„Gegen den Strom eines korrupten Systems“

In Mexiko vernichteten die Entführer der Investigativjournalistin Teresa Montaño gezielt deren Rechercheergebnisse. Sie überlebte und begann mit ihrer später preisgekrönten Arbeit von vorn

Die Journalistin Marìa Teresa Montaño Delgado schaut sich im Mai 2022 einen Artikel in ihrem Computer an Foto: Ginnette Riquelme/Guardian/eyevine/laif

Interview Sandra Rosas

taz Panter Stiftung: Was sind die Themen Ihrer journalistischen Arbeit, Frau Montaño?

Teresa Montaño: Ich habe mich auf Korruption und Frauenmorde im Bundesstaat Mexiko spezialisiert. Die Edomex genannte Region um Mexikos Hauptstadt ist das Zentrum der Femizide im Land. Auch schreibe ich über Menschenrechtsthemen. In Edomex werden absichtlich „Schuldige“ fabriziert, um den Anschein zu erwecken, es gebe Erfolge im Kampf gegen die Unsicherheit.

Was war Ziel Ihrer Recherchen?

Wie jeder ehrliche Journalist suchte ich die Wahrheit. Als ich begann, wusste ich nicht, was herauskommen würde. Es gibt Dinge, die entdeckt man erst bei der Recherche, etwa weil einem etwas verdächtig erscheint. Als ich die Adresse einer ersten Vertragsfirma der Regierung aufsuchte, merkte ich, dass die Firma gar nicht existiert. Die Partei der Institutionellen Revolution (PRI) regiert den Bundesstaat Mexiko seit Jahrzehnten und hatte eigene Scheinfirmen gegründet.

Bei Ihrer Entführung wurden Ihre Rechercheergebnisse gestohlen. Was hatten Sie herausgefunden?

Mir war seltsam vorgekommen, dass die Regierung des Bundesstaates Mexiko Produkte und Dienstleistungen, die auch im eigenen Bundesstaat erhältlich sind, weit entfernt einkaufte. Das Tal von Mexiko und Mexiko-Stadt sind ein großes Wirtschaftszentrum, wo doch andere Bundesstaaten einkaufen und nicht wir bei ihnen. Ende Dezember 2020 stieß ich auf die ersten Käufe: Seltsame Dinge wie Make-up, Nagellack, Lippenstifte, welche die Edomex-Regierung im nordmexikanischen Monterrey kaufen wollte. Einer der ersten merkwürdigen Käufe, deren Verträge ich einsehen konnte, waren dubiose Beratungsleistungen, die Firmen im Bundesstaat Veracruz betrafen. Zum Zeitpunkt meiner Entführung war mir noch nicht klar, was Scheinfirmen sind. Als ich im Januar 2022 wieder nach Mexiko zurückkehrte, prüfte ich als Erstes, ob diese Firmen überhaupt existieren. Zu meiner Überraschung habe ich sie unter ihrer genannten Adresse nicht gefunden. Ich fand nur baufällige Gebäude. Dabei wurden dort angeblich für Milliarden Peso Bleistifte, Nagellack und anderer Schnickschnack gekauft. Da wusste ich, dass es Geisterfirmen waren.

Was passierte nach der Entführung?

Bei der Entführung wurde mein Recherche- und Arbeitsmaterial gestohlen. Ich war sehr geschockt und konnte zunächst nur an mein Überleben denken. Ich hatte zuvor schon eine Zusage von Reporter ohne Grenzen gehabt, Mexiko mit einem Stipendium zu verlassen, weil ich Gewalt und Drohungen ausgesetzt war. Staatliche Agenten hatten mich bespitzelt und folgten mir überall hin. Als ich das merkte, bekam ich richtig Angst. Ich war gerade bei der Zeitung Heraldo de México entlassen worden, weil ich immer weiter recherchierte. Ich forderte Auskünfte von der Regierung. Die Regierung des Bundesstaates Mexiko beschwerte sich bei meiner Zeitung und dort fragten sie mich, was ich da eigentlich mache. Mir wurde verboten, weiter Nachforschungen anzustellen! Doch ich fand Mittel und Wege, um weiter Fragen zu stellen. Ich war der Ansicht, dass es mein Recht war. Ich wurde wegen meiner Recherchen entführt. Nach dem Diebstahl meiner Ermittlungen verging zunächst viel Zeit. Ich war lange in Spanien und nahm langsam den Faden wieder auf. Mit den wenigen Informationen, an die ich mich erinnern konnte, fing ich von vorn an. Ich hatte fast nichts mitnehmen können. Meine Ausrüstung, Notizbücher und Dokumente waren ja gestohlen worden. Ich habe ein schlechtes Gedächtnis und musste immer alles aufschreiben.

Wohin soll man gehen, wenn das eigene Land einen zum Schweigen bringen will?

Man kann nirgendwo hingehen, ich ziehe ständig von Ort zu Ort. Meine Entführung wurde nie aufgeklärt, es wurde nie jemand festgenommen. Die Entführer haben mir selbst gesagt, dass sie mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten. Ich glaube das, denn es gab kein Interesse, den Fall aufzuklären. Die Entführer bedrohten mich mit dem Tod, ich sollte absolut sicher sein, dass sie mich holen würden. Deshalb ziehe ich ständig um. Man kann leider nirgendwo hingehen.

Wie ist es Ihnen gelungen, aus dieser Gewalt herauszukommen?

Nach meiner Entführung dauerte es etwa zwei Wochen, bis ich wieder Kontakt mit Reporter ohne Grenzen aufnehmen konnte. Denn mit meinem Telefon waren ja auch meine Kontaktnummern gestohlen worden! Das mir von Reporter ohne Grenzen angebotene Stipendium ist eine Art Asyl, um sicher und vorübergehend auszureisen. Praktisch alle Journalisten, denen Reporter ohne Grenzen hilft, sind quasi Asylbewerber. Ich war drei Monate weg, und jetzt bin ich mithilfe von Protect Defenders zurück. Reporter ohne Grenzen hat mir gut geholfen. Sie haben mir eine Therapie angeboten. Ich war in Spanien noch unter Schock stehend angekommen. Es war sehr schwer für mich, zu funktionieren. Ich hatte Mexiko fluchtartig verlassen und meine zwei Kinder zurücklassen müssen. Es war sehr schmerzhaft. Ich habe ständig geweint, nichts verstanden und war auch noch arbeitslos. Da unterstützte mich die Zeitschrift Proceso. Sie haben Artikel von mir veröffentlicht und waren sehr nett. Ich hatte großes Glück, die Entführung zu überleben, aber die Auswirkungen auf mein Leben waren schrecklich. Ich musste Mexiko verlassen, obwohl ich nichts Falsches getan hatte. Ich weiß nicht, was aus mir ohne diese Unterstützung geworden wäre. Die Drohung dieser Typen, mich zu töten, wäre wohl schneller wahr geworden, als ich denken konnte.

Sie wurden mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Was bedeuten diese für Sie und Ihre journalistische Arbeit?

Ich habe im November 2023 den Preis der Pressefreiheit vom Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) bekommen. Zuvor wurde mir der Preis für Courage im Journalismus verliehen. Beides hat große Bedeutung für mich, weil ich in Mexiko immer gegen die Unsichtbarmachung meiner Arbeit gekämpft habe. Es war für mich ein Kampf gegen das System. Die Auszeichnungen rechtfertigen meine journalistische Arbeit und meinen jahrelangen Kampf. Nach und nach wurde ich hier im Bundesstaat Mexiko zu einer seltenen Erscheinung, zu einer der wenigen Journalisten, die versuchten, Korruption sichtbar zu machen. Die Auszeichnungen sind für mich wie die Erfüllung eines Traums, dass jemand meine Arbeit wertschätzt. Es bestätigt meine Arbeit und die anderer Frauen in Mexiko, die investigative Projekte vorantreiben, wie den von mir geleiteten The Observer. Es ist das einzige lokale Medium, in dem wir in der Lage sind, unabhängig Fakten zu überprüfen und investigativ zu arbeiten. Ich habe um internationale Unterstützung geworben und das Medium hat mit harter Arbeit und mit viel Leidenschaft überlebt.

Wie ist es, unter ständiger Bedrohung zu arbeiten?

Das bedeutet, in Angst zu leben. In Mexiko werden Opfer, die überlebt haben, wie auch die Getöteten, stigmatisiert und verleumdet. Und als Journalistin, die eine so schreckliche Gewalttat wie eine Entführung erlebt hat, kann man sich dem nicht entziehen. Viele Kollegen reden nicht mehr mit mir. Das ist ein weiterer Punkt, der dich belastet und dich einsam macht. In Mexiko werden die Opfer erneut zu Opfern, „weil sie es verdient haben“, „weil sie nicht vorbereitet waren“, „weil sie Teil des organisierten Verbrechens sind“ … So werden Opfer beschuldigt und stigmatisiert. Das habe ich auch erlebt. Damit zu leben ist schwer. Sie isolieren dich, sie schauen auf dich herab. Deshalb waren die beiden Auszeichnungen als eine Art Kampf gegen diese Stigmata wichtig, als andere mit der Korruption der Medien mitmachten und ich immer gegen diesen Strom geschwommen bin. Das war das Schwierigste, gegen ein korruptes System anzuschwimmen, das darauf zielt, Journalisten zu korrumpieren.

Sie haben in einem Interview gesagt, Sie seien „der einzige lebende Journalist“. Wie fühlt sich das an?

Fast alle Journalisten, die in Mexiko Gewalt erlitten haben, überleben nicht. Ich hatte großes Glück. Als ich entführt wurde, wusste ich, dass man mich jeden Moment verschwinden lassen könnte, aber die Entführer taten es nicht. Die Entführung hatte schon Stunden gedauert. Der Chef der Entführer war müde und es war schon spät in der Nacht. Wäre es nicht so gewesen, weiß ich nicht, was mit mir passiert wäre. Ich glaube, man hätte mich verschwinden lassen …

Wie ist Ihre jetzige Situation?

Ich bin immer noch bedroht. Die einzige Unterstützung, die ich noch habe, ist der Föderale Unterstützungsmechanismus für Journalisten. Ich lebe fast die ganze Zeit unter Schutz. Wenn ich ausgehen muss, habe ich Begleiter, die der Mechanismus zur Verfügung stellt. Ich gebe Bescheid und sie begleiten mich.

Teresa Montaño

berichtet als mexikanische Journalistin seit mehr als 30 Jahren über Korruption im Bundesstaat Mexiko (Edomex). Nach ihrer Entlassung beim Heraldo de México gründete sie im Februar 2020 das Investigativportal The Observer. Im August 2021 wurde sie entführt.

Wie leben Sie als Frau und Journalistin diese beiden Rollen in einem Land, das Frauen und Journalisten gegenüber so feindlich ist?

Ich lebe mit Angst, aber auch mit Würde. Ich lebe in einem Land, in dem Journalisten bedroht und korrumpiert werden. Das ist die Wahrheit. Ich habe Mitleid mit ihnen. Einmal versuchte eine Abgeordnete der regierenden Partei Morena, mich zu bestechen. Ich habe ihr gesagt, sie denke wohl, alle Journalisten hätten einen Preis, aber sie irre sich.

Die Interviewerin ist eine mexikanische Autorin und lebt seit 2014 in Berlin

Rangliste der Pressefreiheit:

Platz 121