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Hamburger Performance übers SpielenEine düstere Zusammenkunft

Kleine Szenen und absurde Bilder: In „Funny Games“ setzt sich in Hamburg ein Ensemble mit den dunkleren Seiten gemeinsamen Spielens auseinander.

Anarchischer Bastel-Charme: zwei der Kostüme Foto: Christian Martin

Noch mal! Noch mal! Wer Kinder kennt, kennt die Forderung, das letzte Spiel immer wieder zu wiederholen. Dass irgendwann Schluss sein muss, muss man ja erst mal lernen. Auf der Kampnagel-Bühne in Hamburg ist es noch dazu ein Spiel mit einer Schusswaffe. Die knappen Regeln hat eines der Kinder vom altersgemischten Ensemble Skart & Masters of the Universe (MOTU) vorher laut in die Halle gerufen: 1. Es wird getan, was ich sage! 2. Es wird dieses Ding hier benutzt. 3. Du schießt damit einen Pfeil durch den Apfel auf seinem Kopf. Und Schuss!

Zwischen Bogen und Apfel ist ein durchsichtiges Band gespannt, verfehlen kann der Pfeil sein Ziel also gar nicht. Aber er prallt am Apfel ab und bleibt vor der Stirn in der Luft hängen. Noch mal! Und Schuss! Beim zweiten Mal bleibt er auf halber Strecke stecken. Noch mal! Und Schuss! Schließlich senkt sich ein großes rosafarbenes Tuch mit zwei Augen darauf über die Szene. Es wird dunkel, Licht flackert, aus den Boxen dröhnt ein Sound, als ob ein Hubschrauber über der Halle hin und her fliegt.

Es ist das letzte Spiel der rund einstündigen Performance „Funny Games“, in der sich Skart & MOTU gemeinsam mit dem inklusiven Kollektiv Meine Damen und Herren zum zweiten Mal mit dem gemeinsamen Spielen beschäftigen. Mit dem gleichnamigen Filmexperiment von Michael Haneke über ein brutales Spiel um Leben und Tod, hat das Stück dabei tatsächlich eines gemeinsam: Während es im Vorgänger „Spielen #1“ um die Freiheit ging, nicht alles zu tun, was man muss – und es auch nicht unbedingt können zu müssen -, sind es diesmal die unangenehmen Seiten des Spielens: wenn zu viel gespielt wird, zu lang oder zu rücksichtlos. Wenn es an die Gewalt rührt.

Auch diesmal gibt es keine Geschichte und keinerlei ausdrückliche Moral. Es sind kleine Szenen und absurde Bilder von Spielritualen, die die Per­for­me­r:in­nen in bunt-trashigen Kostümen aus Textilien, Schaumstoff oder Luftballons ausprobieren.

Hin und her

Eine riesige Schaukel steht dafür im Hintergrund der Bühne. Durchgeschnittene Stühle und Absperrgitter liegen am Boden, als steckten sie in ihm. Daneben ragen antike Säulen schief aus dem Boden, dahinter so etwas wie ein Höhleneingang, ebenfalls aus Stühlen. Am rechten Rand stehen Mikrowellen. Beim Vorgänger sah die Bühne aus wie ein aus den Fugen geratener Spielplatz. Diesmal ist es eher eine Ruine.

Aus am Boden verteilten Paketen schälen sich am Anfang des Stückes die Per­for­me­r:in­nen und beginnen, mit ihren merkwürdigen Kostümen ungelenk erst mal zu lernen, wie sie sich fortbewegen können. Einer von ihnen in einem glänzenden schwarzen Anzug mit schwarzem Motorradhelm klettert auf die linke Seite der Schaukel, die anderen versammeln sich am anderen Ende. Als auch dort ein Mädchen in einem voluminösen weißen Kleid auf der Schaukel sitzt, bringt der Rest mit Seilen die Schaukel in Betrieb. Hoch und runter geht es -- bis die Bühne dunkel wird und auch hier das brummende Flackern beginnt.

In einer anderen Szene liegt eine Person unbekleidet auf einer Bahre. Reihum sprechen die Per­for­me­r:in­nen ein paar Sätze und waschen, bemalen oder bestreuen den Körper. Station um Station wird er dabei näher an den Stuhl-Eingang gezogen, der sich nun als Krematorium entpuppt. Unter lautem Knistern und flackernden Licht verschwindet er schließlich darin.

Eine weitere Szene wirkt wie ein Spiel an den Grenzen zur Gewalt: Ein Karton, der von der Decke fällt, wird erst mit Gesängen im Kreis umtanzt, schließlich mit Stöcken gepiekst und wie eine Pinata auf einem aus den Fugen geratenen Kindergeburtstag zerprügelt. Die Reste werden zerrissen.

Unfertig fertig

Was das alles zu bedeuten hat? Wer weiß es schon genau? Viel wichtiger als das Produkt, das merkt man dem Abend immer wieder an, war das gemeinsame Produzieren. Trotz aller Altersunterschiede und Machtgefälle sollen alle gleichberechtigt und dabei professionell zusammenarbeiten, so der ausdrücklich antipädagogische Anspruch: ein emanzipiertes, gemeinsames Lernen. Und die Theaterformen, die dabei entstehen, sollen ebenfalls ganz ausdrücklich unfertig und allen zugänglich sein.

Weil all die wunderbar unterschiedlichen Per­for­me­r:in­nen sichtlich mit großer Hingabe, Präzision und Ernsthaftigkeit dabei sind und die Bilder, die dabei herauskommen, faszinierend anzusehen sind, funktioniert dieser düstere Spielereigen ganz wunderbar.

Funny Games

nächste Aufführungen: Do/Fr/Sa, 2./3./4.5., 19 Uhr, Kampnagel, Hamburg

Nicht zuletzt, weil man für so ein Spiel mit unfertigen Formen auch im Publikum gar nichts darüber wissen muss, wie das sonst so sein soll und muss im Theater, angeblich. Denn am Ende ist es wie am Anfang, auf der dunklen Bühne liegen alle Per­for­me­r:in­nen wieder wie Pakete. Auf dass sie sich immer wieder auf ein Neues auspacken können und das Theater wieder auf eines Neues beginnt, ganz am Anfang.

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