Rekordjagd von Bayer Leverkusen: In der Extrazeit
46 Pflichtspiele ohne Niederlage: Meister Bayer Leverkusen setzt seinen Lauf auch gegen den Stuttgart fort – mit einem 2:2 in letzter Minute.
Der Moment, in dem der gelebte Wahnsinn um ihn herum in die nächste Runde ging, entlockte Xabi Alonso eine geradezu rührende Reaktion. Links und rechts von ihm hüpften, rannten und sprangen Leverkusener Spieler, Betreuer und Offizielle wie von Sinnen über den Rasen, weil es tatsächlich schon wieder passiert war: Ein Treffer tief in der Nachspielzeit, diesmal zum 2:2 gegen Stuttgart, der das moderne Fußballmärchen von der Unbesiegbarkeit des deutschen Meisters weiter fortschrieb.
Und was machte Alonso, der Chefdompteur dieses unglaublichen Ensembles? Legte eine elegante Drehung ein, den Blick weg von den jubelnden Kickern. Dann lächelte er etwas ungläubig und rieb sich mit beiden Händen kurz über den Hinterkopf.
Verlegen wie ein Teenager bei seinem ersten Date wirkte der 42-Jährige da – und später kramte er ein wenig in seinen Erinnerungen. Einen WM- und zwei EM-Titel gewann er mit Spanien, triumphierte mit Real Madrid und Liverpool in der Champions League. Und nun, in seiner ersten kompletten Saison als Coach der Werkself, die nicht nur drauf und dran ist, neben der Meisterschaft noch zwei weitere Trophäen an die Dhünn zu holen, sondern das Ganze Woche für Woche auch noch mit reichlich Drama und Emotionen würzt? „Es gibt keine Erklärung dafür, warum so etwas im Fußball passiert“, hob Alonso nur staunend die Schultern. Und: „Ich habe so etwas noch nicht so oft erlebt.“
So etwas – das sind nach dem Remis gegen den VfB mittlerweile 46 Pflichtspiele hintereinander ohne Niederlage, ein einmaliger Wert in Europas Top-Ligen. Vor allem aber sind es die Treffer in der Extrazeit, die seine Mannschaft wie am Fließband liefert. Allein seit sich die Leverkusener vor zwei Wochen die nationale Krone aufgesetzt haben, glichen sie in jeder der drei nachfolgenden Partien spät aus: Beim 1:1 bei West Ham United im Viertelfinale der Europa League nach 89 Minuten. Dann vor einer Woche in Dortmund und nun gegen die Schwaben auf den allerletzten Drücker.
„Viele Spezialmomente“
Übergreifend kommen die Rheinländer inzwischen auf 16 Tore in der Nachspielzeit. „Wir haben viele Spezialmomente in den letzten Minuten. Letzte Woche in Dortmund war der Moment ein bisschen emotional. Aber heute konnte ich es nicht glauben, dass wir es wieder geschafft haben“, sagte Xabi Alonso. Natürlich ist es längst das Ziel der Leverkusener, neben dem möglichen Triple auch noch als erster Bundesligist in die Annalen einzugehen, der es ungeschlagen durch eine ganze Saison geschafft hat.
Die Stuttgarter mit ihrem klugen und ambitionierten Trainer Sebastian Hoeneß lieferten Alonsos Team in dieser Saison bereits zwei Mal heroische Duelle: Beim Hinspiel-1:1 in der Liga im Dezember – und beim 2:3 im Pokal-Viertelfinale im März, als Bayer, nach zweimaliger VfB-Führung, ebenfalls erst ganz am Schluss zum Sieg traf.
Diesmal lagen die Süddeutschen nach einer taktischen geprägten, torlosen ersten Halbzeit im zweiten Abschnitt durch Chris Führich und Deniz Undav sogar 2:0 vorne. Und hätte ihr Starstürmer Serhou Guirassy auch nur eine seiner vier Großchancen genutzt, hätten Amine Adli und Andrich die Gastgeber in einem „sehr verrückten“ (Alonso) zweiten Durchgang wohl kaum mehr auf pari gebracht.
Für multiplen Stuttgarter Ärger sorgte die Vorgeschichte zu Andrichs Last-Minute-Ausgleich: Zunächst hatte der frisch eingewechselte Pascal Stenzel mit einem eher sanften, aber eben auch ungeschickten Foul an Adli einen Freistoß verursacht. Als der dann vor das Tor gesegelt war, drückte erst Bayer-Angreifer Victor Boniface seinen Gegenspieler Anthony Rouault von hinten weg und dann sprang der Ball, ehe er vor Andrichs Füßen landete, noch an die – angelegte – Hand von Leverkusens Innenverteidiger Piero Hincapie.
Den Schiedsrichter-Frust von VfB-Coach Hoeneß wischte Torschütze Andrich später dezent mit dem Hinweis auf die Last-Minute-Kräfte des eigenen Teams beiseite. „Das scheint kein Zufall zu sein, das ist einfach brutaler Wille“, erklärte der Nationalspieler – ehe auch Lukas Hradecky noch einige grundsätzliche Gedanken beisteuerte. „Eigentlich habe ich keine Worte dafür, dass dieser Wahnsinn weitergeht“, begann Leverkusens behandschuhter Kapitän: „Unsere Mannschaft kennt kein Limit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
AfD-Verbotsantrag im Bundestag
Wahlkampfgeschenk für die AfD
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?