NS-Dokuzentrum München: Ein paar Zentimeter Holz
Im NS-Dokuzentrum München folgt eine Ausstellung rechten Gewalttaten seit 1945. Angehörige von Ermordeten gerieten dabei oft ins Visier der Ermittler.
„Das bisschen Totschlag bringt uns nicht gleich um“, texteten die Goldenen Zitronen im Jahr 1994, infolge der rechtsextremen Mordanschläge von Hoyerswerda, Rostock und Mölln und prangerten darin eine bundesdeutsche Kultur des Wegsehens, Verschweigens und systematischen Kleinredens rechten Terrors an. Der Song der Hamburger Punkgruppe ist nun als Teil der Münchner Sonderausstellung „Rechtsterrorismus – Verschwörung und Selbstermächtigung 1945 bis heute“ im NS-Dokumentationszentrum München zu hören.
Wie die Statistik zur politisch motivierten Gewalt ausweist, könnte der Anlass der Schau aktueller und dringlicher nicht sein. Laut vorläufiger Zahlen des Bundesinnenministeriums zählte die Polizei im vergangenen Jahr bundesweit 28.945 rechtsextreme Delikte. 2022 waren es noch 23.493 solcher Taten. Eingegraben in das Münchner Stadtgedächtnis haben sich besonders die rechtsterroristischen Anschläge von 1980 auf dem Oktoberfest und 2016 am und im Olympia-Einkaufszentrum.
Die Landeshauptstadt war aber ebenso Schauplatz zweier Tötungsdelikte der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Lebensmittel-Geschäftsinhaber Habil Kılıç und der Gewerbetreibende Theodoros Boulgarides waren in den Jahren 2001 und 2005 Opfer der heimtückischen Mörderbande.
Ihr Andenken – sowie das vieler bundesweiter Anschlagsopfer – stellt die vom Memorium Nürnberger Prozesse entwickelte Ausstellung, die bis Ende Juli in den Räumlichkeiten des NS-Dokumentationszentrums zu sehen sein wird, in den Vordergrund. „Perspektivwechsel“ heißt der Dokumentationszentrumsdirektorin Mirjam Zadoff zufolge ein leitender Gesichtspunkt der Schau.
Opferfamilien zu Täterverdächtigen gemacht
Die Sicht Betroffener soll nach Jahren gesellschaftlicher Versäumnisse, Gleichgültigkeit und – besonders perfide – der falschen behördlichen Verdächtigung, Geltung erlangen. Viele der Opferfamilien wurden in der Folge der rassistisch motivierten NSU-Taten selbst zu Tatverdächtigen. Medienberichte und Behördenkommunikation insinuierten eine „Milieu-Kriminalität“, wo es keine gab.
In welcher historischen Kontinuität solche Taten wie die des NSU und der jüngsten Zeit, wie des Attentats von Hanau, stehen, zeigt die von den Kuratoren Steffen Liebscher und Rebecca Weiß ersonnene multimediale Ausstellung höchst eindrücklich. „Anerkennen, Aufklären, Verändern“ lautet der dreiteilige Imperativ, der als Schriftzug der Ausstellung vorangestellt ist.
In vier Kapiteln und mehr als 20 nationalen wie internationalen Fällen behandelt die Dokumentation rechtsterroristische Gewalttaten zwischen 1945 und heute. Die ungebrochene Kontinuität des rechten Terrors weisen die Ausstellungsmacher unter anderem anhand des Sprengstoffattentats der terroristischen Vereinigung „Odessa“ auf die Nürnberger Prozesse 1946, des Doppelmordes von Erlangen an dem deutschen Rabbiner Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin Frida Poeschke im Jahr 1980 sowie der Tat von Hanau mit ihren neun Mordopfern im Jahr 2020 nach.
Zahlreiche Bild- und Schriftdokumente belegen die Tathergänge, beleuchten aber auch mediale Darstellung und öffentliche Rezeption der Fälle.
Die Tür der Synagoge von Halle
Der Türrahmen des Synagogen-Eingangs von Halle hielt im Jahr 2019 dem Sprengsatz und dem Beschuss des Attentäters stand und verhinderte den geplanten Massenmord in der Synagoge. Für die Rechtsterror-Schau wurde der originale Türrahmen an den Münchner Ausstellungsort verbracht. Wie ein paar Zentimeter Holz allein einem noch weit schlimmeren Tatausgang im Wege standen, davon lässt das NS-Dokuzentrum so ein eindrückliches Bild entstehen.
„Rechtsterrorismus. Verschwörung und Selbstermächtigung – 1945 bis heute“. NS-Dokumentationszentrum München, bis 28. Juli 2024
Auch das Massaker von Utøya und der Mordanschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch finden Eingang in die thematisch überaus dichte Zusammenstellung. In den kommenden Wochen wird die Sonderausstellung von einem Diskursprogramm am Haus begleitet, das mit dem Vortrag und der Diskussion der Forschungsergebnisse von Historikerin Barbara Manthe letzte Woche seinen Anfang nahm.
Die Forscherin der Uni Bielefeld konzentriert sich auf die Nachkriegsjahre bis 1990. Laut der ehemaligen Referentin für den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum NSU ist die rechtsradikale Gewalt im gesellschaftlichen Maßstab bis heute nicht bewältigt sowie als geschichtswissenschaftlicher Gegenstand unterforscht. Ihr Befund, im Hinblick auf die Kriminalisierung von Angehörigen des NSU-Terrors: ein „in negativer Weise außergewöhnlicher“ Vorgang, dessen Debatte über angebliche Verstrickungen Jahre anhielt.
Manthe zeigte in ihrem Vortrag mitunter auch, wie zivilgesellschaftliche Gruppen Marginalisierter zunehmend um gesellschaftliche Teilnahme rangen, mit dem Ergebnis, dass „die Stimmen der Angehörigen heute viel präsenter sind“.
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