Finanzskandal Cum-Ex: Chefermittlerin wirft hin
Der Cum-Ex-Betrug gilt als größter Steuerskandal der Republik. Nun wechselt die Chefermittlerin Brorhilker zur Nichtregierungsorganisation Finanzwende.
KÖLN dpa/rtr/taz | Die Cum-Ex-Chefermittlerin Anne Brorhilker wirft das Handtuch – und wird überraschenderweise Geschäftsführerin der Organisation Finanzwende, teilte die Nichtregierungsorganisation mit. Brorhilker habe zum 31. Mai um Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, sagte am Montag ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln. Ein entsprechendes Schreiben sei am Vormittag eingegangen.
Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick sagte, der Wechsel sei „eine Kampfansage an Finanzkriminelle und ihre Unterstützer“. Brorhilkers Entscheidung müsse „ein Weckruf sein, die Verfolgung von Finanzkriminalität endlich zur politischen Priorität in Deutschland zu machen“. Die Organisation setzt sich nach eigenen Worten für „faire, stabile und nachhaltige Finanzmärkte ein“. Diese hätten sich an vielen Stellen von der wirtschaftlichen Realität abgekoppelt – und müssten „wieder den Menschen dienen“. Brorhilker werde Mitglied der künftig vierköpfigen Finanzwende-Geschäftsführung um Gründer Schick und übernehme die Leitung des Bereichs Finanzkriminalität.
Brorhilker habe um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Köln am Montag auf dpa-Anfrage. Die Oberstaatsanwältin nahm eine zentrale Rolle bei der Verfolgung von Cum-Ex-Steuerbetrügern ein.
Dem WDR sagte Brorhilker: „Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird.“
Die Politik habe elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-Ex-Fälle noch immer nicht hinreichend reagiert. Steuerdiebstähle seien längst nicht gestoppt, es gebe Cum-Ex-Nachfolgemodelle. Grund seien fehlende Kontrollen, was bei Banken und auf den Aktienmärkten geschehe.
In rund 120 Cum-Ex-Ermittlungsverfahren wurde in Köln unter Brorhilkers Führung gegen 1.700 Beschuldigte ermittelt. Durch den Cum-Ex-Betrug, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Der Cum-Ex-Betrug gilt als größter Steuerskandal der Bundesrepublik.
Bei den Steuerdeals wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenansprüche in kurzer Zeit zwischen Finanzakteuren hin- und hergeschoben. Bei dem Verwirrspiel erstattete der Fiskus unwissentlich Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Erst mit einer zum Januar 2012 greifenden Gesetzesänderung wurde den Deals ein Riegel vorgeschoben.
Leser*innenkommentare
Matt Gekachelt
Scheinheilig, typisch Union. Blockade der Aufklärung, typisch Ampel.
Machterhalt um jeden Preis. Typisch Mensch. Erst kommt das Fressen, dann die Moral. In Diktaturen wird das Fressen sogar noch per Gesetz zu Moral erklärt. Das ist dann die Endstufe menschlicher Abgründe. Dann schlagen auf den Boden der Tatsachen auf.
Monomi
Ich fürchte, das Ergebnis wird angesichts von 11 Jahren absichtsvoller Untätigkeit der Politik sein, das der NRW Justizminister jetzt genau die Leute ins Verfahren einbringt, die die cum ex Fälle der Freunde von CDU und FDP stillschweigend beerdigen. Durch günstigen Vergleich oder Einstellung.
Tino Winkler
Unser Finanzminister ist bei den vielen Superreichen Steuersparern und offenbar Cum-Ex Bankern untätig, seine Partei verdient nur noch 4%, egal wo.
Fritz Lang
So läuft das: Der Staatsanwältin werden solange Knüppel zwischen die Beine geworfen bis sie geht, der zuständige Landesminister denkt dabei wahrscheinlich noch er tut was gutes für den Wirtschaftsstandort Deutschland, und der Herr Bundeskanzler kann sich lachend einfach nicht erinnern. Und das nicht in Ungarn, der Türkei oder Polen ...
Goldi
Bemerkenswerter Schritt. Anerkennung und Respekt für so viel Mut und Entschlossenheit. Top!
Möge die breit angelegte Ausplünderung von Staat, Volk und Planet durch kriminelle Superreiche und ihre Bankster-Lakaien möglichst schnell enden.
Lowandorder
Danke im Nachhinein. Chapeau & masel tov für die Zukunft.
Stefan Grötzschel
Mal sehen, ob diese Nachricht überhaupt nachhaltig wahrgenommen und diskutiert wird (außerhalb des linken Spektrums). Ich befürchte nicht...
Die Hinweise auf der Webseite von Finanzwende, dass die Staatsanwaltschaften in HH und BW untätig sind, brechen sich ja medial leider auch nicht Bahn.
Wunderwelt
"Aus Frust über die Untätigkeit der Politik hat die Chefermittlerin im Cum-Ex-Skandal um ihre Entlassung gebeten. Auch ihr Beamtenverhältnis will die 50-jährige Juristin beenden. Die Oberstaatsanwältin sagte dem WDR, Finanzkriminalität werde in Deutschland immer noch nicht konsequent bekämpft. Elf Jahre nach Cum-Ex gebe es weiter keine Kontrollen bei Banken und Aktienhändlern. Wer reich sei und Kontakte habe, käme fast immer straffrei davon". (Quelle: NDR Info)
..und nun Frage ich Sie Hr. Lindner:
Warum arbeiten sie sich an den angeblich so faulen Arbeitslosen ab (es gab im letzten Jahr ca 16 tausend Mißbrauchsfälle).? Fordern harte Maßnahmen und Einschnitte unterhalb des Existenzminimums.... Wie groß ist der entstandene Schaden.? Und wie steht der im Verhältnis zu den 12 Milliarden Schaden der durch mangelnde Aufsicht der Finanzakteure entsteht.?
Von Ihnen als Finanzminister erwarte ich, dass sie effektiv im Sinne des Gemeinwohls tätig sind.
Machen Sie also bitte ihre Arbeit.!
( und wie sagte Fr. Bosetti so schön: " in meinen Augen sind die wirklich "Sozial Schwachen" die Rücksichtslosen Reichen"..)
Perkele
@Wunderwelt Das unterschreibe ich sofort. Danke für diesen Kommentar.