Die Heckenretter

Die Pflege der Wallhecken in Schleswig-Holstein zählt zum Unesco-Kulturerbe. Sie macht richtig Arbeit. Weil sie der Natur gut tun, helfen Freiwillige bei diesen Knicks

Aus Lentföhrden Leah Süss (Text und Fotos)

Alexandra Werdes stapft über Maulwurfshügel und lässt ihren Blick über das Feld schweifen. An dessen Rand stehen in Faserpelz gekleidete Fünfergruppen mit Schubkarren, Spaten und Hacken. Abwechselnd laufen sie zur Mitte des Feldes und bücken sich über herumliegendes Gebüsch. Da türmen sich entwurzelte Wildsträucher. Schlehdorn, Kornelkirschen und Holzapfel. Windräder am Horizont, am Rand Kühe und Wald. „Alex, sollen wir alles hier lassen?“, fragt eine Frau. „Nein, lasst die vier hier liegen“, sagt Werdes mit entsprechendem Fingerzeig.

Werdes ist an dem Samstag Mitte März in Lentföhrden, einem Dorf nördlich von Hamburg, um neue Sträucher in eine Naturhecke zu pflanzen. Die 48-jährige Hamburgerin hat 30 Freiwillige für ihren Verein „Heckenretter“ mobilisiert. Ihr Ziel: Landwirte sollen die traditionellen Wallhecken aus dichten Büschen und Bäumen wieder schätzen lernen. Die sogenannten Knicks bieten Insekten und Kleintieren ein Zuhause, speichern CO2 und schützen die Felder vor Wind und Trockenheit. In einem mehrere Meter breiten Knick können rund 7.000 Tierarten leben.

In Schleswig-Holstein erstrecken sich Knicks über mindestens 45.000 Kilometer. Sie entstanden Ende des 18. Jahrhunderts aufgrund eines Gesetzes, das zuvor gemeinschaftlich bewirtschaftete Ackerflächen an einzelne Bauern verteilte. Für diese dienten die Hecken als „lebende Zäune“. Sie schützten das Land vor Winderosion, Wildtieren und Vieh. Dafür pflanzten die Landwirte lokale Sträucher wie Hasel und schützende Dornenbüsche wie Schlehdorn an. Damit die Knicks schneller wuchsen, wurden ihre Zweige an den Rändern regelmäßig geknipst und geknickt. So kamen die Hecken zu ihrem Namen. Seit 2010 sind die Wallhecken in Deutschland gesetzlich geschützt. Deren jahrhundertealte Pflege mit dem Knicken wurde 2023 zum immateriellen Unesco-Kulturerbe erklärt.

Eine Sirene ertönt aus dem Dorf. „12 Uhr – halbe Stunde noch“, sagt Klara Dreher, die Gärtnerin des Betriebs, zu dem das Feld gehört. Sie unterstützt Werdes heute bei der Nachpflanzung des Knicks. Die beiden Frauen schnüren Planen und heben einen Wasserkanister auf einen Radlader. Dann ruckeln sie über das Feld, gefolgt von Drehers Hund Frida.

Damit die Knicks schneller wuchsen, wurden ihre Zweige an den Rändern regelmäßig geknipst und geknickt. So kamen die Hecken zu ihrem Namen

In den vergangenen Jahrzehnten verloren die Knicks an Bedeutung und wurden oft abgeholzt. Große Landmaschinen können durch sie weniger gut wenden und sie beschränken die Erntefläche. Heute setzen einige Landwirte wieder neue Knicks, denn einzelne Unternehmen finanzieren die Hecken als CO2-Kompensation. Die Bauern nutzen die Knicks als natürlichen Bodenschutz.

Der „Heckenretter“-Verein erntet bei einigen bestehenden Hecken die Früchte – aus den Beeren kocht er Punsch und Konfitüre. Der Verein finanziert sich durch Spenden und Stiftungsgelder.

Seit 9.30 Uhr buddeln die Helferinnen und Helfer Löcher, knipsen Zweige und holen immer wieder Nachschub an Sträuchern. Die Finger sind klamm vom Wind, die Nase läuft. Trotzdem machen sie ihre Aufgabe gerne: sie genießen die Gemeinschaft und das Arbeiten an der frischen Luft.

Arbeit an den Wallhecken, den Knicks

Auch Werdes ist zufrieden: Ein Knick ist geschafft und muss nur noch bewässert werden. Zudem wurde ihre Idee umgesetzt: Die „Heckenretter“ haben Schafwolle über die jungen Sträucher gestülpt und sie mit Schaffett besprüht. Dies soll Rehböcke fernhalten. Die Wallhecke sieht aus, als ob sich eine Schafherde daran gerieben hätte. Werdes pfeift einmal laut auf den Fingern und winkt der Gruppe am Ende des Feldes zu. „Gut. Middach!“

Das Feld, auf dem die zwei Knicks stehen, gehört der Familie Möller. Diese betreibt seit 2000 Ökolandbau, sie nutzt etwa ausschließlich natürlichen Dünger. In den Nullerjahren galten sie deswegen als Pioniere. Aber: Wirtschaftlich ging das Konzept nicht auf und die Familie musste Kredite aufnehmen.

Heute ist Bio zwar im Mainstream angekommen, der Hof ist aber noch immer von Subventionen sowie von der Vermietung von hofeigenen Wohnungen abhängig. Die Kosten für die regelmäßige Pflege des Knicks, also für die Sträucher und das Material, trägt der Betreiber des Windparks in Lentföhrden, um die Fläche des Windparks auszugleichen.

Die Heckenretter helfen, Alexandra Werdes (rechts) zeigt, wie es geht

Die Hofbesitzerin Anette Möller bringt den Helferinnen und Helfern an diesem Samstag Gemüsesuppe. Auch Joghurt der eigenen Molkerei sowie Äpfel und frischgebackener Karottenkuchen stehen bereit. Die Freiwilligen plaudern an einer Festbank, die Sonne bricht durch die Wolken. Ein Junge streichelt Frida, die entspannt auf der Wiese liegt und an einem Stock nagt.

Für viele der „Heckenretter“ sind diese Momente mindestens so wichtig wie die Nähe zur Natur. „Ich komme vor allem für den Austausch mit Gleichgesinnten“, sagt Michael Nienaber mit dem leeren Teller in der Hand. Der 56-Jährige ist Erziehungswissenschaftler in Plön, einem Landkreis in Schleswig-Holstein. Für den Vereinstag ist er eine Stunde hergefahren. Heinz Brossolat, ein 62-jähriger Aktivist aus Hamburg, der heute mit Nienaber Kornelkirschen pflanzt, stimmt zu: „Das Schönste ist, wenn wir am Schluss alle zusammen selbstgemachten Punsch trinken.“ Die Gruppe arbeitet bis 15.30 Uhr, dann sind beide Seiten des Feldes geschafft.

Die „Heckenretter“ wollen noch mehr Landwirte für Knicks begeistern. Helferin Tanja Rieber will derweil weiterhin zum Heckenpflanzen kommen. Für die 55-Jährige war das erste Mal auf dem Knick vor zwei Jahren ein „fast spirituelles“ Erlebnis: „Gerade war der Krieg in der Ukraine ausgebrochen und alle standen unter Schock. Und dann waren wir auf dem Feld und ich hab’ den ganzen Tag nicht daran gedacht. Das war so befreiend!“