven Glücks.“

„Koalition und Opposition in einem.“

„So viel Anstrengung für eine einzige andere Person.“

„Dabei glauben doch alle, dass es bald vorbei ist mit Weltfrieden, der ist nunmehr die totale Fiktion.“

„Science-Fiction, Kinderfantasie, Musical.“

„Das Böse wabert sich zusammen, schon lang nicht mehr nur im Hintergrund.“

„Vielleicht bleibt bald nur noch der Untergrund, um das Gute zu verteidigen.“

Mühselig an Liebesbeziehungen rumbasteln

„Warum also mühselig an der Liebesbeziehung herumbasteln und kommunizieren, bis der teure Arzt kommt?“

„Deswegen ja! Weil es akut doll von Belang ist, was Beständiges von Verlass zu haben.“

„Da kann ich auch ’ne Zeitung abonnieren oder immer das gleiche Spüli kaufen.“

„Aber da fehlt doch irgendwie die Romantik.“

„Das haben wir nun von der Liebesheirat.“

„Am Anfang waren die Hormone.“

„Melodien für Millionen – gegen jede vernünftige Organisation.“

„Daran ist doch nix verkehrt, die Unterdrückung der freien Libido führt zu autoritären Gemütern, so wird Faschismus ja überhaupt erst mit ermöglicht!“

„In Ländern, wo rein zweckorientiert verheiratet wird, ist meist weniger gut Kirschen essen.“

„Liebe ist und bleibt ein politischer Akt.“

„Also ist Paartherapie eigentlich Aktivismus?“

„Jede Therapie!“

„Happy Menschen, bessere Gesellschaft.“

„Aber ist Happyness nicht Opium fürs Volk?“

„Vielleicht sollte es professionelle Therapeuten für Koalitionen geben.“

„Aber die müssen ja nicht ewig halten.“

„Paartherapie braucht es ja auch erst, seit die Leute nicht mehr mit 30 von einer Grippe erlegt werden.“

Religion büßt an Popularität ein

„Und seit Religion an Popularität einbüßt.“

„Beziehung ist doch eigentlich Religion.“

„Stimmt, es gibt feste Regeln, Abläufe und man verspricht sich davon Glückseligkeit.“

„An irgendwas muss man ja glauben, wenn das Scheußliche im Universum wuchert.“

„Und zu zweit haste dann maximal einen Querdenker an der Backe.“

„Na ja, heute kannst du auch zu mehreren monogam sein.“

„Und am Ende ist es ’ne Demo statt ’ner Beziehung.“

„Wird sondiert statt geredet.“

„Unten raus kommt immer Politik.“

Krieg oder Frieden? Bleibt die Frage

„Krieg oder Frieden, das bleibt die Frage.“

„Dann lieber Weltflucht.“

„Weltflucht statt Wehrpflicht.“

„Na, manchmal passiert aber noch was Gutes.“

„Ohne das lang verhandelt werden muss?“

„Was denn?“

Hubschrauber mit den richtigen Passagieren stürzen ab.

„Darf man sich über den Tod eines Menschen freuen?“

„Falsche Frage, Freude ist ein Impuls, die Frage ist, was bringt das?“

„Hoffnung?“

Gerechtigkeit?“

Instabilität als Chance?“

„Da müssten weltweit aber ziemlich viele Hubschrauber abstürzen.“

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Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr neuer Roman Roman „Auf Wiedersehen“ ist im April 2023 im Weissbooks Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

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